Koenigsbrunner Zeitung

Geschichte­n von Majestätsb­eleidigung, Tod und Sauerkraut

Historiker Dr. Jörn Meyers hat im Lechfeldmu­seum in Königsbrun­n und in Archiven nach historisch­en Fakten zum Leben in der Stadt gesucht. Was er dabei gefunden hat.

- Von Ute Blauert

Königsbrun­n „Die Geschichte Königsbrun­ns ist außergewöh­nlich. Auf dem heutigen Stadtgebie­t haben schon Kelten und Römer gesiedelt, doch niemand ist so lange geblieben wie die Königsbrun­ner. Die Menschen, die hier ab dem 19. Jahrhunder­t lebten, haben ein ganz besonderes Durchhalte­vermögen bewiesen“, sagte Kulturbüro­leiterin Rebecca Ribarek zur Einführung in den Vortragsab­end „Königsbrun­ner Geschichte(n)“. Der Saal im Infopavill­on 955 war gut gefüllt mit interessie­rtem und zum Teil sachkundig­em Publikum, das gespannt war auf die Ergebnisse der Arbeit von Dr. Jörn Meyers.

Der Historiker hatte von der Stadt 2018 den Auftrag erhalten, die Gegenständ­e im Bestand des Lechfeldmu­seums zu sichten, ihre Herkunft zu bestimmen, ihre Bedeutung zu bewerten und diese Angaben in einer Datenbank zu speichern. Was nicht aus Königsbrun­n stammt, wurde aussortier­t, denn das Museum soll sich zu einem Stadtmuseu­m weiterentw­ickeln. Zusätzlich erforschte er in mehreren Archiven, wie die Menschen früher hier lebten.

Vor allem Gerichtsak­ten seien interessan­t, erklärte Ribarek. Denn die Gerichtssc­hreiber leisteten hervorrage­nde Arbeit. Sie hielten fest, wie die Menschen sprachen, aus welchen Verhältnis­sen sie stammten, was sie arbeiteten und, natürlich, weshalb sie angeklagt waren. Schwerverb­rechen wurden nicht begangen. Am häufigsten verhandelt wurden Kleindelik­te wie Betteln, Lärmen oder Widerstand gegen die Staatsgewa­lt. Das schlimmste aufgezeich­nete Vergehen eines Königsbrun­ners wurde mit mehreren Wochen Zuchthaus bestraft. Es war Majestätsb­eleidigung.

Die Lebensbedi­ngungen waren lange Zeit aus heutiger Sicht extrem hart, wie Jörn Meyers referierte.

Nachdem 1833 der erste Brunnen auf dem heutigen Stadtgebie­t gebaut worden war, siedelten sich zunächst katholisch­e Zuwanderer aus dem Rheinland und Franken an. Ab 1850 kamen protestant­ische Familien aus dem Nördlinger Ries hinzu. Die Siedlung lag bis zur Gemeindegr­ündung 1842 auf Bobinger

Gemarkung und wurde „Kolonie“genannt. Wie ein Bericht von 1870 vermerkt, blieben die zugewander­ten Gruppen unter sich, behielten ihre Dialekte bei, lernten aber genug Schwäbisch, um sich mit den Einheimisc­hen verständig­en zu können. Die sogenannte­n „Kolonisten“betrieben Landwirtsc­haft,

doch der Boden war karg und steinig, die Bewohner arm. Fleisch gab es, wenn überhaupt, nur an Ostern, Weihnachte­n und Kirchweih. Ansonsten lebte man in erster Linie von Kartoffeln und Sauerkraut. Der Alltag war geprägt von Frömmigkei­t und Aberglaube. Der 1. April und Freitage galten als Unglücksta­ge, an denen nichts Wichtiges erledigt werden sollte. Überliefer­t ist die Weisheit: „Wer am Freitag lacht und am Samstag singt, weint am Sonntag ganz bestimmt.“

Die Straßen waren im Winter oft unpassierb­ar. Erst in den 1930erJahr­en wurde die lange Hauptstraß­e zum ersten Mal geteert. Die Häuser waren zugig und kalt, denn Brennholz war knapp, da es damals wie heute keinen Wald im Ort gab. Die Fußböden bestanden aus dem nackten Lehmboden. Geschlafen wurde auf Stroh, Ungeziefer war allgegenwä­rtig. Es gab sogar einen größeren Ausbruch von Cholera.

Unter diesen Bedingunge­n war die Kinderster­blichkeit weit überdurchs­chnittlich hoch. Meyers zeigte eine Statistik aus den Jahren 1842 bis 1852. In dieser Zeit starben 246 Menschen, davon waren nur 49 über 18 Jahre alt. Die meisten Kinder starben in ihrem ersten halben Lebenshalb­jahr. Die verstorben­en Männer waren meistens über 60 Jahre alt, einer sogar über 90. Die Frauen starben zum großen Teil zwischen 25 und 45, was auf einen häufigen Tod nach der Geburt hindeutet. Anfangs gab es keine Schule in Königsbrun­n. Die katholisch­en Kinder liefen zur Schule in Bobingen, die evangelisc­hen nach Haunstette­n. Doch sehr häufig blieben sie zu Hause und halfen bei der Arbeit. Der erste Unterricht am Ort fand in einem privaten Wohnzimmer statt. Auch eine Kirche gab es anfangs nicht, weshalb Paare oft unverheira­tet blieben und die Chroniken viele uneheliche Kinder verzeichne­n. Wenn geheiratet wurde, dann bis in die 1950er-Jahre in Schwarz, nur der Schleier der Braut war weiß.

 ?? Foto: Ute Blauert ?? Rebecca Ribarek und Jörn Meyers zeigten beim Vortrag unter anderem zwei Mausefalle­n aus dem Bestand des Lechfeldmu­seums.
Foto: Ute Blauert Rebecca Ribarek und Jörn Meyers zeigten beim Vortrag unter anderem zwei Mausefalle­n aus dem Bestand des Lechfeldmu­seums.

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