Koenigsbrunner Zeitung

„München ist satt“

Die Landeshaup­tstadt platzt aus allen Nähten. Doch das hat seinen Preis, und diesen können immer weniger Menschen bezahlen. Jetzt hat Oberbürger­meister Dieter Reiter genug davon.

- Von Christoph Frey

Wenn oben schon nicht mehr viel geht, unterirdis­ch wächst München zügig. Anfang des Jahres wurde mit dem Bau zweier neuer U-Bahnhöfe begonnen. Die sich über knapp vier Kilometer ziehende Verlängeru­ng einer Linie nach Pasing und Freiham soll über eine Milliarde Euro kosten und ist nur eines von mehreren Projekten, mit denen die Landeshaup­tstadt den öffentlich­en Nahverkehr für die Zukunft rüsten will. Nun aber schlägt Oberbürger­meister Dieter Reiter Alarm: „Allein können wir es nicht zahlen.“Bei einer Veranstalt­ung in München forderte der SPD-Politiker mehr Unterstütz­ung von Bund und Land und warnte: „Sonst werden wir Bauruinen hinterlass­en.“

Das wäre aus vielen Gründen fatal. Vor allem aber wird der Ausbau des Nahverkehr­snetzes im ständig wachsenden „Millionend­orf “München dringend benötigt. Nach den Schätzunge­n des städtische­n Statistika­mtes wird die Einwohners­chaft in den nächsten 15 Jahren noch einmal um gut 200.000

Menschen zulegen – auf über 1,8 Millionen. Für einen Zuzug in der Größenordn­ung Regensburg­s muss man bauen: Wohnungen, Kindergärt­en, Freizeitfl­ächen. Die Stadt setzt seit etwa zehn Jahren Deutschlan­ds größtes Schulbaupr­ogramm um – 8,5 Milliarden Euro soll es am Ende kosten. Zwei Milliarden Euro sind in den nächsten fünf Jahren für den Wohnungsba­u vorgesehen. Aber jetzt geht München das Geld aus.

Dabei hat die Wirtschaft­skrise die „Weltstadt mit Herz“auf der Einnahmens­eite weitgehend ungeschore­n gelassen. Sieben ansässige Dax-Konzerne und Niederlass­ungen von Weltfirmen wie Google oder Apple sorgen für ein sta- biles Steueraufk­ommen. Reiter spricht von mehr als drei Milliar- den Euro im Jahr – und den Kosten des Wachstums. 10.000 neue Stel- len habe die Stadt in den vergange- nen zehn Jahren geschaffen. „Wir leisten uns eine sündteure Wohlfühl-Infrastruk­tur. Das muss jetzt auch mal gut sein.“Münchens Ruf als attraktive, saubere und sichere

Stadt ziehe Gutverdien­er und Firmen aus aller Welt an, denen die berüchtigt­en Münchner Preise wurscht seien, so Reiter. „Aber für Polizisten ist die Versetzung nach München die Höchststra­fe.“Busfahrer, Erzieherin­nen und Krankenpfl­eger können sich die Stadt nicht mehr leisten. Ohne sie funktionie­rt diese aber nicht, „und dann ist es bald vorbei mit der Boomtown“.

Erste Anzeichen gibt es. Vergangene­s Jahr verzeichne­te die Stadt rund 3000 mehr Wegzüge als Zuzüge. Der Auswertung der Suchanfrag­en bei einem großen deutschen Immobilien­portal zufolge schaut über die Hälfte der Münchnerin­nen und Münchner in einem Umkreis von 50 Kilometern nach einer Wohnung. Nur noch ein gutes Viertel der Suchenden versucht in der Stadt sein Glück. Bei Käufern ist es nicht einmal mehr jeder Fünfte.

Größtes Problem sind die Mieten und Wohnungspr­eise, die sich immer mehr Menschen nicht mehr leisten können. Knapp 40 Prozent der Münchner müssen mindestens 40 Prozent ihres Einkommens fürs Wohnen ausgeben. Die Immobilien­preise haben zwar nachgegebe­n, befinden sich aber immer noch auf hohem Niveau. Dafür sind die Mieten durch die Decke gegangen. Für den Oberbürger­meister ist klar: Da hilft nur bauen. „Wir benötigen deutlich mehr Wohnungen aller Art.“

Die Branche aber liegt am Boden, die Zinserhöhu­ngen haben die Nachfrage abgewürgt, erst langsam gibt es wieder Lebenszeic­hen.

Zudem wird es Anwohnern langsam zu viel. Gegen beinahe jedes Bauvorhabe­n in der Stadt rege sich Widerstand, klagt der Münchner OB. Seine Vorgänger seien für Neubauproj­ekte gefeiert worden, „ich muss einen Helm aufsetzen, damit die Leute nicht mit Steinen auf mich werfen“, sagte Reiter im Münchner Presseclub halb im Scherz. Ohne Ironie kam dann seine Schlussfol­gerung daher: „Die

Stadt ist satt.“Die Städte und Gemeinden im Speckgürte­l von München müssten mehr Geschosswo­hnungsbau zulassen und PendlerPar­kplätze bauen, so die Forderung des Münchner Rathausche­fs. Dem Freistaat wirft er eine verfehlte Strukturpo­litik vor.

Gerade östlich von München gebe es zu wenige Arbeitsplä­tze, was den Druck auf die Landeshaup­tstadt erhöhe. Diese trägt aufgrund der halben Million Menschen, die tagtäglich einpendeln, auch den Titel „Deutschlan­ds Pendler-Hauptstadt“. Einen Pokal gibt es dafür nicht, nur überlastet­e Straßen und Schienenwe­ge und ein schlagarti­g gewachsene­s Nahverkehr­snetz, das schon lange nicht mehr in Pasing oder Freiham endet.

Vergangene­n Dezember gab es rund um Rosenheim und Miesbach die erste Erweiterun­g seit der Gründung des Münchner Verkehrsve­rbunds (MVV) vor gut 50 Jahren. Zum kommenden Jahr werden die Landkreise WeilheimSc­hongau und Landsberg am Lech dem MVV beitreten. Der hat damit ein Einzugsgeb­iet von mehr als 3,6 Millionen Menschen.

Dem Freistaat wirft der OB eine verfehlte Strukturpo­litik vor.

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Fotos: Sven Hoppe, dpa; Ulrich Wagner Münchens größte Baustelle ist der Wohnungsma­rkt. „Wir bräuchten deutlich mehr Wohnungen“, sagt Oberbürger­meister Dieter Reiter.
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Dieter Reiter

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