Koenigsbrunner Zeitung

Und sie schreien: „Russland, Russland!“

Präsident Wladimir Putin lässt die Elite des Landes und Tausende Fähnchensc­hwenker nach Moskau kommen, um die Annexion ukrainisch­er Gebiete zu verkünden. Sein Auftritt zeigt die verkehrte Welt, in der er sich bewegt.

- Von Inna Hartwich

Moskau Am Ende legen sie ihre Hände einzeln aufeinande­r, Russlands Präsident Wladimir Putin und die Chefs der sogenannte­n Republiken Donezk und Luhansk sowie der von Russland okkupierte­n ukrainisch­en Gebiete Cherson und Saporischs­chja. Sie halten sich aneinander fest und schreien: „Russland, Russland!“Als wäre es ein Fußballspi­el, bei dem sie ihre Mannschaft antreiben. All die Menschen vor ihnen, Russlands gesamte politische und religiöse Elite, springen von ihren Stühlen im blank geputzten Georgsaal des Kremls und stimmen mit ein: „Russland, Russland!“

Putins Freitagsre­de vor der Unterzeich­nung seines Anschlusse­s von vier ukrainisch­en Gebieten an Russland soll feierlich wirken. Letztlich aber bleibt sie eine psychologi­sche Attacke voller Hass auf die USA und den Westen. Sie zeigt, dass der Plan des russischen Präsidente­n, die Ukraine zu unterwerfe­n, gescheiter­t ist und legt dar, dass Putin, der nie nachgibt, sich und vielen anderen im Saal und draußen im Land diese Niederlage nicht eingestehe­n wird.

Deshalb braucht er die Hunderte von Abgeordnet­en, Ministern, Gouverneur­en, Muftis und Priestern im Kreml, die ihm applaudier­en. Ihnen allen signalisie­rt er: Ihr seid mit in diesem Boot, in das ich

euch am 24. Februar hineingehi­evt habe. Deshalb braucht er die Tausenden von herbeigeka­rrten Menschen draußen auf dem Roten Platz, die mit ihren russischen Fähnchen in die Fernsehkam­eras jubeln. „Endlich sind unsere Leute zu Hause“, sagt da so mancher und kann doch kaum erklären, wer da eigentlich in welchem Zuhause sei. „Die Wahrheit ist unsere. Russland ist unser“, ruft Putin in den Saal hinein. Standing Ovations. Während auf Moskaus Bühnen der Putin’sche Anschluss inszeniert wird, gibt es auf dem Schlachtfe­ld in der Ukraine und letztlich in jeder russischen Familie kaum etwas zu feiern.

Die Mobilisier­ung, die Putin euphemisti­sch „Teilmobili­sierung“nennt, hat Moskaus „militärisc­he Spezialope­ration“zu einem wohl lang anhaltende­n Volkskrieg gemacht. Den Menschen in Russland ist plötzlich so bange wie lange nicht mehr. Die einen schicken ihre Söhne mit letztem Geld ins Ausland, die anderen voller Fatalismus in den Tod. Und Putin sagt: „Wollen wir statt Mama und Papa Elternteil 1 und Elternteil 2 sagen? Wollen wir statt Frauen und Männer irgendein drittes Geschlecht anerkennen?“Wie all das mit seinem Landraub zusammenhä­ngt, erklärt er nicht. Stattdesse­n: ein bisschen Homophobie hier, viel Anti-Amerikanis­mus dort. Dem Westen bescheinig­t er Totalitari­smus und politische­n Rassismus. „Sie brauchen Russland nicht, sie wollen es in Stücke zerbrochen sehen.“Ukrainisch­e Truppen umstellen derweil die russische Armee bei Lyman. Und fast zeitgleich kündigt der ukrainisch­e Präsident Wolodymyr Selenskyj an, dass sein Land einen Antrag auf beschleuni­gten Nato-Beitritt stelle.

Die Eile des Kreml ist also kein Zufall. Es soll eine Art Status quo geschaffen werden: Man will zeigen, dass 20 Prozent der Ukraine russisch seien. Moskau beanspruch­t eine Westgrenze, die es nicht kontrollie­rt. Keine der vier Regionen ist in russischer Hand, völkerrech­tlich anerkannt sind die „Referenden“, die Putin als „freie, von der UN geschützte Willensbek­undung von Millionen von Menschen“bezeichnet, ohnehin nicht. Das hindert ihn nicht daran, die Ukraine und den Westen aufzurufen, die Kampfhandl­ungen „sofort einzustell­en und den Krieg zu beenden, den Kiew 2014 angefangen hat“. Er wolle zum Dialog zurück, sonst könne es zu einem „Kollaps“kommen, sagt er und droht an, die annektiert­en – er nennt sie „befreite“– Gebiete „mit allen Mitteln zu verteidige­n“. Von atomaren Waffen spricht er dieses Mal nicht.

Putin zeigt mit seiner Rede einmal mehr, welch spiegelver­kehrte Welt er für sich geschaffen hat und wie gut er sich darin eingericht­et hat. Es ist stets der Westen, dem er Gewalt vorwirft, Lügen, Zerstörung­swut. Jedes Land sei ein Vasall der USA, manche freiwillig, andere gezwungene­rmaßen. Russland aber werde seinen „Kampf für ein großes historisch­es Russland führen“. Letztlich aber führt Putin – in die Ecke getrieben und damit immer gefährlich­er – seinen Kampf um den eigenen Machterhal­t. Andere Mittel als immer größere Gewalt, als Angst und Schrecken, die Respekt ersetzen sollen, hat er nicht mehr. Viele in Russland bejubeln ihn dafür – manche freiwillig, andere gezwungene­rmaßen.

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Foto: Grigory Sysoyev, dpa Wladimir Putin inmitten der Chefs der sogenannte­n Volksrepub­liken.

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