Der aufwendige Weg zum Maibaum
Im ganzen Land werden derzeit Maibäume aufgestellt. Die Feuerwehr in Fischach macht das schon seit Jahrzehnten. Die Männer zeigen, wie aus einem Baum im Wald ein Maibaum wird.
Man nehme: ein Dutzend Feuerwehrmänner, drei Traktoren und eine Kettensäge. So beginnt die Mission der Feuerwehr Fischach am Freitagnachmittag. Die Sonne scheint, es hat angenehme 14 Grad, und es riecht nach Nadelbäumen. Wenn die Fischacher um Feuerwehrvorsitzenden Stefan Baran fertig sind, wird im Gemeindewald ein Baum weniger stehen. Er bekommt einen neuen Platz in der Ortsmitte, als Maibaum. In Tausenden Ortschaften werden jedes Jahr aufs Neue die geschmückten Stämme aufgestellt. Die Fischacher Feuerwehrleute zeigen, wie es geht und erzählen, warum sie auch nach Jahrzehnten nicht müde werden, einen Baumstamm durch den ganzen Ort zu tragen.
Kurz nach 14 Uhr, da stehen sie also alle, um einen mit einem gelben „X“markierten Baum. Die zwölf Männer begutachten das Gehölz skeptisch und zeigen alle in eine Richtung, nach Westen. Dahin soll der Baum fallen – und im besten Fall ganz bleiben. Es wird umhergeschaut, zustimmend genickt, und dann kommt der Mann fürs Grobe. Rudolf „Rudi“Kramer wird den Baum fällen. Für ihn ist das Routine. „Ich bin seit 1987 bei der Feuerwehr. Das Fällen übernehme ich seit etwa 20 Jahren“, erzählt Kramer.
Ein paar kräftige Züge an der Kettensäge und sie läuft. Zuerst schneidet er einen Winkel heraus, auf der Seite, zu der der Baum später fallen soll. Dann geht es auf die andere Seite, Rudi sägt waagrecht in den Baum hinein. Ein anderer Mann hält einen Hammer und schlägt derweil ein Stück Holz in den Spalt. Es dauert vier Minuten, dann knistert und kracht es: Der Baum fällt um, genauso wie geplant. Die umherstehenden Männer klatschen, einer ruft ein lang gezogenes „Schön!“.
Schön deshalb, weil der Baum unbeschädigt gelandet ist, ohne sich in den anderen Baumkronen zu verfangen. Dann wäre es nämlich komplizierter geworden. „Das ist der Idealfall“, sagt Stefan Baran. Beim Begutachten des künftigen Maibaums wird geschätzt. Wie hoch er wohl ist? „Das ist besonders vor dem Fällen schwer einzuschätzen“, sagt Baran. Der höchste, an den der Feuerwehrmann sich erinnert, maß 40 Meter. Sein Tipp bei diesem Baum: etwa 25 Meter. Wie sich später herausstellt, war er
nah dran. Der Stamm misst stolze 30 Meter.
Genau diese 30 Meter gilt es nun zur Kapelle im Ortskern zu befördern. Für die Strecke von gut einem Kilometer werden die Fischacher etwa 1,5 Stunden brauchen. Der Stamm wird an einen der Traktoren gehängt und aus dem Wald gezogen. Währenddessen fällt Rudi einen kleineren Baum, der später als Spitze dienen wird. Der Stamm wird derweil immer wieder von einem zweiten Traktor angehoben, zugesägt, eingespannt. Zeit für ein Gespräch über die lange Tradition der Maibäume.
Die meisten der Männer sind gebürtige Fischacher und schon seit ihrer Jugend in der Feuerwehr. So auch Baran. Er ist seit mehr als 20
Jahren dabei und hat mindestens genau so viele Maibäume gesehen. Wie er sagt, sind er und seine Kollegen inzwischen ein eingespieltes Team bei der Aktion Maibaum. Er ist froh, dass die alte Tradition in Fischach weiterhin zelebriert wird. „Tradition verpflichtet. Sie stärkt den Zusammenhalt in der Gemeinde und in unserer Gruppe. So etwa muss unbedingt über die Generationen weitergegeben werden“, findet er.
Traditionell ist auch der sogenannte Maibaumklau. Dabei stehlen Leute aus umliegenden Gemeinden den örtlichen Maibaum, bevor er aufgestellt werden kann. Dieser wird erst nach entsprechenden Verhandlungen und einem angepassten „Lösegeld“, sei es eine
Ladung Bier oder Ähnliches, herausgerückt. Woher der Brauch ursprünglich kommt, ist unbekannt. Wie Baran erzählt, wurde den Fischachern ihr Maibaum noch nie geklaut. „Das traut sich hier niemand. Jeder weiß, dass wir unseren Baum immer streng bewachen“, sagt Baran. Auch dieses Jahr hält er mit einigen anderen Nachtwache, um das Traditionsgut vor Dieben zu schützen. Vor Jahren klauten die Fischacher jedoch selbst mal einen fremden Maibaum geklaut, nämlich 2005 im Nachbarort Döpshofen. „Das war eine Nacht-und-Nebel-Aktion“, erzählt Baran, der selbst jedoch nicht dabei war.
Inzwischen ist die Prozession aus Traktor, Baum und zwei weiteren Traktoren an der Buschelbergstraße
angekommen und wird von dort von zwei Feuerwehrautos eskortiert. Sie blockieren den Verkehr, da der Stamm nur langsam transportiert werden kann. Ein Kleinwagen versucht noch, sich an einem Feuerwehrauto vorbeizudrängen – aber keine Chance. Der Baum wird bereits auf die Straße manövriert. „Also, wir rollen“, spricht Stefan Baran in sein Funkgerät. Um 20 vor vier ist es geschafft, der Stamm liegt am Zielort an der Kapelle St. Leonhard.
In den nächsten vier Stunden wird der Stamm geschmückt. Immer mehr Menschen kommen, um mitzuhelfen. „Wir haben etwa 30 Helfer. Die Jugendfeuerwehr macht die Hauptarbeit beim Schnitzen“, sagt Baran. Das funktioniert so: Thomas Hack, liebevoll „Maibaumwart“genannt, legt fest, wo welches Muster hinsoll. Die Abstände markiert er mit einer Säge. Jede Gruppe bekommt entsprechende Stanzer aus Metall, mal rund, mal rautenförmig. Das Werkzeug wird an die Rinde gedrückt, dann schlägt man mit einem Hammer darauf und schabt die Rinde aus der Form. An manchen Stellen wird die Rinde komplett abgemacht.
Zwei Helferinnen sind Viktoria und Franzi aus Fischach und Walkertshofen. Die beiden 16-Jährigen sind gerade im zweiten Ausbildungsjahr der Jugendfeuerwehr und helfen gerne mit. „Meine ganze Familie ist in der Feuerwehr“, sagt Viktoria. Beiden macht das Engagement bei der Feuerwehr Spaß. „Es ist schön, sich hier mit Freunden zu treffen und gemeinsam an etwas zu arbeiten“, sagt Franzi. Die zwei jungen Frauen möchten auf jeden Fall noch länger bei der Feuerwehr bleiben. In ein paar Jahren könnten sie es dann sein, die den Maibaum durch den Ort transportieren.
Bis um 20 Uhr dauern die Schnitz- und Schmückarbeiten an. Bevor der Maibaum am nächsten Morgen aufgestellt wird, steht noch die Nachtwache am Lagerfeuer an. Stefan Baran und seine Kollegen hüten ihren Baum die ganze Nacht lang. Um acht Uhr morgens kommt ein Kran und stellt den aufwendig gearbeiteten Maibaum auf. Es ist geschafft. Tradition weitergegeben, ein kleines Stück Bayern in Form eines hoch hinausragenden Stammes manifestiert. Zur Belohnung gibt es ein gemeinsames Weißwurstfrühstück und: den Ausblick auf den Maibaum.