„München ist satt“
Die Landeshauptstadt platzt aus allen Nähten. Doch das hat seinen Preis, und diesen können immer weniger Menschen bezahlen. Jetzt hat Oberbürgermeister Dieter Reiter genug davon.
Wenn oben schon nicht mehr viel geht, unterirdisch wächst München zügig. Anfang des Jahres wurde mit dem Bau zweier neuer U-Bahnhöfe begonnen. Die sich über knapp vier Kilometer ziehende Verlängerung einer Linie nach Pasing und Freiham soll über eine Milliarde Euro kosten und ist nur eines von mehreren Projekten, mit denen die Landeshauptstadt den öffentlichen Nahverkehr für die Zukunft rüsten will. Nun aber schlägt Oberbürgermeister Dieter Reiter Alarm: „Allein können wir es nicht zahlen.“Bei einer Veranstaltung in München forderte der SPD-Politiker mehr Unterstützung von Bund und Land und warnte: „Sonst werden wir Bauruinen hinterlassen.“
Das wäre aus vielen Gründen fatal. Vor allem aber wird der Ausbau des Nahverkehrsnetzes im ständig wachsenden „Millionendorf “München dringend benötigt. Nach den Schätzungen des städtischen Statistikamtes wird die Einwohnerschaft in den nächsten 15 Jahren noch einmal um gut 200.000
Menschen zulegen – auf über 1,8 Millionen. Für einen Zuzug in der Größenordnung Regensburgs muss man bauen: Wohnungen, Kindergärten, Freizeitflächen. Die Stadt setzt seit etwa zehn Jahren Deutschlands größtes Schulbauprogramm um – 8,5 Milliarden Euro soll es am Ende kosten. Zwei Milliarden Euro sind in den nächsten fünf Jahren für den Wohnungsbau vorgesehen. Aber jetzt geht München das Geld aus.
Dabei hat die Wirtschaftskrise die „Weltstadt mit Herz“auf der Einnahmenseite weitgehend ungeschoren gelassen. Sieben ansässige Dax-Konzerne und Niederlassungen von Weltfirmen wie Google oder Apple sorgen für ein sta- biles Steueraufkommen. Reiter spricht von mehr als drei Milliar- den Euro im Jahr – und den Kosten des Wachstums. 10.000 neue Stel- len habe die Stadt in den vergange- nen zehn Jahren geschaffen. „Wir leisten uns eine sündteure Wohlfühl-Infrastruktur. Das muss jetzt auch mal gut sein.“Münchens Ruf als attraktive, saubere und sichere
Stadt ziehe Gutverdiener und Firmen aus aller Welt an, denen die berüchtigten Münchner Preise wurscht seien, so Reiter. „Aber für Polizisten ist die Versetzung nach München die Höchststrafe.“Busfahrer, Erzieherinnen und Krankenpfleger können sich die Stadt nicht mehr leisten. Ohne sie funktioniert diese aber nicht, „und dann ist es bald vorbei mit der Boomtown“.
Erste Anzeichen gibt es. Vergangenes Jahr verzeichnete die Stadt rund 3000 mehr Wegzüge als Zuzüge. Der Auswertung der Suchanfragen bei einem großen deutschen Immobilienportal zufolge schaut über die Hälfte der Münchnerinnen und Münchner in einem Umkreis von 50 Kilometern nach einer Wohnung. Nur noch ein gutes Viertel der Suchenden versucht in der Stadt sein Glück. Bei Käufern ist es nicht einmal mehr jeder Fünfte.
Größtes Problem sind die Mieten und Wohnungspreise, die sich immer mehr Menschen nicht mehr leisten können. Knapp 40 Prozent der Münchner müssen mindestens 40 Prozent ihres Einkommens fürs Wohnen ausgeben. Die Immobilienpreise haben zwar nachgegeben, befinden sich aber immer noch auf hohem Niveau. Dafür sind die Mieten durch die Decke gegangen. Für den Oberbürgermeister ist klar: Da hilft nur bauen. „Wir benötigen deutlich mehr Wohnungen aller Art.“
Die Branche aber liegt am Boden, die Zinserhöhungen haben die Nachfrage abgewürgt, erst langsam gibt es wieder Lebenszeichen.
Zudem wird es Anwohnern langsam zu viel. Gegen beinahe jedes Bauvorhaben in der Stadt rege sich Widerstand, klagt der Münchner OB. Seine Vorgänger seien für Neubauprojekte gefeiert worden, „ich muss einen Helm aufsetzen, damit die Leute nicht mit Steinen auf mich werfen“, sagte Reiter im Münchner Presseclub halb im Scherz. Ohne Ironie kam dann seine Schlussfolgerung daher: „Die
Stadt ist satt.“Die Städte und Gemeinden im Speckgürtel von München müssten mehr Geschosswohnungsbau zulassen und PendlerParkplätze bauen, so die Forderung des Münchner Rathauschefs. Dem Freistaat wirft er eine verfehlte Strukturpolitik vor.
Gerade östlich von München gebe es zu wenige Arbeitsplätze, was den Druck auf die Landeshauptstadt erhöhe. Diese trägt aufgrund der halben Million Menschen, die tagtäglich einpendeln, auch den Titel „Deutschlands Pendler-Hauptstadt“. Einen Pokal gibt es dafür nicht, nur überlastete Straßen und Schienenwege und ein schlagartig gewachsenes Nahverkehrsnetz, das schon lange nicht mehr in Pasing oder Freiham endet.
Vergangenen Dezember gab es rund um Rosenheim und Miesbach die erste Erweiterung seit der Gründung des Münchner Verkehrsverbunds (MVV) vor gut 50 Jahren. Zum kommenden Jahr werden die Landkreise WeilheimSchongau und Landsberg am Lech dem MVV beitreten. Der hat damit ein Einzugsgebiet von mehr als 3,6 Millionen Menschen.
Dem Freistaat wirft der OB eine verfehlte Strukturpolitik vor.