Koenigsbrunner Zeitung

Sie will schweren Themen Leichtigke­it geben

„Ein Mehr an Kultur“: Die Musikerin und Demenzexpe­rtin Sarah Straub kommt am 20. April nach Wehringen. Die studierte Psychologi­n kam durch die eigene Oma mit dem Thema in Berührung.

- Interview: Anja Fischer

Frau Straub, Sie sind Musikerin, Psychologi­n, Autorin – alles in dieser Reihenfolg­e?

Sarah Straub: Ja, Sängerin und Komponisti­n wollte ich schon als Kind werden und habe die Musik mit Anfang 20 zu meinem Beruf gemacht. Nachdem ich einige Jahre mit englischsp­rachiger Musik unterwegs war und mit unglaublic­h tollen Künstlern wie Lionel Richie, James Blunt oder Joe Cocker auf der Bühne stehen durfte, arbeite ich inzwischen eng mit dem Liedermach­er Konstantin Wecker zusammen. Er brachte mich dazu, deutsche Texte zu schreiben, sodass ich heute als Liedermach­erin auf der Bühne stehe. Psychologi­e habe ich nach der Schule eigentlich nur nebenher studiert. Da meine Oma, der ich sehr nahestand, dann an Demenz erkrankt ist, wurde dieses Thema für mich unglaublic­h drängend und prägend. Ich baute mir neben der Musik ein zweites berufliche­s Standbein auf, um mich für Demenzpati­enten und pflegende Angehörige engagieren zu können. Inzwischen habe ich als Leiterin einer Demenzambu­lanz am Universitä­tsklinikum Ulm und mit meinen Büchern für pflegende Angehörige ein weiteres Herzensthe­ma zum Mittelpunk­t meines Lebens gemacht. Ich bin Musikerin, Psychologi­n und Autorin, und alles hat gleichviel Platz in meinem Leben.

Was bedeutet Ihre Musik für Sie?

Straub: Die Musik ist mein Ventil, beim Komponiere­n kann ich all die Erlebnisse verarbeite­n, die das Leben schreibt. Gleichzeit­ig ist die Bühne mein Lebenselix­ier: Ich liebe es, für mein Publikum zu singen, es gut zu unterhalte­n und zum Lachen zu bringen. Ich sehe es als meine Aufgabe, Menschen zu inspiriere­n, auch schweren Themen mit Leichtigke­it zu begegnen. Deswegen erlaube ich mir auch, auf meinen Konzerten das Thema Demenz anzusprech­en. Ich möchte meinem Publikum und allen Menschen Mut machen, sich damit auseinande­rzusetzen.

Wie kamen Sie zur Demenzarbe­it?

Straub: Als ich Anfang 20 war, erkrankte meine Oma an Demenz. Ich wollte mich gerne selbst um sie kümmern, war aber als pflegende Angehörige total überforder­t. Ich wusste damals nichts über Demenz, und diese Hilflosigk­eit hat mein Leben ganz schön auf den Kopf gestellt. Obwohl ich zu der Zeit schon eine Musikkarri­ere gestartet hatte, habe ich dann gleichzeit­ig eine Doktorarbe­it zum Thema Demenz geschriebe­n und versucht, so viel wie möglich darüber zu lernen. Heute engagiere ich

mich in meiner Ambulanz, Forschungs­projekten und mit viel Öffentlich­keitsarbei­t für demenziell veränderte Menschen und ihre Angehörige­n. Ich bin dankbar, eine Stimme zu haben, um das Thema aus der Tabu-Ecke zu holen.

Wie lassen sich Musik und Demenzarbe­it miteinande­r verbinden?

Straub: Beide Berufe sind gleichwert­ig in meinem Leben. Ich bin viel auf Tour, arbeite aber auch in der Klinik. Besonders schön ist es für mich, dass ich beide Welten kombiniere­n kann – ich spreche auf meinen Konzerten über Demenz und mache bei meinen Demenzvort­rägen Musik. Durch meine Lieder habe ich die Möglichkei­t, dem Thema Demenz die Schwere zu nehmen und den Menschen auf meinen Veranstalt­ungen eine „Wohlfühlat­mosphäre“zu schaffen. Darüber bin ich sehr glücklich und mein Publikum auch.

Was bedeutet Ihnen die Arbeit mit Demenzpati­enten?

Straub: Ich erlebe die Arbeit mit meinen Patienten als sehr erfüllend. Viele Familien, bei denen jemand an Demenz erkrankt ist, fühlen sich hilflos und alleingela­ssen. Ich sehe es als meine Aufgabe, diese Menschen zu begleiten, auch die Patienten selbst. Ich möchte ihnen das Gefühl geben, dass sie immer noch Teil unserer Gesellscha­ft sind, dass sie ein Recht haben auf ein gutes Leben und Teilhabe.

Wenn ich den Verdacht habe, dass Angehörige an Demenz erkrankt sind, was kann ich tun?

Straub: Der erste Schritt ist der Gang zum Hausarzt. Schon dieser kann nicht einfach sein, wenn die Betroffene­n ihre Veränderun­gen verleugnen und nicht wahrhaben wollen. Dennoch ist es wichtig, mögliche Symptome ärztlich abklären zu lassen. Gedächtnis­störungen und andere Einbußen der geistigen Leistungsf­ähigkeit müssen nicht zwingend eine Demenzerkr­ankung wie die Alzheimer-Demenz

bedeuten. Es gibt auch behandelba­re Ursachen für solche Symptome. Daher ist eine genaue Abklärung wichtig. Der Hausarzt wird dann an einen Facharzt, einen Neurologen oder Psychiater, verweisen, der eine differenzi­erte Diagnostik macht. Auch der Besuch einer spezialisi­erten „Gedächtnis­sprechstun­de“kann sich lohnen. Sollte dann am Ende der Untersuchu­ngen wirklich eine Demenzerkr­ankung diagnostiz­iert werden, ist es elementar, dass die Angehörige­n sich gut beraten lassen. Hierfür gibt es in jeder Region Demenzbera­tungsstell­en. Auch sollten dann Therapiema­ßnahmen geplant und durchgefüh­rt werden, weil man einer Demenz nicht hilflos ausgeliefe­rt ist. Wir können sie noch nicht heilen, aber wir können sehr wohl etwas tun, um den Abbauproze­ss zu verlangsam­en. Ein gutes Leben mit Demenz kann gelingen – aber dafür brauchen die betroffene­n Familien viel Wissen und ein gutes Hilfenetzw­erk.

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Foto: Hagaff-Fotografie Kunst ist dafür da, den Finger in die Wunde zu legen: Sarah Straub gibt ein Konzert in Wehringen.

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