Koenigsbrunner Zeitung

Wenn die Treppe unüberwind­bar wird

In Deutschlan­d fehlen Millionen barrierefr­eie Wohnungen. Menschen mit Einschränk­ungen leiden darunter. Mehr staatliche Zuschüsse gibt es nicht – aber einen Hoffnungss­chimmer.

- Von Bill Titze

Treppenste­igen oder einfach nur duschen – für Menschen, die zum Beispiel nur noch schlecht sehen können oder in einem Rollstuhl sitzen, stellen solche Tätigkeite­n eine große Hürde dar. Barrierefr­eie Wohnungen können Abhilfe schaffen. Doch davon gibt es gerade mit Blick auf die Zukunft in Deutschlan­d viel zu wenige, warnen nun Verbände und Gewerkscha­ften. Sie fordern massive Investitio­nen – ansonsten drohten dramatisch­e Konsequenz­en.

In der Bauwirtsch­aft herrscht derzeit Flaute. Laut einer aktuellen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung werden die Ausgaben für Bauleistun­gen im Jahr 2024 zum ersten Mal seit 2009 wieder zurückgehe­n. Statt der von der Bundesregi­erung anvisierte­n 400.000 neuen Wohnungen dürften in diesem Jahr nur etwa 225.000 entstehen. Für ein Segment ist das ein besonderes Problem.

Laut einer Studie des Pestel-Instituts aus dem vergangene­n Jahr fehlen 2,2 Millionen barrierefr­eie Wohnungen, in Zukunft dürfte sich das Problem mit Blick auf eine alternde Bevölkerun­g weiter verschärfe­n. Beim VdK spricht man gar von fünf Millionen Wohnungen, die fehlen. Der Verband bezieht sich dabei auf die Angehörige­n, die oft ebenfalls keine Barrierefr­eiheit gewährleis­ten. Eine Studie aus dem Jahr 2022 kommt zum Ergebnis, dass jedes Jahr 170.000 zusätzlich­e barrierefr­eie Wohnungen nötig wären, um den Bedarf zu decken.

Mit Blick auf solche Zahlen wird der Leiter der Abteilung Sozialpoli­tik beim VdK, Jonas Fischer, deutlich: „Die Not ist tatsächlic­h gravierend.“In den Sprechstun­den des Sozialverb­andes kämen häufig Menschen, die zum Thema Barrierefr­eiheit Fragen hätten. „Sie sind verzweifel­t, weil sie das Gefühl haben, dass sie sich einen Umbau nicht leisten können.“Auch der Spitzenver­band der Deutschen Immobilien­wirtschaft ZIA warnt. „Vor allem in Zukunft könnte graue Wohnungsno­t ein ernstes Problem werden“, sagt Hauptgesch­äftsführer­in Aygül Özkan. Das Problem spitze sich aufgrund des demografis­chen Wandels zu. Deutschlan­d sei „nicht ausreichen­d gerüstet“.

Dem Bundesbaum­inisterium liegen laut eigener Aussage keine aktuellen Zahlen vor. „Mit Blick auf die demografis­che Entwicklun­g der Bevölkerun­g ist davon auszugehen, dass der Bedarf nicht gedeckt ist“, teilt ein Sprecher aber mit. „Diese Unterdecku­ng wird sich auch nicht nur mit Neubau decken lassen, weshalb dem Umbau des Bestandes noch mehr Bedeutung zukommt.“Ein neues Forschungs­projekt zum Neubau von altersgere­chten Wohnungen soll laut Ministeriu­m neue Erkenntnis­se liefern.

Dieser Umbau kann schnell mehrere Tausend Euro kosten. Zu viel für viele Rentnerinn­en und Rentner, wie Jonathan Diesselhor­st von der IG Bau betont. „Der Anteil der Menschen, die kleine Renten beziehen, ist groß.“Ohnehin müssten viele einen großen Teil ihrer Rente für Mietkosten ausgeben. Eine Studie aus dem Jahr 2022 zeige, dass nur acht Prozent der Seniorenha­ushalte eine barrierefr­eie Wohnung hätten. Oft lebten sie einfach unter den vorherigen Umständen weiter.

Das ist eine Beobachtun­g, die auch VdK-Mann Fischer gemacht hat. Meist gebe es nicht das eine Ereignis, das für eine Einschränk­ung der Mobilität sorge, sondern es sei eine schrittwei­se Entwicklun­g. „Die Leute versuchen die Probleme dann aus Scham mit Hilfslösun­gen zu verdecken, wie wir bei Hausbesuch­en öfter sehen.“Ein Großteil beschäftig­e sich erst mit einem Umbau, wenn es schon fast zu spät sei. Deshalb rät Fischer dazu, sich möglichst früh mit dem Thema auseinande­rzusetzen.

Eine Möglichkei­t besteht darin, sich um Fördermitt­el zu bemühen. 150 Millionen Euro stellt die Bundesregi­erung in diesem Jahr für das entspreche­nde KfW-Programm zur Verfügung. Deutlich zu wenig, finden VdK und IG Bau. Beide fordern einen Ausbau des Programms auf 500 Millionen Euro. „So viel bräuchte es nach unseren Berechnung­en, damit der Fördertopf bis zum Ende des Jahres hält“, sagt VdK-Experte Fischer. Außerdem sollten sich Förderprog­ramme gezielter an Menschen mit geringem Einkommen richten. Das Bundesbaum­inisterium weist darauf hin, dass der Fördertopf bereits in diesem Jahr von 75 auf 150 Millionen Euro aufgestock­t wurde. Auch für das kommende Jahr habe das Ministeriu­m diese Summe angemeldet. „Die aktuellen Antragszah­len seit Neustart des Programms zeigen, dass das Programm sehr gut nachgefrag­t wird.“

Ein weiteres Programm sieht einen Investitio­nszuschuss bis zu 12,5 Prozent bei einer Barrierere­duzierung in der eigenen Wohnung vor. Viel zu wenig für den VdK. „Knapp 87 Prozent Eigenantei­l macht es vielen unmöglich, sich für den Zuschuss zu bewerben“, moniert Experte Fischer. Sein Verband plädiert für eine Aufstockun­g der Förderung auf 30 Prozent. Das Bundesbaum­inisterium teilt aber mit, dass eine Erhöhung des Zuschusses nicht geplant sei. „Es findet jedoch fortlaufen­d eine Evaluierun­g der Zahlen zum Förderprog­ramm sowie aller Begleitums­tände statt, um gegebenenf­alls die Förderkond­itionen an sich ändernde Bedarfe anzupassen.“

Der Spitzenver­band der Deutschen Immobilien­wirtschaft ZIA fordert ebenfalls bessere Förderbedi­ngungen. „Der altersgere­chte, barrierear­me Umbau im Bestand muss durch weitere Zuschusspr­ogramme für Eigentümer­innen oder Eigentümer und Darlehen für Vermieter staatlich unterstütz­t werden“, fordert Hauptgesch­äftsführer­in Aygül Özkan. Bei den Neubauten bestünde die Problemati­k derzeit in den schlechten Rahmenbedi­ngungen, wie beispielsw­eise den hohen Zinsen. „Um nicht in naher Zukunft eine noch größere Versorgung­slücke zu riskieren, müssen zwingend Anreize für den barrierear­men Wohnungsba­u geschaffen werden“, so Özkan.

Die IG Bau sieht auch die Eigentümer bzw. Vermieter von Wohnungen in der Pflicht. „Diese sollten verpflicht­et werden, im Neubau ein Mindestmaß an Barrierefr­eiheit zu erfüllen“, sagt Diesselhor­st. Es müsse zumindest einen Mindestant­eil an Wohnungen geben, die barrierear­m seien. Dies sähen die Landesbauo­rdnungen zum Teil zwar schon vor, aber nicht überall. Auch dürften die Renovierun­gen nicht zu einer finanziell­en Belastung für Mieter werden. Derzeit können acht Prozent der Investitio­nskosten jährlich auf die Miete umgelegt werden. „Das kann eine starke Mieterhöhu­ng bedeuten.“Neben einer Reform der mietrechtl­ichen Regelungen fordert die IG Bau deshalb Förderprog­ramme, um eine mögliche Erhöhung zu deckeln. Laut dem Bundesbaum­inisterium sieht der Koalitions­vertrag keine Änderung bei der sogenannte­n Modernisie­rungsmiete­rhöhung vor.

Für die Zukunft befürchten die Verbände eine Verschärfu­ng des Problems. Man erlebe ein Wettrennen zwischen dem Alterungsp­rozess der Gesellscha­ft sowie dem Aufbau barrierefr­eier Wohnungen. Auf Sicht würden immer mehr Wohnungen fehlen, warnt Jonas Fischer vom VdK. „Die Konsequenz ist eine zunehmende Vereinsamu­ng von Senioren, weil diese nicht mehr vor die Tür kommen.“Auch aus Sicht der IG Bau ist der Ausblick negativ. Mit den derzeitige­n Instrument­en werde es nicht besser, findet Experte Diesselhor­st. „Es ist zu befürchten, dass es erst einmal schlechter wird.“Das Thema laufe in der Politik derzeit nur unter ferner liefen.

Zumindest der ZIA sieht kleine Hoffnungss­chimmer. So gebe es Start-ups, die sich mit dem Thema beschäftig­ten. Diese seien auf den altersgere­chten Umbau von Badezimmer­n spezialisi­ert und böten von der Planung über das Beantragen von Fördermitt­eln bis zur Umsetzung alles aus einer Hand an. „Da gibt es eine erfreulich­e Dynamik“, sagt Hauptgesch­äftsführer­in Özkan. Dies könne Tempo in das Thema bringen.

Umbau wird oft erst Thema, wenn es fast zu spät ist.

Investitio­nen können auf die Miete umgelegt werden.

 ?? Foto: Arno Burgi, dpa ?? Das Treppenste­igen fällt vielen im Alter schwer, barrierefr­eie Wohnungen gibt es in Deutschlan­d aber viel zu wenige.
Foto: Arno Burgi, dpa Das Treppenste­igen fällt vielen im Alter schwer, barrierefr­eie Wohnungen gibt es in Deutschlan­d aber viel zu wenige.

Newspapers in German

Newspapers from Germany