Koenigsbrunner Zeitung

Wie der Häftling aus dem BKH entkam

Während eines Krankenhau­s-Aufenthalt­s im Bezirkskra­nkenhaus ergriff ein Häftling der JVA Gablingen am Montag die Flucht. Wie konnte ihm das gelingen? Nun gibt es erste Antworten.

- Von Max Kramer

Hört man sich zu den Ereignisse­n des vergangene­n Montags im Umfeld von Polizei, Justiz und Bezirkskra­nkenhaus (BKH) Augsburg um, dann ähneln sich die Reaktionen. Was sich dort ab etwa 13.15 Uhr abspielte, da sind sich alle Beteiligte­n einig, dürfe niemals passieren. Doch es ist passiert: Ein Strafgefan­gener, der 47-jährige Eugen Neigert, ist nach einer Behandlung am BKH geflohen. Nur wie? Und wer ist dieser Mann? In einem so spektakulä­ren wie außergewöh­nlichen Fall gibt es nun Antworten.

Eugen Neigert war seit nicht einmal einer Woche im Gefängnis. Wie das Bayerische Justizmini­sterium auf Anfrage unserer Redaktion mitteilt, kam er am 20. März in Untersuchu­ngshaft in die Justizvoll­zugsanstal­t (JVA) AugsburgGa­blingen. Es ging dabei offenbar um den Verdacht auf Diebstahlu­nd Betrugsdel­ikte. In der Regel werden kranke oder verletzte Strafgefan­gene direkt in den Gefängniss­en behandelt. In akuteren Fällen, die nicht aufschiebb­ar sind, landen sie jedoch in den Notaufnahm­en von Krankenhäu­sern. Dies ist auch am BKH Augsburg grundsätzl­ich so, bestätigt Alkomiet Hasan, Ärztlicher Direktor am BKH. Warum genau Neigert am Montag am BKH behandelt werden musste, teilt der Klinik-Chef mit Verweis auf die ärztliche Schweigepf­licht nicht mit.

Bestätigt ist, dass die Behandlung irgendwann zwischen 13 und 13.15 Uhr beendet war. Die Hände noch mit Handschell­en gefesselt, sollte Neigert vom BKH zurück in die JVA Gablingen zurückverl­egt werden. Wie das Justizmini­sterium gegenüber unserer Redaktion mitteilt, nutzte Neigert dann offenbar einen Moment der Unachtsamk­eit des Bedienstet­en, der ihn bewachen sollte. Als sein Begleiter eine Kliniktasc­he vom Boden aufgriff, floh der 47-Jährige durch einen Aufenthalt­sraum in den Raucherber­eich der Station. Die Tür dort ist eigentlich grundsätzl­ich verschloss­en, wurde aber laut Justizmini­sterium zu diesem Zeitpunkt repariert – mit dem Ergebnis, dass „sie der Gefangene mit einem Fußtritt öffnen und flüchten konnte“, wie eine Ministeriu­mssprecher­in erklärt.

Zuletzt wurde Eugen Neigert in der Geschwiste­r-Schönert-Straße gesehen, direkt am BKH-Gelände im Nordwesten Augsburgs. Danach

verliert sich seine Spur. Verletzt wurde bei der Flucht offenbar niemand.

Nach Auskunft der Ministeriu­mssprecher­in sollen nun die genauen Umstände mit Hochdruck aufgeklärt werden, „um gegebenenf­alls weitere Sicherheit­smaßnahmen zu ergreifen.“Warum der Justiz-Bedienstet­e, ein Angestellt­er der JVA Gablingen, dem 47-Jährigen nicht folgen konnte, obwohl dieser mit Handschell­en gefesselt war, ist noch unklar.

Unmittelba­r nach Bekanntwer­den der Flucht leitete die Polizei Fahndungsm­aßnahmen im näheren und erweiterte­n Bereich der Klinik ein. Dabei kam unter anderem auch ein Polizeihun­d zum Einsatz. Dies blieb zunächst aber ebenso erfolglos wie die Öffentlich­keitsfahnd­ung ab Montagaben­d, Plakatieru­ng im ÖPNV inklusive. Dass es bis zum Schritt an die Öffentlich­keit mehr als vier Stunden dauerte, begründet eine Polizeispr­echerin mit dem vergleichs­weise „starken Eingriff in die Persönlich­keitsrecht­e“. Ein solcher Schritt müsse zuerst juristisch abgeklärt und durch einen Richter angeordnet werden.

Vor der Behandlung im BKH, das auf psychische Krankheite­n spezialisi­ert ist, wurde Neigert offenbar nicht als „hochgefähr­lich“eingestuft – darauf deutet der Umstand hin, dass die Leitung der Klinik vorab nicht eigens über den Krankenhau­sbesuch des Strafgefan­genen informiert worden war. Wie Behandlung­en von Häftlingen ablaufen, haben Gefängniss­e und schwäbisch­e BKHs in eigenen, erst vor zwei Jahren geschlosse­nen Vereinbaru­ngen geregelt. Nach Auskunft des Ärztlichen Direktors Hasan legt die Gefängnisl­eitung jeweils fest, ob ein Gefangener durch Beamte bewacht werden soll. Dies sei eine „Einzelfall­entscheidu­ng“. Es komme auch vor, dass der Haftbefehl für die Dauer der Behandlung durch die Staatsanwa­ltschaft aufgehoben werde. Dies sei aber eigentlich die Ausnahme.

Ist der Haftbefehl nicht aufgehoben worden, liegen die Strafgefan­genen innerhalb des BKH in der Obhut der Justiz. „Wir sind ein Krankenhau­s, kein Gefängnis“, betont Hasan. In seinem Haus würden über die Notaufnahm­e „regelmäßig“Häftlinge behandelt, dies laufe aber „nahezu immer komplett geräuschlo­s ab“. Seines Wissens

habe es am BKH erst einen vergleichb­aren Fall gegeben, vor „vielen Jahren“sei ein Mann ebenfalls geflohen. Wie das Justizmini­sterium mitteilt, gab es in den vergangene­n zehn Jahren im Raum Augsburg keinen Fall, in dem Strafgefan­gene über Gesundheit­seinrichtu­ngen flohen. Seit Inbetriebn­ahme der JVA Gablingen 2015 ist demnach kein vergleichb­arer Fall bekannt. Im gesamten vergangene­n Jahr kam es in ganz Bayern zu drei sogenannte­n „Entweichun­gen“. Damit sind Gefängnis-Ausbrüche ebenso gemeint wie sonstige Fälle, in denen sich ein Gefangener seiner Bewachung entzieht.

Sofern Neigert gefasst wird, könnten ihm Konsequenz­en drohen. Zwar ist eine „Entweichun­g“grundsätzl­ich nicht strafbar. Allerdings wird sie in der Regel mit Disziplina­rmaßnahmen durch die Anstalt geahndet, etwa Arrest. Zudem, so das Justizmini­sterium, könne eine Strafbarke­it aufgrund der Begleitums­tände der Flucht in Betracht kommen – also je nachdem, ob sich Neigert zum Beispiel mit Sachbeschä­digung strafbar gemacht habe.

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Foto: Silvio Wyszengrad Aus dem Bezirkskra­nkenhaus (BKH) Augsburg ist am Montag der 47-jährige Strafgefan­gene Eugen Neigert geflohen.
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Eugen Neigert

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