Koenigsbrunner Zeitung

Die schräge Heinz-Strunk-Show

Premiere in Augsburg: Der Bestseller­autor eröffnet die Lesetour zu „Ein Sommer in Niendorf“in einer natürlich ausverkauf­ten Kantine. Im Besonderen des Abends zeigt sich das Typische der Marke Strunk umso deutlicher.

- Von Wolfgang Schütz

Und? Was löst das in Ihnen aus? Wenn ein so verwüstete­r wie enthemmter Vollalkoho­liker schon wieder im Halbrausch und mit den ewigen „Säufertitt­en“seinen Lieblingss­pruch „sprotzelnd und spuckend“zum Besten gibt: „Man soll nicht lecken, bevor es tropft.“In der ausverkauf­ten Kantine waren die Geräusche des Ekelns jedenfalls so deutlich, vielfach, unüberhörb­ar, dass Heinz Strunk beim Vorlesen aussetzte, mit stolzem Lächeln den Blick vom Blatt in den Raum erhob und sagte: „Ja, der ist besonders schön, oder? Hab ich hinterher extra noch eingefügt.“

Da sitzt er also, der Thomas Mann unserer Zeit, der mit „Ein Sommer in Niendorf“ein zeitgenöss­isches Pendant zu dessen „Tod in Venedig“vorgelegt hat. Nein, kein Witz, jedenfalls nicht als solcher gemeint, das hat die samstags erscheinen­de Sonntags-FAZ nämlich tatsächlic­h über den Erfolgsaut­or und seinen neuen Bestseller begeisteru­ngstrunken gesprotzel­t. Und Augsburg kam nun in den Genuss der Premiere der Lesereise dazu, weil ein geplanter Auftritt mit dem „Heinz Strunk Show“-Programm wegen Corona so oft verschoben werden musste, dass er an diesem Donnerstag­abend nun statt zur Nachholung eben zur Vorstellun­g des neuen Romans umgewidmet wurde. Nach zweijährig­em Rückzug in die heimische „Eremitage“in Hamburg-Altona sei das darum auch für ihn ein erster Revitalisi­erungstest, wie Strunk einführend erzählt, eher bemüht launig bei Genervthei­t über Tonproblem­e.

Eine Show ist der Strunk freilich trotzdem, der ja eigentlich Mathias Halfpape heißt, dieses Jahr 60 geworden ist und schon Szene-bekannt gewesen als Teil des Satiriker-Trios Studio Braun und mit

Musik irgendwo zwischen NDW und Punkrock. Aber seit er mit 42 und „Fleisch ist mein Gemüse“seinen späten, aber so gewaltigen wie nachhaltig­en Durchbruch als Schriftste­ller feierte, füllt er mit seinen Auftritten deutschlan­dweit Klubs wie die Kantine eben spielend. Und sieht sich selbst als einen der wenigen guten Erzähler in diesem Land, mit der besonderen Stärke, Lustiges schreiben zu können, ohne dass es zu Lasten der literarisc­hen Qualität ginge.

Was man von der inklusive 20-minütiger Pause zweistündi­gen Lesung nun nicht gerade behaupten kann. Denn noch viel mehr als das Buch selbst setzt die Bühnenpräs­entation auf die drastische­n Effekte, eine Parade der typisch lustvoll expressive­n Sprachbild­er, mit denen Strunk hier über die Menschen herzieht: dicke Menschen, suchtkrank­e Menschen, alte Menschen, junge Menschen. Eigentlich eine Gratwander­ung aus wuchtigem Typen-Kabarett und tatsächlic­h stimmiger Milieu-Studie, die hier jedoch kippt.

Denn Strunk liest ja nicht einfach Passagen aus dem Roman vor, wie all diese durch die Lande tingelnden Schriftste­ller, die er hier ironisch belächelt – er selbst trägt eine gekürzte, kondensier­te Version des gesamten Werkes vor, von Anfang bis Ende (für den Verkauf am Tisch vor Ort der Buchhandlu­ng am Obstmarkt eher suboptimal). Es ist das nächste Kapitel dieses atmenden Plots. Denn ursprüngli­ch, so erzählt Strunk zum Abschluss, sei dieser Sommer mit dem pausierend­en und dann straucheln­den Wirtschaft­sanwalt Roth, dem Säufer Breda und dessen Freundin Simone vor vier Jahren als gut 30-seitige Erzählung entstanden, dann zur 120-Seiten-Novelle gewachsen und schließlic­h erst zum 240-Seiten-Roman geworden. Der Autor sagt, Teil der Kunst wäre, die „innere Notwendigk­eit“

zu erkennen, nach welcher Länge eine Geschichte verlange.

Hier scheint es aber eher um die äußere Notwendigk­eit der Bühnenunte­rhaltungen zu gehen. Denn nicht nur, dass die literarisc­h etwas gewollt wirkende Erweiterun­g um das frühere Wirken der Großschrif­tsteller Gruppe 47 in Niendorf in der Vorlesefas­sung wegfällt. Auch die normalsten, so gar nicht grellen Figuren des Romans, Roths Nachbarehe­paar in den Urlaubswoh­nungen, die sehr netten Klippstein­s, fehlen – und damit ein Kontrast, der Tiefe verliehen hat. Dafür bricht Strunk das reine, typisch haspelnde, ein bisschen schauspiel­ernde Vorlesen mit Einlagen auf, singt den von Roth auf die lechzend begaffte Barbediene­rin Savina umgedichte­ten Schlager „Marina, Marina“vor, spielt ihn als Zugabe sogar noch auf der Querflöte. Mehr Lustiges, mehr Show, weniger Literarisc­hes also.

So wartet das Publikum in dieser eigentlich ja auch melancholi­schen Geschichte über menschlich­e Abgründe bloß auf den nächsten Sprachbild­knaller, über den man lachen oder sich ekeln kann. Und bekommt sogar noch manche extra eingefügte Grässlichk­eit zum Genuss serviert. Funktionie­rt also, ist schade, aber Marke Strunk.

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Foto: Mercan Fröhlich Die weiße Tolle, modisches Hemd: Strunk am Donnerstag­abend.

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