Deutschland erfüllt seine Staatsräson nicht
Kanzler Scholz hat sich die Sicherheit Israels zu eigen gemacht, wie seine Vorgängerin Angela Merkel. Doch im Ernstfall könnte nur sehr bedingt Hilfe geleistet werden.
Nach dem iranischen Angriff auf Israel taucht der erhabene Begriff der Staatsräson aus dem Nebel der Gefechtsmeldungen auf. Deutschland hat die Sicherheit des jüdischen Staates bekanntlich zu seiner eigenen Sache gemacht, was eine Besonderheit ist. „Die Sicherheit Israels ist deutsche Staatsräson“, versprach Bundeskanzler Olaf Scholz nach dem grausamen Massaker der Hamas vom 7. Oktober. Er ging damit rhetorisch über seine Vorgängerin Angela Merkel hinaus, die 15 Jahre davor im israelischen Parlament erklärt hatte, dass die historische Verantwortung für Israel Teil der deutschen Staatsräson sei.
Schon seinerzeit wurde darüber diskutiert, was genau dieses Bekenntnis bedeutet und was es in der brutalen Wirklichkeit des NahostKonfliktes wert ist. Der Begriff der
Staatsräson stammt aus dem kriegerischen Italien der Renaissance. Meisterdenker Niccolò Machiavelli verstand darunter die Sicherheit und Aufrechterhaltung des Staates, für die notfalls alle Mittel recht seien. Im Zweifel dürfen zur Erreichung dieses Ziels die Rechte der Bürger eingeschränkt werden.
Im heutigen Begriffsverständnis in Deutschland geht es nicht mehr um die Einschränkung von Rechten, wohl aber um Sicherheit. Während jene Israels akut und direkt bedroht ist, gilt für die Bundesrepublik zumindest eine mittelbare Bedrohung wegen des Kriegs in der Ukraine. Leider ist festzustellen, dass trotz der Zusagen von Scholz und Merkel an Israel die Lektionen Machiavellis hierzulande nicht oder ungenügend verstanden werden.
Die vornehmste Pflicht des Staates ist der Schutz seiner Bürger, also innere und äußere Sicherheit. Dieses Verständnis war in Deutschland seit der Wiedervereinigung in einen Dornröschenschlaf gefallen, doch selbst nach dem russischen Überfall auf die Ukraine tappt die Bundesrepublik
im Halbschlaf durch die Zeitenwende. Der Staat, der die Sicherheit Israels zu seiner Aufgabe macht, hätte einem Angriff mit Raketen und Drohnen wenig entgegenzusetzen. Die deutsche Luftverteidigung ist schwach, Schutzräume und Bunker gibt es kaum noch.
Die Einheiten der Bundeswehr wären Angriffen mit Drohnen ohne Gegenwehr ausgeliefert. Zur Verteidigung
der Seewege gegen den Beschuss der vom Iran benutzten Huthi-Rebellen hat die Bundeswehr mühsam die Fregatte Hessen zusammengekratzt, die jetzt zum Schutz der Ostsee fehlt. Die Aufzählung ließe sich beliebig fortsetzen.
Nun ist es nicht so, dass Deutschland gar nichts tut. Berlin liefert Israel medizinische und militärische Ausrüstung. Deutschland baut und bezahlt U-Boote der israelischen
Marine, die Atomraketen abfeuern können und damit neben der „Eisernen Kuppel“die Lebensversicherung des Landes sind. Und natürlich kann Deutschland mit seiner hervorragenden Bonität den Verbündeten finanziell über Wasser halten.
Ist damit der deutschen Staatsräson Genüge getan? Eine an Angela Merkel gerichtete Antwort gab seinerzeit Altkanzler Helmut Schmidt. Für Israels Sicherheit mitverantwortlich zu sein, sei eine „gefühlsmäßig verständliche, aber törichte Auffassung, die sehr ernsthafte Konsequenzen haben könnte“, meinte er. Wenn es beispielsweise zum Krieg zwischen Israel und Iran käme, „dann hätten nach dieser Auffassung die deutschen Soldaten mitzukämpfen“. Schmidt ahnte voraus, was nun eingetreten ist. Doch wegen des Zustands der Streitkräfte könnte die Bundeswehr das gar nicht. Deutschland muss erst seine eigene Staatsräson wieder ernst nehmen, bevor es sie glaubhaft für Israel aussprechen kann. Die Israelis wissen das und verlassen sich höchstens auf die Amerikaner.
Vornehmste Pflicht des Staates ist der Schutz der Bürger.