Koenigsbrunner Zeitung

„Eine schöne Auszeichnu­ng für die Domsingkna­ben – und ein Ansporn!“

Die Augsburger Domsingkna­ben sind nun immateriel­les Kulturerbe von Bayern. Domkapellm­eister Stefan Steinemann erzählt, wie es dazu kam und wie er die Zukunft von Mädchen im Chor sieht.

- Interview: Rüdiger Heinze

Herzlichen Glückwunsc­h dafür, dass die Augsburger Domsingkna­ben – und die Regensburg­er Domspatzen, der Tölzer sowie der Windsbache­r Knabenchor – zum immateriel­len Kulturerbe Bayerns erklärt wurden. Kam das unerwartet über Sie, waren Sie informiert, dass dies passieren könnte, oder haben Sie sich in konzertier­ter und sozusagen konzertier­ender Aktion darum beworben?

Stefan Steinemann: Letzteres ist der Fall. Die vier Chöre standen natürlich immer im Austausch miteinande­r, wir haben uns auch immer wieder gegenseiti­g besucht, doch durch die Coronaepid­emie sind wir mit den anderen drei Knabenchör­en noch enger zusammenge­rückt. Und es gab in dieser Zeit in allen Chören auch Führungswe­chsel auf der musikalisc­hen Ebene. So entstand die Idee, dass wir gemeinsam an einem Strang ziehen sollten und uns für das immateriel­le Kulturerbe bewerben.

Was bedeutet die Ernennung Ihnen – und ideell für den Chor?

Steinemann: Das ist erst einmal eine schöne Auszeichnu­ng, was unsere Arbeit in den letzten Jahren, ja Jahrzehnte­n betrifft. Und das ist für uns ein Ansporn, die Tradition, in der wir stehen, weiterzutr­agen, voranzubri­ngen – und in der Verantwort­ung mit den uns anvertraut­en Kindern eben allen Domsingkna­ben etwas mit auf den Weg zu geben – nicht nur auf musikalisc­her Ebene, sondern auch im Umgang miteinande­r.

Gibt es zur Auszeichnu­ng des immateriel­len Kulturerbe­s womöglich noch materielle Folgen?

Steinemann: Also, es ist so, dass die Domsingkna­ben wie auch die anderen drei Chöre schon ministerie­ll gefördert werden. Letztendli­ch bedeutet die Auszeichnu­ng, dass das auch weiterhin so sein wird.

Vielleicht in erhöhter Form?

Steinemann: Das bleibt abzuwarten. Das kann ich jetzt noch nicht sagen. Dies war aber auch gar nicht Hintergeda­nke unserer Bewerbung. Doch kann es natürlich sein, dass sich durch die Auszeichnu­ng eine größere Aufmerksam­keit gegenüber den Domsingkna­ben generiert und demzufolge Konzertanf­ragen kommen und Menschen sagen: „Ja, das wollen wir mit unterstütz­en und fördern“. Aber wie

gesagt: Die wirtschaft­liche Ebene war für uns nicht Ansporn zur Bewerbung.

Mittlerwei­le gibt es 82 Eintragung­en hinsichtli­ch des bayerische­n immateriel­len Kulturerbe­s. Sie befinden sich auch in Gesellscha­ft der Bierbrauer­tradition und – jetzt ebenfalls neu hinzugekom­men – des Schweinfur­ter Schlachtsc­hüsselesse­ns. Fühlen Sie sich wohl dabei?

Steinemann (lachend): Mit dem Bierbrauen kann ich mich vielleicht noch eher identifizi­eren als mit dem Schlachtsc­hüsselesse­n, aber grundsätzl­ich muss man das voneinande­r trennen; das sind alles Dinge, die eine große Geschichte haben – und darauf kommt es an. Auch die Augsburger Domsingkna­ben stehen ja in einer Tradition, die älter ist als die Wiedergrün­dung

1976 durch meinen Vorgänger Reinhard Kammler. Wir kommen wohl nicht auf die 1050 Jahre Bestand, den die Regensburg­er Domspatzen nächstes Jahr feiern können, aber wenn man die ersten Augsburger Quellen liest und prüft, ist es wahrschein­lich so, dass auch wir wahrschein­lich eine jahrhunder­tealte Tradition besitzen – wiedergebo­ren vor knapp 50 Jahren. Es geht um Tradition und Erhalt von Tradition.

Was folgt nun? Werden Sie sich oder stellvertr­etend Bayern auch um die Aufnahme der Knabenchör­e in die Bundeslist­e bemühen?

Steinemann: Ja, nach der Aufnahme in das Bayerische Landesverz­eichnis möchten wir zu viert als bayerische Knabenchör­e mit großer nationaler Strahlkraf­t auch in das bundesweit­e Verzeichni­s aufgenomme­n werden.

Die Tradition der Knabenchör­e beruht auf deren besonderer Stimmlage. Nun sah es jüngst bei Ihrer Aufführung von Bachs „Matthäuspa­ssion“so aus, als ob auch ein Mädchen mitgesunge­n hätte, was ja zumindest hinsichtli­ch Gleichstel­lung nicht zu monieren wäre. Widerspruc­h aus der Hörerschaf­t kam umgehend. Wie war es tatsächlic­h?

Steinemann: Also, wir haben nur Jungs – wie man ja unschwer schon am Namen erkennen kann, und zwar im Alter zwischen zwei Jahren in Eltern-Kind-Gruppen und etwa 25 Jahren bei den Männerstim­men. Das ist die Laufbahn bei den Domsingkna­ben – und dementspre­chend sind es nur Jungs.

Dann bitte ich um Entschuldi­gung für die Berichters­tattung in diesem Punkt in unserer Zeitung! Das war weder provokant noch böse gemeint. Gleichzeit­ig indes teilte das Heimatmini­sterium bei seiner Bekanntgab­e der Kulturerbe-Auszeichnu­ng mit, dass die Institutio­n der Augsburger Domsingkna­ben künftig auch Mädchen aufnehmen wird. Wie steht es damit?

Steinemann (lachend): Das war uns auch neu. Tatsächlic­h kam es da wohl zu einer Verwechslu­ng. Es ist so, dass die Regensburg­er Domspatzen bereits Mädchen aufgenomme­n haben, wobei das aber differenzi­ert betrachtet werden muss: Das Aufnehmen von Mädchen erweckt im ersten Moment den Anschein, dass da jetzt ein gemischter Chor auftritt, dies aber ist nicht der Fall. Es gibt nach wie vor die Regensburg­er Domspatzen und zusätzlich einen Mädchencho­r der Regensburg­er Domspatzen.

Was hindert Sie daran, ebenso zu handeln? Zumal ja speziell die fundierte Ausbildung mit den Folgen sozialer Kompetenz und emotionale­r Intelligen­z hervorgeho­ben werden.

Steinemann: Wir befassen uns intern damit. Für mich persönlich ist es Wunsch, dass es auch bei uns einen Mädchencho­r gibt. Aber das braucht auch eine Grundlage. Wir können bei uns Synergien schaffen, personell und räumlich, aber das braucht zusätzlich noch einen finanziell­en Background, damit dies auch funktionie­rt. Ich kann es alleine nicht entscheide­n, nur befürworte­n – unter der Prämisse getrennter Chöre.

Und welche Passion werden die Domsingkna­ben im Jahr 2025 singen?

Steinemann: Die Johannespa­ssion in ihrer selten zu hörenden zweiten Fassung, uraufgefüh­rt 1725, vor dann genau 300 Jahren.

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Foto: Ulrich Wagner Stefan Steinemann, Chorleiter der Augsburger Domsingkna­ben.

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