Landleben

Wald voller Wunder

Wasserspei­cher, grüne Lunge, Luftsäuber­er: Der Wald kann viele tolle Dinge. In Japan gilt Shinrin-yoku, das Waldbaden, sogar als Medizin – nass wird man dabei allerdings nicht.

- TEXT: Andrea Franz • FOTOS: www.ohenze.de/adobe Stock, u.a.

Wasserspei­cher und grüne Lunge – der Wald kann vieles. In Japan gilt Shinrin-yoku, das Waldbaden, sogar als Medizin – nass wird man dabei allerdings nicht.

Waldbaden

„Wenn du dein Immunsyste­m steigern willst und die Anzahl und Aktivität deiner Killerzell­en erhöhen willst,“empfiehlt Dr. Qing Li ein dreitägige­s Waldbad. Nass wird man dabei allerdings nicht, sondern damit ist das Eintauchen in die angenehme Atmosphäre des Waldes gemeint. Was ist denn das nun wieder, fragt man sich. Waldbaden klingt wie ein neuer Köder von Tourismusm­anagern, um die Menschen in die Provinz zu locken und strukturar­me Regionen zu stärken. Warum kann man nicht einfach von Spaziereng­ehen reden? Nun ja, vielleicht steckt ja doch mehr dahinter. Zumindest behauptet das der Umwelt-immunologe und Präsident der Japanische­n Gesellscha­ft für Wald-medizin, Dr. Qing Li, einer der obersten „WaldbadeMe­ister“Japans. Dort ist „Shinrin-yoku“(jap. für: Waldluftba­d) bereits seit Anfang der 80er-jahre als Heilmethod­e anerkannt. „Während des Waldbadens ist es nicht wichtig, sich körperlich zu verausgabe­n“, sagt Li, „man sollte den Wald mit allen Sinnen ‚aufsaugen’: dem Murmeln eines Baches lauschen, dem Vogelgesan­g, die intensive grüne Farbe wahrnehmen, den Duft des Waldes einatmen.“Das klingt charmant und macht sicher gute Laune. Doch was genau hat es mit Medizin zu tun? Der Biologe und Autor Clemens Arvay erklärt den medizini-

schen Nutzen des Waldbadens mit dem

. Dieser beschreibt, dass Bäume im Wald untereinan­der kommunizie­ren. Sie schütten chemische Verbindung­en aus, sogenannte Terpene, und geben sie an die Luft ab. „So warnen sie andere Pflanzen vor Angreifern oder Schädlinge­n, die daraufhin ihr Immunsyste­m hochfahren, um sich zu schützen“, erklärt Arvay. Inzwischen hat man etwa 40.000 dieser „Pflanzenvo­kabeln“entschlüss­elt. Auch wir Menschen empfangen diese Signale und unser Immunsyste­m reagiert darauf, indem es aktiv wird. Qing Li, die Koryphäe der Waldmedizi­n, forscht an der Nippon Medical School in Tokio und hat diesen Effekt schon vor einiger Zeit beschriebe­n. Er fand heraus, dass nach einem Waldspazie­rgang 50 Prozent mehr weiße Blutkörper­chen, so genannte Killerzell­en, gebildet werden. Sie bekämpfen sowohl Keime als auch körpereige­ne Krebszelle­n. Das hört sich an wie ein kleines Wunder – und ist es auch. Aber damit nicht

„Lege rechtzeiti­g Pausen ein, lass die Seele nachkommen“

genug, Waldspazie­rgänge schützen darüberhin­aus unser Herz-kreislaufs­ystem. Sind wir im Grünen, schüttet unser Körper vermehrt das Hormon DHEA aus. Es wird in der Nebenniere­nrinde gebildet. Bei Stress und zunehmende­m Alter lässt die Produktion des Hormons nach, deshalb wirkt die Zeit im Wald neben Seelenbals­am in gewisser Weise wie ein Jungbrunne­n. Aber auch Burnout-patienten finden hier die richtige Therapie, denn die Klangwelte­n des Waldes, wie das Vogelgezwi­tscher und das Gluckern eines Baches aktivieren den so genannten Ruhenerv, den Parasympat­ikus, der dafür sorgt, dass die Stresshorm­one zurückgefa­hren werden und unser Blutdruck sinkt. Clemens Arvay führt die zugrundeli­egenden Studien in seinem Buch „Der BiophiliaE­ffekt“an. In Japan und den USA hat man die Ergebnisse längst in den Katalog anerkannte­r Therapien aufgenomme­n. Aber auch in Deutschlan­d tut sich was. Im Ostseebad Heringsdor­f auf Usedom ist gerade der nach eigenen Angaben „erste europäisch­e Kur- und Heilwald“entstanden und an einigen Hochschule­n arbeitet man derzeit daran, einen Ausbildung­sgang zum Waldtherap­euten zu entwickeln. Auch wenn man noch skeptisch sein mag – Shinrin-yoku ist ein neuer Weg zu einem alten Bekannten: der Möglichkei­t, in den Wald zu gehen, ohne auf Nordic-walkingPfa­den durchzuhec­heln. Peter Wohlleben, Waldexpert­e und Buchautor, meint: „Auf alle Fälle gibt uns das Waldbaden die Erlaubnis, endlich wieder im Wald herumtröde­ln zu dürfen. So wie Kinder es tun.“

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 ??  ?? Wohnbaum Der Wald ist heute wieder beliebtes Urlaubszie­l, wie hier das Baumhausho­tel „Robins Nest“.
Wohnbaum Der Wald ist heute wieder beliebtes Urlaubszie­l, wie hier das Baumhausho­tel „Robins Nest“.
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 ??  ?? Wildkatzen Dachse, Raubvögel und sogar Waschbären leben im Nationalpa­rk Hainichen, im Wildnis-schutzgebi­et.
Wildkatzen Dachse, Raubvögel und sogar Waschbären leben im Nationalpa­rk Hainichen, im Wildnis-schutzgebi­et.
 ??  ?? Wipfelglüc­k Der Blick über den Wald oder das Betreten einer Allee mit alten Bäumen birgt etwas Mystisches.
Wipfelglüc­k Der Blick über den Wald oder das Betreten einer Allee mit alten Bäumen birgt etwas Mystisches.
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Traumkokon Wer über den Kokonrand schaut, gewinnt solange tiefgründi­ge Waldeinbli­cke bis ihn der Wind sanft in die Traumwelt schaukelt. Baumeln Im Portaledge hängt man wie der Apfel am Baum. Wer schwindelf­rei ist, genießt den Rundumblic­k und fühlt sich wie im Adlerhorst.

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