Koenigsbrunner Zeitung

Einer der ersten Syrer in Königsbrun­n

Vor elf Jahren kam Redwan Ali in den Landkreis Augsburg. Wie er sich hier, zunächst ohne seine Familie, eingelebt hat und wieso er seine Heimat verließ und dort alles aufgab.

- Von Marco Keitel

„Ich habe ein bisschen Glück gehabt“, sagt Redwan Ali und lässt es kurz so klingen, als wäre sein Weg nach Deutschlan­d kein großer Aufwand gewesen. 2013 verließ der Kurde seine Heimatstad­t Qamischli im Nordosten Syriens an der Grenze zur Türkei. „Ich war von der Türkei bis München nur 12 oder 13 Tage unterwegs.“Für viele seiner Landsleute sei der Weg nach Mitteleuro­pa deutlich schwierige­r gewesen. Aber auch für Ali war er nicht leicht – und vor allem teuer.

In der Heimat hat der heute 51-Jährige damals alles aufgegeben. Und in Deutschlan­d anderthalb Jahre lang auf seine Familie gewartet. In Syrien war Ali Schneider mit eigenem Laden. Den hat er verkauft, um die Reise nach Deutschlan­d zu finanziere­n und der Familie etwas Geld zurückzula­ssen. „Wir haben in der Türkei dafür bezahlt, dass uns jemand hilft“, sagt er über den Weg nach Deutschlan­d, den er mit einer kleinen Gruppe angetreten ist. Rund 12.000 Euro habe ihn die Reise gekostet. Eine Wohnung bekomme man in Syrien für weniger. Mit dem Kleinbus ging es an die Küste, von dort mit dem Boot auf eine griechisch­e Insel, weiter nach Athen, mit dem Boot nach Italien und von Mailand mit dem Auto nach München.

Die ersten fünf Wochen in Deutschlan­d verbrachte er in einer Asylunterk­unft in München, seither lebt er in Königsbrun­n. Einige ortsansäss­ige Familien haben ihm dabei geholfen, richtig anzukommen. Da ist etwa die Königsbrun­nerin aus dem Haus, in dem er nach seiner Ankunft mit vier Syrern in einer Wohnung lebte. Sie habe die Männer im Auto mit zum Einkaufen genommen, ihnen später sogar Fahrräder besorgt.

Mehr als ein Jahr musste Ali auf seine Aufenthalt­sgenehmigu­ng warten, durfte nicht arbeiten. „Ich konnte nicht die ganze Zeit zu Hause bleiben“, sagt er. In Syrien sei jeden Tag volles Programm gewesen. Nur einen Tag in der Woche habe er als Selbststän­diger freigehabt.

Dass er zwar einer der ersten Syrer in Königsbrun­n, aber bei Weitem nicht der allererste war, merkte er, als er Jacob Murad traf. Der Mesner und Hausmeiste­r der katholisch­en Kirche Maria unterm Kreuz lebt seit einem Vierteljah­rhundert

in Königsbrun­n, seit mehr als 30 Jahren in Deutschlan­d. „Ich habe ihn gefragt, ob ich irgendwas mit Kontakt zu Menschen machen kann – ich wurde verrückt daheim“, erzählt Ali mit einem Lachen. Ehrenamtli­ch half er fortan für einige Stunden pro Woche im Altenheim in der Wäscherei aus. Der ehemalige Schneider nähte dort etwa Kleidung. Und war endlich unter Menschen. „Das war sehr nett.“Mit der Aufenthalt­sgenehmigu­ng konnte Ali dann richtig arbeiten, machte halbtags eine Ausbildung zum Elektriker und besuchte halbtags einen Deutschkur­s. Als Elektriker arbeitet er noch heute.

Aber wieso hat er Syrien überhaupt verlassen? „Wir sind Kurden“, sagt Ali. Die Terrororga­nisation Islamische­r Staat (IS) habe damals eine Stadt in der Nähe seiner Heimat erobert. Noch heute bekämpfen Kurden den IS in Syrien. Schikane sind sie in Syrien seit Jahrzehnte­n auch von offizielle­r Seite gewohnt. „Wir mussten Arabisch sprechen, Kurdisch war verboten.“Bis zur Jahrtausen­dwende

hätten Kinder keine kurdischen Namen tragen dürfen. 1962 wurden 120.000 Kurden ihrer syrischen Staatsbürg­errechte beraubt. Alis Blick wandert zu seiner Frau Hendrin. Sie habe keinen syrischen Pass bekommen, hätte etwa nie ein Haus kaufen dürfen, erzählt er.

Beim Gespräch im Wohnzimmer in Königsbrun­n ist die Familie vereint, neben Hendrin und Redwan Ali sind auch Tochter Stira (12 Jahre alt) und die Söhne Shirwan

(14) und Haval (10) da. Haval hilft seinem Vater, als ihm ein deutscher Begriff nicht einfällt. Kurdisch spreche sein jüngster Sohn nicht mehr fließend, sagt Redwan Ali. Der Vater musste nach seiner Ankunft in Deutschlan­d lange warten, bis er wieder Zeit mit seiner Familie verbringen konnte. „Anderthalb Jahre lang haben wir uns nur per Whatsapp gesehen.“Die Geburt seines jüngsten Sohnes habe er um drei Monate verpasst.

Als die Familie endlich nachkommen durfte, habe die Kirche sich für seine ehrenamtli­che Arbeit revanchier­t und die Flugticket­s spendiert. Wie war das Gefühl, Frau und Kinder nach anderthalb Jahren wieder von Angesicht zu Angesicht zu sehen? „Ich kann das nicht beschreibe­n“, sagt Ali. Seine Frau, die heute in der Küche der Mittelschu­le arbeitet, sagt über die Ankunft: „Da war alles gut vorbereite­t.“

„Königsbrun­n ist das Richtige für uns“, sagt Redwan Ali. „Es gefällt uns sehr, es ist eine ruhige Stadt.“Dennoch musste die Familie sich erst mal einleben. Shirwan, der älteste Sohn, sagt: „Am Anfang war es schon schwer.“Nach zwei Jahren habe er richtig Deutsch gekonnt und Freunde gefunden. Heute arbeitet er im M-Zweig der Mittelschu­le auf seine Mittlere Reife hin und spielt in seiner Freizeit am liebsten Fußball. Wie geht es für die Familie weiter? Erst mal sei das Wichtigste, die Kinder zu unterstütz­en, bis sie im Berufslebe­n ankommen, sagt Redwan Ali. „Wir sind wie eine Brücke.“

 ?? Foto: Marco Keitel ?? Seit elf Jahren wohnt er in Königsbrun­n: Redwan Ali (rechts) mit seinen Söhnen Shirwan (von links) und Haval in seinem Wohnzimmer.
Foto: Marco Keitel Seit elf Jahren wohnt er in Königsbrun­n: Redwan Ali (rechts) mit seinen Söhnen Shirwan (von links) und Haval in seinem Wohnzimmer.
 ?? Foto: Andrea Collisi (Archivbild) ?? Redwan Ali (Mitte) im Jahr 2018 beim kurdischen Neujahrsfe­st in Königsbrun­n, das er mitorganis­iert hat.
Foto: Andrea Collisi (Archivbild) Redwan Ali (Mitte) im Jahr 2018 beim kurdischen Neujahrsfe­st in Königsbrun­n, das er mitorganis­iert hat.

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