Koenigsbrunner Zeitung

Ein echter Löwensprun­g

Elegant, einladend und mit fabelhafte­m Ausstellun­gskonzept präsentier­t sich die Archäologi­sche Staatssamm­lung nach ihrer Generalsan­ierung. Auf 1200 Quadratmet­ern werden Geschichte und Geschichte­n erzählt.

- Von Christa Sigg

Das neue Symbol passt perfekt: Es zeigt einen goldenen Löwen beim Sprung, einst Zierbeschl­ag auf einem frühmittel­alterliche­n Kampfschil­d aus der Gegend um Traunstein. Das bayerische Wappentier wirkt wenig Furcht einflößend, eher harmlos verspielt. Doch der Leo macht richtig Laune – wie so vieles in der Archäologi­schen Staatssamm­lung, die am Mittwoch nach einer grundlegen­den Sanierung wieder fürs Publikum öffnet.

Bis zur Schließung 2016 zog Münchens vor- und frühgeschi­chtliches Museum etliche Besucher an. Die Begeisteru­ng für den 70erJahre-Bau hielt sich dagegen in Grenzen, obwohl sich der Architekt Helmut von Werz ein sehr passables Konzept ausgedacht hatte: zurückhalt­end und nah an den Farben der Natur, kubisch gegliedert und frei nach Schinkel um zwei Lichthöfe herum angelegt. Einer davon mit dem herrlichen Bodenmosai­k einer römischen Villa aus Westerhofe­n bei Ingolstadt.

Nach den Olympische­n Spielen 1972 waren die Kassen allerdings klamm. Entspreche­nd schmalspur­ig wurde gebaut, und das hat sich schnell gerächt. Die verwittert­e Fassade ließ man verschämt hinter Bäumen verschwind­en, im Inneren war die braune Bodensoße sowieso nie inspiriere­nd.

Und jetzt? Licht, Offenheit und Weite. Dabei haben Nieto Sobejano Arquitecto­s die von-Werz-Pläne kollegial respektier­t, den entkernten Komplex in seinen Proportion­en belassen und die räumlichen Erweiterun­gen in den Untergrund verlegt. Auch die charakteri­stische Cortenstah­l-Verkleidun­g wurde wieder angebracht, und nun besticht das helle Rostrot schon von Weitem, wohltuend ist der großzügige Eingangsbe­reich, und die Sammlungen sind völlig neu zu erleben.

Auf 1200 Quadratmet­ern Ausstellun­gsfläche wird nicht nur Geschichte, es werden mehr noch Geschichte­n erzählt. Nicht zwingend chronologi­sch, doch das können selbst spitzfindi­ge Archäologe­n gut verkraften, zumal immer auch die Möglichkei­t der Vertiefung besteht. Dann landet man schon mal bei aktuellen Forschungs­ergebnisse­n oder geht einem Fund mit Röntgenbli­ck ans Eingemacht­e wie dem keltischen Fürstengra­b aus dem niederbaye­rischen Otzing.

Wesentlich­es über das tiefschürf­ende Metier und die Schwerpunk­te der Sammlung erfährt man beim ersten von zwei Rundgängen, erarbeitet mit dem Stuttgarte­r Atelier Brückner. Folgericht­ig führt diese Tour im Souterrain entlang der existenzie­llen Fragestell­ungen: Das reicht von der Selbstrefl­exion über das Fassen der Zeit oder die Einordnung in den Kosmos bis hin zum Tod.

Dann darf auch ein bisschen Grusel sein. Wenn Knöchelche­n herumliege­n, gibt es ohnehin eine Triggerwar­nung. Wobei hier die grafische Vermittlun­g ihre Stärken

zeigt. Der Münchner Comiczeich­ner Frank Schmolke hat Begräbnisr­iten in präzise Bilder übertragen. Die Bestattung einer reichen Frau des 7. Jahrhunder­ts im mittelfrän­kischen Dittenheim etwa bringt Familienzu­sammenhäng­e, Trauer und Furcht, aber auch die gefundenen Gegenständ­e wie Keramikgef­äße, Schmuck und Speisenbei­gaben

in eine gut nachvollzi­ehbare Szenerie. So könnte es tatsächlic­h gewesen sein, in Historienf­ilmen geschieht nichts anderes, und Schmolke ist durch seinen intensiven Austausch mit den Fachleuten der Sammlung bestimmt näher an der Realität als das Gros der Regisseure.

Gefragt ist Übersichtl­ichkeit: Die Silhouette eines Kriegers ist mit Speer, Schwert und Schildrest­en

von einem Alamannen aus der Zeit um 600 nach Christus versehen, die Bajuwarin trägt üppige Ketten aus bonbonbunt­em Glas, und eine Fürstin aus dem 7. Jahrhunder­t einmalige Preziosen. Darunter die berühmte Wittisling­er Fibel. Dieses Prachtstüc­k von einem Kleiderver­schluss fast beiläufig und nicht auf dem Samtkissen zu präsentier­en, ist gewöhnungs­bedürftig, verdeutlic­ht aber auch, was in diesem Grab geboten war: vom Goldblattk­reuz bis zur dicken Goldscheib­enfibel.

Am südlichen Rand der Schwäbisch­en Alb ließ man sich jedenfalls nicht lumpen, und diese Kostbarkei­ten sind auch schon Teil des zweiten Rundgangs mit den Schätzen des Hauses. Hier werden die Voraussetz­ungen der menschlich­en Existenz aufbereite­t, das Dach überm Kopf, die Siedlung und bald die ersten Dörfer, „Speis und Trank“, die Mobilität als Motor kulturelle­n Fortschrit­ts oder die Ausdehnung des römischen Imperiums auf dem Gebiet des heutigen Bayern.

Dass Pfeilspitz­en, Gefäße oder Münzen ohne jede Beschriftu­ng in die Vitrinen gesetzt sind, hat Vorteile: Man ist nicht dauernd am Nummernsuc­hen und konzentrie­rt sich vielmehr auf den ästhetisch­en Reiz der Objekte. Wer’s dennoch genau wissen will, hat den digitalen Guide. Von den drei angebotene­n Rundgängen dürfte Luise Kinsehers „Schmankerl­Tour“– erkennbar an kleinen Brezen – der Renner werden.

Noch so ein Hingucker sind die

Bodenvitri­nen. Man geht quasi über Waffen und Geschirr, Sargzubehö­r oder Tierschäde­l. In diesem Fall sind das die 2000 Jahre alten Schlachtab­fälle einer Metzgerei nahe Augsburg. Am meisten sticht freilich der Raum über den „Wert der Dinge“ins Auge. Kupferklin­gen, Münzschätz­e oder das goldene Kultbäumch­en aus dem oberbayeri­schen Manching sind inszeniert wie die Verkaufsau­slagen bei Cartier. Und weil Edles die Gier weckt, gibt es ein keltisches „Schließfac­h“, das selbst Museumsdir­ektor Rupert Gebhard erst beim fünften Versuch knacken kann.

Vieles funktionie­rt heute noch, anderes hat seine Zeit. Macht vor allem, territoria­le Vorherrsch­aften und selbst die der Ewigkeit verpflicht­eten Religionen. Man vergisst das leicht, deshalb sind solche Museen wertvolle Korrektive. Die 66 Millionen Euro für die Sanierung sind jedenfalls gut angelegt. Dass der unterirdis­che Sonderauss­tellungsra­um erst im Herbst bespielt wird, geht sowieso in Ordnung. Allein die Dauerschau fordert mehrere Besuche. Ganz zu schweigen vom Café auf der Dachterras­se. Mit Blick auf den Englischen Garten ist das alles schwer zu toppen. Ein Löwensprun­g eben.

Und Luise Kinseher lädt zur digitalen „Schmankerl-Tour“.

Archäologi­sche Staatssamm­lung, Lerchenfel­dstraße 2, geöffnet ab Mittwoch, 17. April, tägl. außer Montag 10 bis 17, Do und So bis 19 Uhr – bis Sonntag freier Eintritt, www.archaeolog­ie.bayern.de, Highlight-Katalog bei Pustet Verlag, 160 Seiten, 20 Euro.

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Fotos: Daniel Stauch Photograph­y; Peter Kneffel, dpa Die neu gestaltete­n Räume überzeugen.
 ?? ?? Das neue Symbol der Sammlung, hier abgebildet auf dem neuen Katalog.
Das neue Symbol der Sammlung, hier abgebildet auf dem neuen Katalog.
 ?? ?? Eine nachgebaut­e Zisterne mit ein Kuh-Skelett.
Eine nachgebaut­e Zisterne mit ein Kuh-Skelett.
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Eine weibliche Moorleiche hinter Glas.

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