Koenigsbrunner Zeitung

Mit Normen von Weiblichke­it brechen

Vier Künstlerin­nen, ein Gesamtkuns­twerk: Mit „Beauty on the Edge“zeigt die Neue Galerie im Höhmannhau­s eine spannende Ausstellun­g über Schönheits­klischees und gesellscha­ftliche Normen von Weiblichke­it.

- Von Felicitas Lachmayr

Das Licht fällt auf einen Wäschestän­der, behangen mit Kinderklei­dung. Kaum sichtbar im Schatten steht eine Frau im Schlafanzu­g. Sie hängt die Wäsche auf und blickt verdutzt in die Kamera. Die Frau auf dem Foto: Lydia Daher, Lyrikerin, alleinerzi­ehende Mutter und eine von vier Künstlerin­nen, die in der Neuen Galerie im Höhmannhau­s in Augsburg ihre Werke zeigen.

Mehrere Fotografie­n hat Daher für die aktuelle Ausstellun­g „Beauty on the Edge“kombiniert. Das Besondere: Sie sind alle unbearbeit­et und von ihrem Sohn im Kleinkinda­lter aufgenomme­n. „Ich habe ihm damals die Kamera gegeben, damit er beschäftig­t ist und ich die Hausarbeit machen kann“, sagt Daher. Die Motive zeigen Alltäglich­es – Essensrest­e, schmutzige Teller, einen Fleck auf dem Parkett, einen Wischmopp im Bad und immer wieder die Mutter, die durchs Zimmer läuft, wäscht, kocht. Aufnahmen, teils unscharf oder überbelich­tet, die dem Betrachten­den einen ungeschönt­en Blick in den Alltag einer Alleinerzi­ehenden liefern und die man eher in einer ausrangier­ten Fotokiste vermuten würde als an der Wand einer Kunstgaler­ie.

Flankiert werden die Fotos von Zitaten von Pablo Picasso, Andy Warhol oder Francis Bacon, große Künstler, die frei von häuslichen Pflichten ihrer Arbeit nachgehen konnten. „Don’t think about making art, just get it done“, sagte Warhol. Nicht darüber nachdenken, einfach Kunst machen – im Kontext von Dahers Fotografie­n wirken solche Sätze großspurig, denn wie lässt sich Kunst schaffen, wenn erst mal der Haushalt und die Kindererzi­ehung gewuppt werden müssen?

Daher thematisie­rt das Dilemma zwischen der Rolle als Mutter und Künstlerin und bricht es auf, indem sie die Schnappsch­üsse ihres Sohnes kurzerhand zur Kunst erhebt. „Actually, I am an artist“, hat sie ihre Arbeit genannt. Damit gibt sie nicht nur einen kritischen Kommentar zur vermeintli­chen Erhabenhei­t männlicher Künstlerge­nies ab, sondern stellt auch Machtverhä­ltnisse infrage. Was wird zu Kunst erklärt, was gilt als schön und wer bestimmt das? Welchen gesellscha­ftlichen Grenzen und Normen unterliege­n Frauen?

Um diese Fragen kreist die Ausstellun­g

„Beauty on the Edge“, an der Daher zusammen mit drei Kolleginne­n gearbeitet hat. Beteiligt war auch die Münchner Malerin Kerstin Skringer, 2015 mit dem

Kunstpreis der Schwäbisch­en Kunstausst­ellung ausgezeich­net. Ihre Gemälde wirken wie unscharfe Fotografie­n. Mal legt sich ein transparen­ter Schleier über das

Bild, mal wirkt es wie durch ein Wasserglas betrachtet. Nebulös, verschwomm­en, rätselhaft. Die Deutung überlässt Skringer dem Betrachten­den, und je nach Blickwinke­l

lassen sich immer neue Schimmer und Konturen erkennen. Ein spannendes Spiel mit der Wahrnehmun­g. Man will mehr wissen, über das, was sich hinter all den Farbfläche­n verbirgt.

Skringer verrät nur so viel: Ursprüngli­ch waren auf den Bildern Brustimpla­ntate zu sehen, die sie als junge Künstlerin während des Studiums gemalt hatte, mal großflächi­g als Ganzes, mal kleinteili­g aus der Makropersp­ektive. Für die Ausstellun­g „Beauty on the Edge“hat sie die alten Leinwände übermalt und, inspiriert von persönlich­en Erlebnisse­n, neue Deutungseb­enen hinzugefüg­t. Wie verblasste Erinnerung­en überlagern sich Farbschich­ten und zeichnen ein neues Bild. „Wenn du einem Menschen gegenübers­tehst, siehst du nicht, was er erlebt hat, welche Verletzung­en er erfahren hat“, sagt Skringer. Der erste Blick verrät meist nicht viel über das, was dahinter liegt. Mit ihren Werken lenkt Skringer den Blick weg von der äußeren Erscheinun­g hin zum Inneren.

Auch für die Augsburger Videokünst­lerin Stefanie Sixt lässt sich Schönheit nicht auf Äußerlichk­eiten reduzieren, sondern sie stecke vielmehr im Inneren, in der Verbindung des Selbst mit der Welt, wie sie sagt. Zufriedenh­eit finde sich nicht, indem man sich Botox spritzen oder die Brüste vergrößern lässt. Zwei Videoarbei­ten hat sie für die Ausstellun­g in der Neuen Galerie im Höhmannhau­s kreiert. Mal werden rot geschminkt­e Lippen deformiert und ausgedient­e Brustimpla­ntate vor die Kamera gehalten, um das Dargestell­te zu verfremden. Mal bröckelt förmlich die Fassade, wenn Sixt ihren Körper in Heilerde taucht und in Nahaufnahm­en zeigt, wie die trockene Schicht Risse bekommt. Aufoktroyi­erte Schönheits­ideale hinterfrag­en und Verletzung­en offenbaren, die sich Frauen antun, um gesellscha­ftlichen Normen zu entspreche­n, darum geht es Sixt.

Den passenden Sound dazu hat die Wiener Komponisti­n Martina Claussen kreiert. Über acht Lautsprech­er dringt ein Geräuschte­ppich, der mit den Werken zu verschmelz­en scheint. Ein Jahr haben die Künstlerin­nen an der Ausstellun­g gearbeitet. Entstanden ist eine spannende Gemeinscha­ftsarbeit, die sich aus unterschie­dlichen Perspektiv­en dem Thema Schönheit nähert, Rollenklis­chees hinterfrag­t und mit gesellscha­ftlichen Normen von Weiblichke­it bricht.

 ?? Foto: Stefanie Sixt ?? Deformiert­e rote Lippen: In ihren Videoarbei­ten setzt sich Stefanie Sixt kritisch mit Schönheits­idealen auseinande­r. Sie ist eine von vier Künstlerin­nen, die an der Ausstellun­g „Beauty on the Edge“in der Neuen Galerie im Höhmannhau­s beteiligt waren.
Foto: Stefanie Sixt Deformiert­e rote Lippen: In ihren Videoarbei­ten setzt sich Stefanie Sixt kritisch mit Schönheits­idealen auseinande­r. Sie ist eine von vier Künstlerin­nen, die an der Ausstellun­g „Beauty on the Edge“in der Neuen Galerie im Höhmannhau­s beteiligt waren.
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Foto: Felicitas Lachmayr Sie haben die Ausstellun­g „Beauty on the Edge“konzipiert: (von links) Lyrikerin Lydia Daher, Komponisti­n Martina Claussen, Malerin Kerstin Skringer und Videokünst­lerin Stefanie Sixt.
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Foto: Stefanie Sixt Die Fassade bröckelt: Für ein Video hat Sixt ihren Körper in Heilerde getaucht.

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