Wald voller Wunder
Wasserspeicher, grüne Lunge, Luftsäuberer: Der Wald kann viele tolle Dinge. In Japan gilt Shinrin-yoku, das Waldbaden, sogar als Medizin – nass wird man dabei allerdings nicht.
Wasserspeicher und grüne Lunge – der Wald kann vieles. In Japan gilt Shinrin-yoku, das Waldbaden, sogar als Medizin – nass wird man dabei allerdings nicht.
Waldbaden
„Wenn du dein Immunsystem steigern willst und die Anzahl und Aktivität deiner Killerzellen erhöhen willst,“empfiehlt Dr. Qing Li ein dreitägiges Waldbad. Nass wird man dabei allerdings nicht, sondern damit ist das Eintauchen in die angenehme Atmosphäre des Waldes gemeint. Was ist denn das nun wieder, fragt man sich. Waldbaden klingt wie ein neuer Köder von Tourismusmanagern, um die Menschen in die Provinz zu locken und strukturarme Regionen zu stärken. Warum kann man nicht einfach von Spazierengehen reden? Nun ja, vielleicht steckt ja doch mehr dahinter. Zumindest behauptet das der Umwelt-immunologe und Präsident der Japanischen Gesellschaft für Wald-medizin, Dr. Qing Li, einer der obersten „WaldbadeMeister“Japans. Dort ist „Shinrin-yoku“(jap. für: Waldluftbad) bereits seit Anfang der 80er-jahre als Heilmethode anerkannt. „Während des Waldbadens ist es nicht wichtig, sich körperlich zu verausgaben“, sagt Li, „man sollte den Wald mit allen Sinnen ‚aufsaugen’: dem Murmeln eines Baches lauschen, dem Vogelgesang, die intensive grüne Farbe wahrnehmen, den Duft des Waldes einatmen.“Das klingt charmant und macht sicher gute Laune. Doch was genau hat es mit Medizin zu tun? Der Biologe und Autor Clemens Arvay erklärt den medizini-
schen Nutzen des Waldbadens mit dem
. Dieser beschreibt, dass Bäume im Wald untereinander kommunizieren. Sie schütten chemische Verbindungen aus, sogenannte Terpene, und geben sie an die Luft ab. „So warnen sie andere Pflanzen vor Angreifern oder Schädlingen, die daraufhin ihr Immunsystem hochfahren, um sich zu schützen“, erklärt Arvay. Inzwischen hat man etwa 40.000 dieser „Pflanzenvokabeln“entschlüsselt. Auch wir Menschen empfangen diese Signale und unser Immunsystem reagiert darauf, indem es aktiv wird. Qing Li, die Koryphäe der Waldmedizin, forscht an der Nippon Medical School in Tokio und hat diesen Effekt schon vor einiger Zeit beschrieben. Er fand heraus, dass nach einem Waldspaziergang 50 Prozent mehr weiße Blutkörperchen, so genannte Killerzellen, gebildet werden. Sie bekämpfen sowohl Keime als auch körpereigene Krebszellen. Das hört sich an wie ein kleines Wunder – und ist es auch. Aber damit nicht
„Lege rechtzeitig Pausen ein, lass die Seele nachkommen“
genug, Waldspaziergänge schützen darüberhinaus unser Herz-kreislaufsystem. Sind wir im Grünen, schüttet unser Körper vermehrt das Hormon DHEA aus. Es wird in der Nebennierenrinde gebildet. Bei Stress und zunehmendem Alter lässt die Produktion des Hormons nach, deshalb wirkt die Zeit im Wald neben Seelenbalsam in gewisser Weise wie ein Jungbrunnen. Aber auch Burnout-patienten finden hier die richtige Therapie, denn die Klangwelten des Waldes, wie das Vogelgezwitscher und das Gluckern eines Baches aktivieren den so genannten Ruhenerv, den Parasympatikus, der dafür sorgt, dass die Stresshormone zurückgefahren werden und unser Blutdruck sinkt. Clemens Arvay führt die zugrundeliegenden Studien in seinem Buch „Der BiophiliaEffekt“an. In Japan und den USA hat man die Ergebnisse längst in den Katalog anerkannter Therapien aufgenommen. Aber auch in Deutschland tut sich was. Im Ostseebad Heringsdorf auf Usedom ist gerade der nach eigenen Angaben „erste europäische Kur- und Heilwald“entstanden und an einigen Hochschulen arbeitet man derzeit daran, einen Ausbildungsgang zum Waldtherapeuten zu entwickeln. Auch wenn man noch skeptisch sein mag – Shinrin-yoku ist ein neuer Weg zu einem alten Bekannten: der Möglichkeit, in den Wald zu gehen, ohne auf Nordic-walkingPfaden durchzuhecheln. Peter Wohlleben, Waldexperte und Buchautor, meint: „Auf alle Fälle gibt uns das Waldbaden die Erlaubnis, endlich wieder im Wald herumtrödeln zu dürfen. So wie Kinder es tun.“