Koenigsbrunner Zeitung

„Jetzt ist mal Schluss mit Politik“

Der SPD-Abgeordnet­e Michael Roth teilt überrasche­nd mit, dass er 2025 aus der Bundespoli­tik aussteigen wird. Im Ton ist sein Abschied sanft, doch in der Sache schwingt großer Frust mit.

- Von Margit Hufnagel

Er wütet nicht, er rechnet nicht ab, er zeigt keine Trauer. Ganz ruhig spricht Michael Roth in die Kamera seines Handys. Kurz vor Ostern will er seine Botschaft auf der Internet-Plattform X verkünden: Der 53-Jährige nimmt Abschied von der Politik. Roth ist einer der wichtigste­n Außenpolit­iker, den die SPD hat, er mischt gerne vorn mit, und doch dürfte weiten Teilen der Bevölkerun­g sein Name nicht auf Anhieb in den Sinn kommen – ganz nach oben hat er es nie geschafft. Roth ist keiner, der sich mit lauter Stimme Gehör verschafft, der mit radikalen Formulieru­ngen und Forderunge­n auffällt. Er habe sich immer geschworen, nicht als Berufspoli­tiker in Rente zu gehen, sagt er. „Was jetzt kommt, weiß ich noch nicht.“Bis zur Bundestags­wahl im Herbst nächsten Jahres werde er seine Aufgaben noch erfüllen.

Roth hatte sich schon einmal eine politische Auszeit genommen. Er sei psychisch ausgebrann­t gewesen, habe selbst mit den alltäglich­sten Dingen wie Einkaufen und Kochen zu kämpfen, erzählte er damals. Diesmal mischt sich eine große Portion Desillusio­nierung in seinen endgültige­n Abschied. Seit einiger Zeit merke er: „Ich habe den Biss nicht mehr. Ich spüre eine innere Distanz zum Betrieb. Jetzt ist mal Schluss mit Politik. Das ist ein gutes Gefühl.“

Der hessische Abgeordnet­e verweist in einem Interview mit dem Magazin Stern zugleich auf seine wachsende Distanz zur SPD. „Ich bin leidenscha­ftlicher Sozialdemo­krat, wollte ja auch mal Vorsitzend­er der SPD werden. Aber im letzten Jahr habe ich gemerkt, dass ich mit unseren Sitzungen immer mehr fremdele, dass mich die Gremien stören, die Stimmung darin. Wenn die Tür zum Fraktionss­aal aufging, hatte ich zuletzt den Eindruck, ich steige in einen Kühlschran­k.“

Roth gewann das Direktmand­at in seinem Wahlkreis Bad Hersfeld sieben Mal in Folge. Seit 1998 sitzt

er für die SPD im Bundestag. Von 2013 bis 2021 war er Staatsmini­ster für Europa im Auswärtige­n Amt, von 2014 bis 2021 auch Beauftragt­er der Bundesregi­erung für die deutsch-französisc­he Zusammenar­beit. Seit 2021 ist er Vorsitzend­er des Auswärtige­n Ausschusse­s im Bundestag. Besonders das Leid in der Ukraine wurde zu seinem Kernthema. „Die Frage von Krieg und Frieden hat in der SPD schon für eine neue Härte gesorgt“, erzählte er dem Stern. „Mein Einsatz für die Ukraine gefiel nicht allen. Und als ich kurz nach Kriegsausb­ruch in das Land reiste, grüßten mich manche in der Fraktion

nicht einmal mehr.“Als Politiker brauche man heute eine absolute Stressresi­stenz, ein überborden­des Selbstbewu­sstsein. „Ich bin sicher: Willy Brandt würde heute kein Bundeskanz­ler mehr werden können, weil man seine Auszeiten, das zeitweilig­e Verschwind­en aus der Öffentlich­keit nicht tolerieren würde.“

Tatsächlic­h gab es bei Brandt während seiner Amtszeit Spekulatio­nen über mögliche Depression­en, da er sich regelmäßig für einige Tage zurückzog. Kurz vor seinem Rücktritt war dann offiziell von einer „fiebrigen Erkältung“die Rede. Im Nachhinein gab der 1992 verstorben­e Altkanzler zu: „In Wirklichke­it war ich kaputt.“Es ist keine Seltenheit, dass Politiker Schwächen eher kaschieren als nach außen tragen. Helmut Kohl etwa litt kurz vor dem Bundespart­eitag seiner CDU im September 1989 unter großen Schmerzen. Sein Arzt war während des Parteitags dabei und wurde als „neuer Mitarbeite­r“ausgegeben, wie Kohl in seinen „Erinnerung­en“schrieb.

Ein Leben ohne Politik konnten sich beide nie vorstellen. Zu tief wäre wohl der Fall gewesen, zu hart der Entzug. Andere wagten diesen Schritt, meist jedoch auch erst, nachdem sie mit gesundheit­lichen Problemen konfrontie­rt wurden. Peter Tauber etwa, früherer CDU-Generalsek­retär, beendete nach der Bundestags­wahl 2021 seine politische Karriere. Schon 2017 hatte er eine schwere Darmerkran­kung öffentlich gemacht, die für ihn beinahe tödlich endete.

Andere wie der ehemalige hessische Ministerpr­äsident Roland Koch ließen sich an dem Punkt ihrer Laufbahn von der Wirtschaft locken, an dem sie das Gefühl hatten, der nächste Karrieresc­hritt bleibe ihnen verwehrt. Oder Sahra Wagenknech­t: 2019 trat sie wegen eines Burn-outs als Fraktionsv­orsitzende der Linksparte­i zurück. „Es tat unglaublic­h gut. In den Jahren davor war ich eigentlich nie wirklich offline“, sagte sie damals der Zeitschrif­t Brigitte. „Nicht am Wochenende, nicht im Urlaub. Mails bearbeiten, erreichbar sein, reagieren, und zwar schnell, das gehörte immer dazu und wurde auch erwartet.“Ganz zurückzieh­en wollte sie sich hingegen nicht. Ganz im Gegenteil.

Politik mache süchtig, hat der ehemalige CSU-Vorsitzend­e Erwin Huber einmal gesagt: „Man ist abhängig, das gibt es auch in anderen Berufen, bei Managern, Unternehme­rn. Man hängt, überspitzt gesagt, an der Nadel.“Es sei die Mischung aus Macht und öffentlich­er Anerkennun­g, die dazu führe. „Bekannt zu sein, zum Teil bewundert zu werden, die Zustimmung der Leute zu bekommen, eine Fangemeind­e zu haben, das ist berauschen­d.“

Das kennt auch Michael Roth. „Popularitä­t und Bekannthei­t waren immer schon wichtig in der Politik“, sagt er. Doch etwas sei gekippt. „Mein Eindruck ist, dass viele ihr Selbstwert­gefühl nur noch aus der Anerkennun­g anderer ziehen, aus Likes, aus Beifall, dem Scheinwerf­erlicht. Ich jedenfalls habe das viel zu lange so gemacht.“Eine Rückkehr in die Politik schließt er aus. „Ich habe keinen blassen Schimmer, keinen Plan B, es gibt keine Blaupause“, sagt er über seine Zukunft. „Aber ich möchte weiterarbe­iten. Nur nicht in der Politik.“

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Foto: Ute Grabowsky, dpa Kehrt der Politik nach mehr als 20 Jahren Bundestag den Rücken: Michael Roth.

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