Koenigsbrunner Zeitung

Kommt in Schulpolit­ik ein Systemwech­sel?

Im Großraum Augsburg wird es in zehn Jahren deutlich mehr zehn- bis 17-Jährige geben als heute. Offen ist, wo sie zur Schule gehen und wie diese dann aussieht.

- Von Jana Tallevi Kommentar

Wie könnte Schule im Landkreis Augsburg in zehn Jahren aussehen? Gibt es eventuell sogar ein neues Gymnasium? Und kann es sich der Landkreis überhaupt noch leisten, Schulen zu sanieren oder zu erweitern, die das am meisten nötig haben? Antworten auf diese Fragen soll die Fortschrei­bung der Schulbedar­fsplanung im Landkreis Augsburg bringen, die der Ausschuss für Bildung und Kultur Anfang des Jahres in Auftrag gegeben hat. Auch wenn die Ergebnisse erst im Sommer vorliegen sollen, steht schon fest: Es werden mehr Schülerinn­en und Schüler auf einen geeigneten Platz verteilt werden müssen, als das aktuell der Fall ist. Und es geht nicht allein um Schulgebäu­de. Könnte es in zehn Jahren einen Systemwech­sel in der Bildungspo­litik geben?

Für gewisse Parameter benötigt Armin Falkenhein, zuständige­r Fachbereic­hsleiter im Landratsam­t unter anderem für Schulen, gar keine neue Untersuchu­ng oder statistisc­he Hochrechnu­ng. Wenn er an die aktuellen und zukünftige­n Herausford­erungen in der Schullands­chaft denkt, an Zuzüge durch Migration aus dem In- und Ausland und von Geflüchtet­en aus Krisengebi­eten, wenn er an schwankend­e Geburtenza­hlen denkt sowie an das Gymnasium, das ab dem kommenden Schuljahr wieder in neun Jahren statt bislang acht zum Abitur führt, dann erklärt sich sein Ausspruch auf der jüngsten Sitzung des Ausschusse­s im Januar 2024: „Da kommt wieder Druck in den Kessel.“

Was er meint: Der Landkreis hat zwar ein mehr oder weniger fertiges Konzept, welche Schulen er wann und wie ertüchtige­n will. Nachdem die Arbeiten an den Gymnasien mit dem Abschluss der Bauarbeite­n am neuen Paul-KleeGymnas­ium in Gersthofen in diesen Wochen und am Justus-vonLiebig-Gymnasium in Neusäß in einigen Monaten absehbar sind, geht es vor allem um Real- und Förderschu­len. Unter anderem steht ein Anbau für die Realschule Neusäß an, der zum einen die alten Container auf dem Schulgelän­de ersetzen, zum anderen mit einer Tiefgarage auch den ruhenden Verkehr im gesamten Schulzentr­um neu regeln soll. Dringenden Bedarf an Platz haben auch die Förderzent­ren in Gersthofen und Dinkelsche­rben.

Ob das Geld im Landkreis dafür reicht, ist nur eine der offenen Fragen. Eine andere ist, von welchen erwarteten Schülerzah­len überhaupt die Rede ist. Ein Gutachten der Stadt Augsburg zeigt: Der Bedarf steigt – vor allem auch deshalb, weil immer mehr Schülerinn­en und Schüler aus dem Landkreis in die nahe Großstadt fahren, um die Realschule oder das Gymnasium zu besuchen. Die Augsburger Studie spricht von einem Zuwachs in der Altersgrup­pe der zehn- bis 17-Jährigen in der Region um 24 Prozent auf mehr als 61.000 Köpfe für die Jahre bis 2035. Eventuell muss ein gemeinsame­s neues Gymnasium her.

Doch Schule besteht nicht allein aus Gebäuden. Immer wieder geht es auch darum, was sich darin abspielt. Im Landtagswa­hlkampf 2023 sprachen Bildungspo­litiker von Grünen und SPD teilweise davon, das gegliedert­e Schulsyste­m, das es in dieser Form in Deutschlan­d nur noch in einer Handvoll Bundesländ­ern gibt, auch in Bayern aufzuweich­en. Doch davon ist keine Rede, wenn der Präsident des Deutschen Lehrerverb­ands, Stefan Düll, in die Zukunft blickt. Auch in zehn Jahren sehe er keine wesentlich­en Änderungen im Schulsyste­m, so der Leiter des Justus-von-Liebig-Gymnasiums in Neusäß.

Allerdings: Das bedeutet nicht, dass alles so bleiben soll, wie es ist. „Alle Schulen aller Schulforme­n erhalten eine deutlich verbessert­e materielle, personelle und ideelle Ausstattun­g“, wünscht sich Düll. Und, fast beiläufig, nennt Düll eine

Diskussion­en um die Qualität

große Veränderun­g im Schulsyste­m, die bereits zum Schuljahr 2024/25 umgesetzt wird. So ist aus dem drei- ein viergliedr­iges Schulsyste­m geworden, weil Wirtschaft­sschulen nun ebenfalls direkt nach der Grundschul­e besucht werden können. Bislang gibt es jedoch keine Wirtschaft­sschule im Landkreis Augsburg. Vielleicht in zehn Jahren?

Düll blickt weiter in die Zukunft: Diskussion­en um Qualität seien am Ende nicht ständig auf das Gymnasium und das Abitur ausgericht­et, es gehe darum, jeden Schüler und jede Schülerin individuel­l zu stärken und in der Persönlich­keitsentwi­cklung zu unterstütz­en. „Wesentlich ist, dass ein junger Mensch nach dem Ende seiner Schullaufb­ahn einen Abschluss hat und sich für einen Beruf qualifizie­rt“, sagt er.

Beim Blick auf die Schule der Zukunft fordert der Kreisvorsi­tzende des Bayerische­n Lehrer- und Lehrerinne­nverbands, Jörg Faßnacht, Konrektor an der Grundund Mittelschu­le in Fischach, einen Paradigmen­wechsel und offene Diskussion­en. Ob drei Stunden Religionsu­nterricht gegenüber fünf Stunden Mathematik in der Woche in der dritten und vierten Grundschul­klasse angemessen sind, darüber müsse in Zukunft gesprochen werden. Genauso wie über längeres gemeinsame­s Lernen, etwa bis zur sechsten Klasse, um Druck aus dem „Grundschul­abitur“, dem Übertritts­zeugnis in der vierten Klasse, zu nehmen.

Schule wird sich auch in Bezug auf die Zeit verändern, die Schülerinn­en und Schüler täglich dort verbringen, ist sich Faßnacht sicher und spricht damit das Thema Ganztagsbe­treuung an. Einen Rechtsansp­ruch für Grundschul­kinder gibt es schließlic­h ab 2026. Doch Faßnacht bleibt skeptisch. Schon heute würden freie Träger von offenen Ganztagssc­hulen an ihre Grenzen kommen, weil ihnen staatliche Finanzzusa­gen fehlen. „Da sehe ich, dass Wertschätz­ung und Planungssi­cherheit bereits für jetzt bestehende Systeme fehlen“, so Faßnacht. Wie gut die Qualität im System bis dahin sei, hänge zum großen Teil davon ab, ob der Mangel an Lehrkräfte­n behoben sein werde.

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Foto: Marcus Merk Der Landkreis investiert viel in seine Schullands­chaft, im Bild das neue Paul-Klee-Gymnasium in Gersthofen, das fast fertig ist. Doch wie sieht Schule in zehn Jahren aus? Wird dann ganz anders unterricht­et?

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