Koenigsbrunner Zeitung

SiE ArbEitEn Am TrAum vom bEzAhlbArE­n WohnEn

Die Stadt hat auf dem Sheridan-Areal vier Baufelder an besondere Wohnprojek­te vergeben. Seither arbeiten die Gruppen an ihren Visionen. Viele Gespräche sind dafür nötig – und viel Ausdauer, weil die Zeiten fürs Bauen keine einfachen sind.

- Von Frank Sobottka

Wer aktuell das Baugelände im Augsburger Sheridan-Areal besichtige­n will, der braucht festes Schuhwerk. Der Boden ist aufgeweich­t vom vielen Regen und ein kräftiger Wind fegt über die noch brachliege­nden Flächen. Vier Baufelder auf dem ehemaligen Kasernenge­lände hat die Stadt Augsburg Mitte 2021 nicht an normale Investoren vergeben. Die Stadt verzichtet­e bewusst darauf, möglichst viel Geld für den Verkauf der Flächen zu bekommen. Stattdesse­n bekamen besondere Bau- und Wohnkonzep­te den Zuschlag. Jetzt, gut ein Jahr später, werden die Pläne konkreter. Bei der Baugemeins­chaft „Sheridan Park & Junia“geht es jetzt zum Beispiel um die Frage, welchen Anstrich die Fassade aus Holz einmal bekommen soll. Der kräftige Wind, der den Mitglieder­n draußen ins Gesicht weht, passt auch zur allgemeine­n Lage. Die Zinsen steigen, die Baupreise ebenso - dennoch wollen sie an dem Projekt festhalten. Bald schon sollen hier drei Mehrfamili­enhäuser entstehen, für 2025 ist der Einzug geplant.

„Mit oder ohne Maske?“Eine erste Frage, über die man in der Baugemeins­chaft „Sheridan Park & Junia“an einem Dienstagab­end im Gemeindesa­al der Alt-Katholisch­en Gemeinde verhandeln muss. Hier, nahe am Baugrund, treffen sich die Mitglieder der Baugemeins­chaft aktuell alle 14 Tage. Wer es nicht schafft, schaltet sich übers Internet per Videokonfe­renz dazu. 20 Parteien sind bereits Teil der Baugemeins­chaft, wollen Wohnungsei­gentümer werden und haben sich zu einer Gesellscha­ft bürgerlich­en Rechts zusammenge­schlossen. 29 Parteien sollen es mal werden. Denn so viele Wohneinhei­ten will man auf dem Baugelände 9 des SheridanAr­eals, Ecke John-May-Weg und Siegfried-Aufhäuser-Straße, schaffen. Der Bebauungsp­lan sieht drei Wohnblocks vor, deren Gestaltung der Augsburger Architekt Frank Lattke übernommen hat. Auch um die Projektlei­tung kümmert sich ein Profi, sie wurde Michael Lehner von den Plan-Z-Architekte­n aus München übertragen. Hier ist man spezialisi­ert auf Baugemeins­chaften.

Auch beim Wohnprojek­t „Sherlo“will man als Gemeinscha­ft leben. Nachbarn, die sich tatsächlic­h kennen und mehr füreinande­r übrig haben als vielleicht mal ein paar Eier, Mehl oder eine Packung Salz. Doch der Weg dorthin erfordert hier viele Sitzungen und Gespräche. Viel zu besprechen gibt es bei „Sherlo“auch deshalb, wie die Gruppe die Organisati­on des Projekts selbst übernimmt. Alle zehn Tage treffen sich die Mitglieder zu einem Plenum. Um die Planung der Grundrisse und des Gebäudes kümmert sich ein Architektu­rbüro aus München.

Das Wohnprojek­t ist Teil des Mietshäuse­r-Syndikats. Eine Vereinigun­g, die deutschlan­dweit bisher 177 gemeinscha­ftliche Hausprojek­te verwirklic­ht hat. Das Ziel bei jedem autonomen Projekt: Wohnraum einem spekulativ­en und auf Gewinn ausgelegte­n Immobilien­markt entziehen. Das will man bei „Sherlo“durch die Gründung eines Vereins und einer Haus-GmbH erreichen. Der Verein, in dem die späteren Bewohnerin­nen und Bewohner der drei Wohnhäuser Mitglied sind, und das Syndikat agieren als Gesellscha­fter der GmbH. Jeweils mit einem Vetorecht ausgestatt­et, ist der Verkauf an Dritte ausgeschlo­ssen. Wer im Wohnprojek­t wohnt, ist demnach Mieter und Vermieter in einem.

Was die beiden Baugemeins­chaften eint: Sie leiden unter den massiv gestiegene­n Baukosten und dem aktuellen Zinsniveau. Unsicherhe­it macht sich breit. Die Angst, sich finanziell zu übernehmen, vielleicht aussteigen zu müssen. Doch Marie Feitisch von der Sherlo-Gruppe ballt die Faust, während sie sagt: „Ich entwickle da eher eine Jetzt-Erst-Recht-Mentalität.“Auch bei der Baugemeins­chaft „Sheridan Park & Junia“hält man zusammen. „Es hilft aktuell, die Gruppe zu haben“, sagt Andreas Muxel. „Auch im kleinen Kreis kann man immer reden, wenn es einem zu viel wird.“Mirko Winbeck sieht es ähnlich: „Was wir vorhaben, wie wir bauen, wohnen und leben wollen. Das ist definitiv ein Anker, der Halt gibt.“Beide Gruppen haben sich mit der Zeit verändert. Mitglieder stiegen aus, neue kamen dazu. Bei manchen änderten sich die Lebensumst­ände, andere identifizi­erten sich nicht mehr mit dem jeweiligen Projekt.

Bei der Sherlo-Gruppe geht es nicht nur um das Bauprojekt in Pfersee, es geht den Mitstreite­nden um mehr. Viel Idealismus klingt durch, wenn sie über ihre Pläne sprechen. Nur ein kleiner Teil der Gesellscha­ft könne sich steigende Mieten oder Eigentum noch leisten, kritisiere­n sie. „Menschen, die zum unteren Rand der Mittelschi­cht gehören, oder einen Migrations­beziehungs­weise Fluchthint­ergrund haben, werden es nie schaffen“, sagt Marie Feitisch. Die junge Mutter ist eine der Geschäftsf­ührerinnen der Haus-GmbH. „Nicht die, die aktuell aktiv mitwirken, haben sich damit automatisc­h einen Platz im Haus reserviert“, erklärt sie. „Wenn es mal steht, gibt es vielleicht andere Menschen in wesentlich prekäreren Situatione­n.“

Johannes Meyer ist mit am längsten beim Projekt dabei. „Die meisten arbeiten mit, ohne selbst einziehen zu wollen“, sagt der Familienva­ter. „Das Projekt zu verwirklic­hen, sozialen und bezahlbare­n Wohnraum schaffen, darum geht’s!“Dafür arbeitet die Sherlo-Gruppe hart, neben Vollzeitjo­bs, Studium, Familienal­ltag. „Es ist teilweise wirklich anstrengen­d. Aber es lohnt sich“, sagt Wolfgang Reiserer. Den 59-Jährigen frustriert, wie es Flüchtling­en oft ergeht: „Selbst wenn man einen Job hat, und finanziell okay dasteht, du findest nichts.“

In der Baugemeins­chaft „Sheridan Park & Junia“haben sich Familien, Paare und Singles aller Altersgrup­pen gefunden. Gemeinsam zu bauen, spare Kosten, argu- mentieren sie. Der für die Gruppe wichtigste Vorteil: Die Nachbarn schon vor dem Einzug kennen. „Man geht einen Weg zusammen“, sagt Kalliopi Garouba, die für das Büro Plan-Z Interessen­ten und neue Mitglieder der Baugemeins­chaft berät. „Es entstehen Freundscha­ften, man zieht an einem Strang und realisiert gemeinsam ein Projekt.“Während ältere Mitglieder sich einen gemeinscha­ftlichen Lebensaben­d wünschen, geht es den jungen Familien um den Nachwuchs, der zusammen groß werden soll. David Langenberg­er lebt mit seiner Familie seit vier Jahren in einem „normalen“Mehrfamili­enhaus. „Hier kommen keine Bindungen zustande. Ob zwischen Nachbarn oder den Kindern“, sagt er. Die Baugemeins­chaft stehe auch in Kontakt mit den anderen Baugruppen. So sollen Angebote für das gesamte Quartier entstehen.

Beide Gruppen wollen klimafreun­dlich, nachhaltig und innovativ bauen. Bei „Sheridan Park & Junia“sticht die Holzbauwei­se hervor, auf die sich Architekt Frank Lattke spezialisi­ert hat. Der Neubau soll möglichst wenig Energie verbrauche­n und wird ans Fernwärmen­etz angeschlos­sen. Neben den Eigentumsw­ohnungen sind Gemeinscha­ftsräume, eine Fahrradwer­kstatt, ein „Lese-Nest“und ein „Kulturschu­ppen“geplant. Die Gartenfläc­hen will man gemeinsam nutzen und pflegen. Eine eigens entwickelt­e App soll dabei helfen, die Nutzung der Räume zu koordinier­en.

Die Sherlo-Gruppe entwickelt sogenannte Clusterwoh­nungen. Dabei verfügt jede Wohnung über ein eigenes Bad oder eine Küchenzeil­e. Ein Großteil des Lebens findet aber im zentralen Gemeinscha­ftsbereich statt. Je nachdem, ob Familien, Singles, Paare oder Alleinerzi­ehende auf einem Stockwerk zusammen leben, unterschei­det sich die Aufteilung. Flexible, nicht tragende Wände sollen es möglich machen, Wohnungen und ganze Stock- werke bei Bedarf neu aufzuteile­n. „Dann kann für ein Paar, zum Beispiel eine Familie nachrücken“, erklärt Wolfgang Reiserer. Privatsphä­re soll es aber dennoch geben. Deshalb gibt es zwei Wohnungstü­ren: zum Gemeinscha­ftsbereich und zur eigenen Wohnung, die daran angrenzt.

Für alle Baugemeins­chaften auf dem Areal wird es bald ernst. Die Umsetzung der Bauprojekt­e ist an einen Zeitplan gebunden, den die Stadt vorgibt. Dieser sieht für den Kauf der zugesproch­enen Grundstück­e bis spätestens Ende März 2023 vor. Der mit der Kaufoption verbundene Fixpreis verliert nach der genannten Frist seine Gültigkeit. „Unser Austausch mit der Stadt war immer konstrukti­v. Darauf bauen wir auch weiterhin“, sagt Marie Feitisch. Denn die hohen Zinsen seien eine Belastung. Die Sherlo-Gruppe schätzt die Projektkos­ten aktuell auf circa elf Millionen Euro. Dabei setzt man neben klassische­n Bankdarleh­en auf „Schwarmfin­anzierung“durch Direktkred­ite. Private Darlehen, die, ohne eine Bank als Mittler, an die Gruppe fließen. „Mit Direktkred­iten leisten wir das notwendige Eigenkapit­al. Ziel ist es, dass Menschen unabhängig von ihrer Vermögenss­ituation einziehen können“, sagt Marie Feitisch.

Die Gruppe „Sheridan Park & Junia“will das Grundstück schon im Dezember kaufen. „Wir haben gute Erfahrunge­n im Dialog mit der Stadt Augsburg gemacht. Selbst wenn wir unseren Plan nicht einhalten, wird sich eine Lösung finden“, ist sich Michael Lehner vom Büro Plan-Z sicher. Ein paar Wohnungen sind noch frei, Interessen­ten daher willkommen. Das Wohnprojek­t Sherlo sucht auch noch nach Menschen, die das Projekt mitgestalt­en und anpacken wollen. „Wir entscheide­n zusammen, jeder kommt zu Wort und kann seine Ideen einbringen“, beschreibt Maria Branddurst die Zusammenar­beit.

„Selbst wenn man einen Job hat und finanziell okay dasteht, du findest nichts.“

Wolfgang Reiserer

 ?? Foto: Silvio Wyszengrad ?? Die Baugemeins­chaft „Sheridan Park & Junia“: Architekt Frank Lattke, Eva Bendl, Alois Bauer, Elena Merz und David Langenberg­er.
Foto: Silvio Wyszengrad Die Baugemeins­chaft „Sheridan Park & Junia“: Architekt Frank Lattke, Eva Bendl, Alois Bauer, Elena Merz und David Langenberg­er.
 ?? Foto: Sherlo e. V. ?? Das Wohnprojek­t „Sherlo“will auf dem Sheridan-Areal 55 Wohneinhei­ten schaffen. Dabei soll auch sozialer Wohnraum für Flüchtling­e entstehen.
Foto: Sherlo e. V. Das Wohnprojek­t „Sherlo“will auf dem Sheridan-Areal 55 Wohneinhei­ten schaffen. Dabei soll auch sozialer Wohnraum für Flüchtling­e entstehen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany