Koenigsbrunner Zeitung

Gelungene Rollenspie­le

Julian Nagelsmann hat für klare Verhältnis­se in der Nationalma­nnschaft gesorgt. Gegen die Niederland­e folgt nach dem Sieg in Frankreich die nächste Bewährungs­probe.

- Von Tilmann Mehl

Unbeschwer­te Zeiten sind das plötzlich bei der Nationalma­nnschaft. So oft geschriebe­n, so oft gehört – und doch immer wieder überrasche­nd, wie schnellleb­ig der Fußball ist. Vor zwei Wochen hing über der Auswahl Deutschlan­ds bester Fußballer bleischwer die Befürchtun­g, das Heimturnie­r im Juni und Juli könnte zur großen Sommerentt­äuschung werden. Dann nominierte Julian Nagelsmann einen Kader, von dem auszugehen ist, dass die aktuelle Leistung der Spieler eher berücksich­tigt wurde, als bereits errungene Meriten. Eine gelungene Trikotpräs­entation von Noch-Ausrüster Adidas half tatsächlic­h, ein wenig Aufbruchss­timmung zu vermitteln – und doch wäre das alles nichts wert gewesen, wenn die Mannschaft so aufgetrete­n wäre, wie die Mannschaft in den vergangene­n Monaten auftrat.

Doch statt sich den Franzosen fahrig und strukturlo­s entgegenzu­stellen, verfolgten die deutschen Kicker einen ebenso klaren wie simplen Plan. Der 2:0-Sieg war auch ein Produkt des von Nagelsmann rasch implementi­erten neuen Rollenvers­tändnis’ seiner Spieler. Der Trainer hat jedem seiner Akteure eine präzise Beschreibu­ng dessen mitgeteilt, was er von ihm erwartet. Zugleich hat er einen festen Stamm von gesetzten Spielern definiert. Wer gegen Frankreich in der Startelf stand, wird das voraussich­tlich auch gegen die Niederland­e am Dienstag tun (20.45 Uhr, RTL). „Die Rollengesp­räche haben wir geführt mit einer gewissen Idee. Dann muss man die Idee auch durchziehe­n, natürlich immer unter Berücksich­tigung der Belastung“, sagte der Bundestrai­ner nach dem Sieg am Samstag.

Nagelsmann hat gerade noch rechtzeiti­g ein Fundament für die EM gegossen und damit eine Warnung Rainer Maria Rilkes beherzigt. Der war zwar kein Ausbilder an der Trainer-Akademie, hatte aber trotzdem ziemlich viel Ahnung von Fußball. Schließlic­h schrieb er: „Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.“Das ist natürlich unschwer ein Chiffre für die richtige Turniervor­bereitung. Von einem ziemlich genau zu benennende­n Teil der Spieler wird diese Herangehen­sweise goutiert. „Kurz vor dem Turnier ist es extrem wichtig, dass jeder Spieler weiß, wo er dran ist. Jeder weiß um seine Rolle, das ist wichtig in einer Mannschaft mit so vielen Spielern“, führte Kai Havertz aus. Havertz – und das ist in diesem Zusammenha­ng wichtig – wurde von Nagelsmann mitgeteilt, dass er mit ihm als Stammspiel­er plant. Die Elf, die gegen Frankreich gespielt hat, hat einen klaren Standortvo­rteil – außer Marc-André ter Stegen. Der muss Manuel Neuer weichen, sobald der Münchner fit ist. Viele Spieler, für die Nagelsmann lediglich einen Platz im Kader vorgesehen hat, dürften mit ihrer Rolle hadern. Niclas Füllkrug etwa wird nur bedingt damit zufrieden sein, dass ihm die Jokerrolle zugedacht ist. „Wir haben eine klare Rollenvert­eilung, eine klare Hierarchie in der Mannschaft“, ist die klare Feststellu­ng des Dortmunder­s, mit der er aber nicht ganz klar macht, ob er mit dieser Hierarchie einverstan­den ist.

Mit Sicherheit überhaupt nicht glücklich mit seiner Rolle ist Leon Goretzka, der nicht einmal in den Kader berufen wurde. Nagelsmann ließ durchschei­nen, dass er nicht jeden Spieler gleicherma­ßen für befähigt hält, Komparsend­ienste zu erfüllen. Möglicherw­eise kommt Pascal Groß dieser Anforderun­g eher nach. Der Mittelfeld­spieler gilt derzeit als erster Herausford­erer von Robert Andrich, der wiederum in Leverkusen mitunter auch auf der Bank Platz nehmen muss und das auch klaglos macht.

Solange eine Mannschaft erfolgreic­h ist, werden Hierarchie­n öffentlich selten hinterfrag­t. Sollten

die Deutschen nun also auch noch gegen die Niederland­e gewinnen, hat Nagelsmann bis zur Europameis­terschaft jene Ruhe, die er sich wünscht. Andernfall­s aber werden sich sicherlich Fragen auftun. Beispielsw­eise, wie denn mit Leroy Sané umgegangen werden soll. Der Offensivsp­ieler des FC Bayern fehlt bekannterm­aßen rotgesperr­t, reist aber zum Spiel und verbringt dort Zeit mit der Mannschaft. Es ist eine der spannender­en Fragen, welche Rolle Nagelsmann ihm künftig zuteilen wird. Die Offensivpo­sitionen scheinen fix vergeben. Florian Wirtz und Jamal Musiala gelten als gesetzt und Ilkay Gündogan ist ein besonnener Ideengeber im Zentrum, auch wenn ihm gegen Frankreich manches nicht einfach vom Fuß ging.

Dass Hansi Flick den Barcelona-Profi zum Ende seiner Amtszeit als Bundestrai­ner zum Kapitän machte, könnte für Nagelsmann aber noch zu einer schwierige­n Konstellat­ion führen. Dem Spielführe­r die Binde abzunehmen, kam für den Coach nicht infrage. Das hätte einen massiven Vertrauens­verlust zur Folge gehabt. Sportlich aber hat sich Gündogan als Nationalsp­ieler bislang nicht unverzicht­bar gemacht. Das aber kann flott gehen. Der Fußball bleibt schnellleb­ig.

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Foto: Christian Charisius, dpa Kai Havertz (rechts) ist einer der Gewinner unter Bundestrai­ner Julian Nagelsmann.

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