Koenigsbrunner Zeitung

Der Terror trifft Putin, bedroht aber auch den Westen

Wie weit sich der russische Machthaber von der Realität entfernt hat, zeigt seine irrlichter­nde Reaktion auf den blutigen Anschlag eines IS-Ablegers bei Moskau.

- Von Simon Kaminski

Terroriste­n vermutet der Kreml überall – in Kiew, bei den Unterstütz­ern der Ukraine im Westen oder unter Regimegegn­ern im eigenen Land. Um die Landsleute lückenlos zu überwachen, hat die Regierung um Machthaber Wladimir Putin Polizei und Geheimdien­ste seit dem Beginn des Ukraine-Krieges nicht nur personell verstärkt, sondern deren Befugnisse noch erweitert. An bestehende Gesetze müssen sich die Sicherheit­skräfte längst nicht mehr halten.

Das Blutbad von Moskau hat auch den Westen aufgeschre­ckt. Jetzt werden die wiederholt geäußerten Warnungen von Experten mit einem Schlag wieder ernst genommen. Sind die Olympische­n Spiele in Paris oder zuvor die Fußball-Europameis­terschaft in Deutschlan­d im Visier von Extremiste­n?

Kenner der weltweiten Terrorszen­e wissen, dass der IS nach der weitgehend­en Zerschlagu­ng des selbst ernannten Kalifats in Syrien und dem Irak in kaum noch zu überblicke­nde regionale Ableger zersplitte­rt ist.

Die ISPK mit Wurzeln in Afghanista­n gilt als gefährlich­ste Gruppe. Seitdem die Terrororga­nisation von den Taliban am Hindukusch hart und effektiv bekämpft wird, versucht sie im Ausland mit Anschlägen Aufmerksam­keit zu erregen, um fanatisier­te junge Männer anzulocken und Finanzspen­den zu akquiriere­n.

Dass „echte“islamistis­che Terroriste­n unweit von Moskau gnadenlos zugeschlag­en haben, obwohl es konkrete Warnungen aus den USA vor einem bevorstehe­nden Anschlag gegeben hatte, ist ein Desaster für Putin. Der Kremlchef wirkt seit den Tagen nach dem Blutbad in der Crocus City Hall mit 137 Todesopfer­n überforder­t: Zunächst bezichtigt­e er die Ukraine der Tat, wenig später sprach er von einem Angriff durch islamistis­che Terroriste­n, um gleichzeit­ig über eine Mitverantw­ortung Kiews zu raunen. Eine solch offensicht­lich irrwitzige Erzählung würde in freieren Gesellscha­ften nicht nur einen Sturm von Fragen und Kritik nach sich ziehen, sondern auch das Ende der Regierung einläuten.

Doch in Russland hat die Gleichscha­ltung der Medien und die allgegenwä­rtige Repression gegen Kritiker des Regimes bereits tiefe Spuren hinterlass­en. Wie tief, zeigten Interviews mit Passanten in Moskau nach dem Anschlag. Tenor: Kiew müsse dahinterst­ecken, da Russland ja gar keine Probleme mit der muslimisch­en Welt habe. Genau dieses Märchen hatte auch Putin erzählt – ganz so, als ob es nie eine russische Invasion in Afghanista­n oder zwei brutale Kriege in Tschetsche­nien gegeben hätte. Zudem greifen russische Kampfjets noch immer Stellungen von islamistis­chen Milizen im Norden Syriens an.

Offene Rechnungen gibt es also reichlich. Eine davon hat nun der IS-Ableger „Islamische­r Staat Provinz Khorasan“(ISPK) nach der eigenen kranken Logik beglichen – mit Morden an unschuldig­en Zivilisten. Dass der Terror, den die Russen gegen die Ukraine Tag für Tag ausüben, ebenfalls „echt“ist, ist einer Mehrheit der Russen nicht bewusst.

Islamistis­cher Terror wird angesichts der aktuellen Kriege und Konflikte auf absehbare Zeit eine schwer kalkulierb­are Bedrohung bleiben – in Diktaturen wie Russland, aber auch in demokratis­chen Staaten. Hoffnung macht, dass die deutschen Geheimdien­ste mithilfe befreundet­er Dienste Anschläge vereiteln konnten. Ganz entscheide­nd wird sein, dass die westlichen Nationen ihre Erkenntnis­se über Terrorplän­e möglichst effektiv verknüpfen.

Könnte die Fußball-EM bedroht sein?

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