„Lockdowns wird es nicht mehr geben“
Die Corona-Inzidenz steigt stark, doch Bayern ändert erst mal nichts. Gesundheitsminister Klaus Holetschek erklärt, was der Plan für die kommenden Wochen ist und worin er die größte Gefahr sieht.
Herr Holetschek, ab Samstag gilt das neue Infektionsschutzgesetz. Die Corona-Inzidenz steigt wieder stark. Aber Bayern ändert nichts. Was ist denn Ihr Plan für die kommenden Wochen und Monate? Klaus Holetschek: Unsere Experten überwachen die Situation intensiv und sagen mir: Die Lage ist derzeit stabil, was die Corona-Varianten und die Krankheitslast angeht. Aber wir beobachten die weitere Entwicklung – und müssen dabei auch das Thema Grippe auf dem Schirm haben. Daher rufen wir auch zur Influenza-Impfung auf. Aber natürlich hat keiner den definitiven Blick in die Zukunft.
Gibt es jetzt eigentlich eine WiesnWelle?
Holetschek: Das lässt sich natürlich nicht zu hundert Prozent beweisen. Aber ich sage mal so: Wo viele Menschen auf engem Raum ohne Maske zusammen sind, ist das Risiko für die Übertragung von Infektionen höher. Wir haben ja häufig nach größeren Volksfesten einen Anstieg der Fallzahlen gesehen.
Das heißt mit anderen Worten, der Freistaat fährt auf Sicht und wartet ab, wie sich die Lage entwickelt. Ist das nicht gefährlich?
Holetschek: Wir sind ja nicht untätig. Das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit prüft täglich die wichtigsten Kennzahlen,
zum Beispiel Inzidenz oder Belegung der Klinikbetten, darüber hinaus beobachtet es die Verbreitung möglicher neuer Virusvarianten in Zusammenarbeit mit Laboren und Kooperationspartnern aus der Wissenschaft. Jede Woche gibt es einen ausführlichen Bericht.
Wann wird es denn nötig zu reagieren? Ihr Kollege, Staatskanzleichef Florian Herrmann, sagte vor wenigen Tagen, wenn sich die Lage „dramatisch“verändere ...
Holetschek: Das ist ja so ein bisschen das Problem im Infektionsschutzgesetz des Bundes, dass dies nicht exakt definiert ist. Da ist von einer „konkreten Gefahr für die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems oder der sonstigen kritischen Infrastrukturen“die Rede. Aber wann tritt die genau ein? Eine Erklärung dazu haben wir immer vom Bund gefordert, sie ist aber nicht erfolgt.
Jetzt versuchen Sie wieder, den schwarzen Peter an den Bund abzugeben. Der Freistaat Bayern pocht doch sonst auch gerne auf seine Eigenständigkeit. Es kann doch ein Vorteil sein, selbst diese Entscheidungen über weitere Maßnahmen in der Hand zu haben, oder?
Holetschek: Im Prinzip ist das richtig. Wir hatten uns ja nur dafür ausgesprochen, gewisse Indikatoren zu konkretisieren, um einen Flickenteppich in Deutschland zu vermeiden.
Oder weil es unangenehm ist, den Leuten Einschränkungen mitteilen zu müssen. Wie ist denn die Grundhaltung Bayerns derzeit – Vorsicht, Augenmaß, Lebensfreude?
Holetschek: Wir haben eine ganz andere Lage als vor einem Jahr. Entscheidend für neue Maßnahmen ist nicht allein die Zahl der Neuinfektionen, sondern vor allem die Situation in den Krankenhäusern. Der Schutz vulnerabler Gruppen steht nach wie vor im Vordergrund. Wir machen so viel wie nötig und so wenig wie möglich. Und setzen auch auf die Eigenverantwortung der Menschen.
Kann ich das so zusammenfassen, dass Bayern monatelang nach einem Instrumentenkasten gegen die Herbst- und Winterwelle gerufen hat, nun aber keine allzu großen Ambitionen zeigt, diesen auch einzusetzen?
Holetschek: Nein. Wir beobachten die Lage genau und können unverzüglich reagieren, wenn es nötig wird.
Was wären denn so die ersten Maßnahmen, die auf uns zukämen?
Holetschek: Na ja, die sind ja vom Bund umrissen: eine Maskenpflicht in öffentlich zugänglichen Gebäuden zum Beispiel oder Maskenpflicht
in Schulen ab der fünften Klasse, wenn es zur Aufrechterhaltung eines geregelten Präsenzunterrichts erforderlich ist. Auch das ist ein Begriff, der vom Bund leider nicht näher definiert wurde.
Und welche können Sie definitiv ausschließen – Lockdown, Schulschließungen ...
Holetschek: Einen Lockdown, Schulschließungen oder Ausgangssperren wird es nicht mehr geben. Dafür gibt es auch keine Rechtsgrundlage mehr. Außer uns überfällt etwas völlig Unvorhergesehenes wie eine brandgefährliche neue Variante, dann muss natürlich rasch gehandelt werden.
Welches Kriterium wäre für Sie das ausschlaggebende, um neue Maßnahmen zu ergreifen?
Holetschek: Eine Überlastung des Gesundheitssystems. Wobei man dazu sagen muss, dass die Kliniken schon jetzt stark belastet sind. Das war sogar vor Corona schon so. Das größte Problem ist die Personalsituation.
Lassen Sie uns über das Impfen reden. Davon hört man zurzeit nicht so viel. Täuscht der Eindruck oder bewegt sich da gerade nicht viel?
Holetschek: Nein, der täuscht nicht. Da ist noch viel Luft nach oben.
Woran liegt das und spielt das am
Ende vielleicht gar keine Rolle, weil so viele Menschen schon eine oder mehrere Infektionen durchgemacht haben?
Holetschek: Die Kommunikation der Bundesregierung dazu war in letzter Zeit nicht gut. Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass Impfen gegen schwere Verläufe hilft und der Weg aus der Pandemie ist.
Wie oft sind Sie selbst geimpft?
Holetschek: Ich bin dreimal geimpft und einmal genesen. Demnächst werde ich mich gegen Grippe impfen lassen und in Absprache mit meinem Arzt wohl zeitnah auch ein viertes Mal gegen Corona.
Über das Testen – lange allgegenwärtig – wird auch sehr wenig geredet. Spielt das keine Rolle mehr?
Holetschek: Doch. Bayernweit gibt es knapp 5000 Teststellen, neben unseren kommunalen Testzentren beispielsweise sehr viele Apotheken. Für viele Menschen bleibt der Test auch weiterhin kostenlos – zum Beispiel für pflegende Angehörige, Krankenhaus- und Pflegeheimbesucher, Kontaktpersonen oder auch Kinder bis fünf Jahre. Wer ein Konzert besuchen will, muss für den Test bezahlen – aber auch da ja nur drei Euro. Und dann gibt es ja auch noch die Selbsttests, mit denen man für sich eine erste Gewissheit herstellen kann.