Die schräge Heinz-Strunk-Show
Premiere in Augsburg: Der Bestsellerautor eröffnet die Lesetour zu „Ein Sommer in Niendorf“in einer natürlich ausverkauften Kantine. Im Besonderen des Abends zeigt sich das Typische der Marke Strunk umso deutlicher.
Und? Was löst das in Ihnen aus? Wenn ein so verwüsteter wie enthemmter Vollalkoholiker schon wieder im Halbrausch und mit den ewigen „Säufertitten“seinen Lieblingsspruch „sprotzelnd und spuckend“zum Besten gibt: „Man soll nicht lecken, bevor es tropft.“In der ausverkauften Kantine waren die Geräusche des Ekelns jedenfalls so deutlich, vielfach, unüberhörbar, dass Heinz Strunk beim Vorlesen aussetzte, mit stolzem Lächeln den Blick vom Blatt in den Raum erhob und sagte: „Ja, der ist besonders schön, oder? Hab ich hinterher extra noch eingefügt.“
Da sitzt er also, der Thomas Mann unserer Zeit, der mit „Ein Sommer in Niendorf“ein zeitgenössisches Pendant zu dessen „Tod in Venedig“vorgelegt hat. Nein, kein Witz, jedenfalls nicht als solcher gemeint, das hat die samstags erscheinende Sonntags-FAZ nämlich tatsächlich über den Erfolgsautor und seinen neuen Bestseller begeisterungstrunken gesprotzelt. Und Augsburg kam nun in den Genuss der Premiere der Lesereise dazu, weil ein geplanter Auftritt mit dem „Heinz Strunk Show“-Programm wegen Corona so oft verschoben werden musste, dass er an diesem Donnerstagabend nun statt zur Nachholung eben zur Vorstellung des neuen Romans umgewidmet wurde. Nach zweijährigem Rückzug in die heimische „Eremitage“in Hamburg-Altona sei das darum auch für ihn ein erster Revitalisierungstest, wie Strunk einführend erzählt, eher bemüht launig bei Genervtheit über Tonprobleme.
Eine Show ist der Strunk freilich trotzdem, der ja eigentlich Mathias Halfpape heißt, dieses Jahr 60 geworden ist und schon Szene-bekannt gewesen als Teil des Satiriker-Trios Studio Braun und mit
Musik irgendwo zwischen NDW und Punkrock. Aber seit er mit 42 und „Fleisch ist mein Gemüse“seinen späten, aber so gewaltigen wie nachhaltigen Durchbruch als Schriftsteller feierte, füllt er mit seinen Auftritten deutschlandweit Klubs wie die Kantine eben spielend. Und sieht sich selbst als einen der wenigen guten Erzähler in diesem Land, mit der besonderen Stärke, Lustiges schreiben zu können, ohne dass es zu Lasten der literarischen Qualität ginge.
Was man von der inklusive 20-minütiger Pause zweistündigen Lesung nun nicht gerade behaupten kann. Denn noch viel mehr als das Buch selbst setzt die Bühnenpräsentation auf die drastischen Effekte, eine Parade der typisch lustvoll expressiven Sprachbilder, mit denen Strunk hier über die Menschen herzieht: dicke Menschen, suchtkranke Menschen, alte Menschen, junge Menschen. Eigentlich eine Gratwanderung aus wuchtigem Typen-Kabarett und tatsächlich stimmiger Milieu-Studie, die hier jedoch kippt.
Denn Strunk liest ja nicht einfach Passagen aus dem Roman vor, wie all diese durch die Lande tingelnden Schriftsteller, die er hier ironisch belächelt – er selbst trägt eine gekürzte, kondensierte Version des gesamten Werkes vor, von Anfang bis Ende (für den Verkauf am Tisch vor Ort der Buchhandlung am Obstmarkt eher suboptimal). Es ist das nächste Kapitel dieses atmenden Plots. Denn ursprünglich, so erzählt Strunk zum Abschluss, sei dieser Sommer mit dem pausierenden und dann strauchelnden Wirtschaftsanwalt Roth, dem Säufer Breda und dessen Freundin Simone vor vier Jahren als gut 30-seitige Erzählung entstanden, dann zur 120-Seiten-Novelle gewachsen und schließlich erst zum 240-Seiten-Roman geworden. Der Autor sagt, Teil der Kunst wäre, die „innere Notwendigkeit“
zu erkennen, nach welcher Länge eine Geschichte verlange.
Hier scheint es aber eher um die äußere Notwendigkeit der Bühnenunterhaltungen zu gehen. Denn nicht nur, dass die literarisch etwas gewollt wirkende Erweiterung um das frühere Wirken der Großschriftsteller Gruppe 47 in Niendorf in der Vorlesefassung wegfällt. Auch die normalsten, so gar nicht grellen Figuren des Romans, Roths Nachbarehepaar in den Urlaubswohnungen, die sehr netten Klippsteins, fehlen – und damit ein Kontrast, der Tiefe verliehen hat. Dafür bricht Strunk das reine, typisch haspelnde, ein bisschen schauspielernde Vorlesen mit Einlagen auf, singt den von Roth auf die lechzend begaffte Barbedienerin Savina umgedichteten Schlager „Marina, Marina“vor, spielt ihn als Zugabe sogar noch auf der Querflöte. Mehr Lustiges, mehr Show, weniger Literarisches also.
So wartet das Publikum in dieser eigentlich ja auch melancholischen Geschichte über menschliche Abgründe bloß auf den nächsten Sprachbildknaller, über den man lachen oder sich ekeln kann. Und bekommt sogar noch manche extra eingefügte Grässlichkeit zum Genuss serviert. Funktioniert also, ist schade, aber Marke Strunk.