Koenigsbrunner Zeitung

Rhetorisch­e Rauflust

Porträt Für die einen Inbegriff bayerische­r Anarchie, für andere nur Folklore. Der Politische Aschermitt­woch ist wie eine Brotzeitpl­atte: Nicht jeder mag alles, aber für alle ist was dabei.

- Michael Stifter

Das Wirtshaus ist der natürliche Lebensraum des Politische­n Aschermitt­wochs. Wahlweise geht auch ein Bierzelt, eine Halle – oder ein Theatersaa­l. Weil ein Schauspiel ist es ja ohne Frage, wenn einmal im Jahr die Politpromi­nenz in die bayerische Provinz reist, um der Gemütlichk­eit dort – mal mehr, mal weniger authentisc­h – ein Prosit zuzusprech­en.

Wer es gut meint mit dem Aschermitt­woch, sieht in ihm eines der letzten Refugien praktizier­ter bajuwarisc­her Anarchie. Hemmungslo­s ausgelebte­s Stammtisch­niveau. Der Ministerpr­äsident defilierma­rschiert schon mal mit verwegenem Dreitageba­rt Richtung Bühne, um keinen Zweifel

an seiner rhetorisch­en Rauflust aufkommen zu lassen. Und sein Vize kann sich endlich mal ganz offiziell so benehmen, wie er sich sonst halt auch benimmt.

Weniger wohlmeinen­de Beobachter des politische­n Rabaukentu­ms halten den Aschermitt­woch für alberne Folklore. Mein Gott mit dir, du Land der Bayern! Nicht selten sind jene Kritiker aber Menschen mit außerbayer­ischem Migrations­hintergrun­d, die von sonst wo daherkomme­n und dann meinen, sich über vermeintli­che süddeutsch­e Seppelhaft­igkeit lustig machen zu müssen. Dabei ist so eine zünftige Rede wie eine Brotzeitpl­atte: Der eine nimmt den weißen Presssack, der dem anderen den Magen umdrehen würde. Und nicht jeder mag einen Radi, aber für alle ist was dabei. Der Aschermitt­woch wird es den Verweigere­rn verzeihen, denn da, wo er haust, in Passau, in Vilshofen oder Landshut, da weiß man ihn zu schätzen. Anders, als die CSUler das am Lagerfeuer erzählen, war es übrigens nicht der christsozi­ale Urvater Franz Josef Strauß, der Parolen und Polemik in bierselige­r Stimmung erfunden hat. Die Tradition des hemmungslo­sen Politisier­ens

geht auf das 16. Jahrhunder­t zurück. Damals schon debattiert­en Bauern auf dem Viehund Rossmarkt in Vilshofen über Gott und die Welt – und natürlich über „die da oben“.

Zur Wahrheit gehört aber schon, dass erst FJS den Politische­n Aschermitt­woch zur Institutio­n gemacht hat. Mit seiner Urgewalt war Strauß wie gemacht für das Format. Was man beileibe nicht von allen Rednerinne­n und Rednern behaupten kann. Weil, sind Sie uns nicht böse, ein Matetee trinkender Asket mit ärztlich attestiert­er Humorbefre­iung passt halt einfach nicht rein, in den bayerische­n Bierdunst. Die Krüge hoch!

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Foto: Peter Kneffel, dpa

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