Landleben

ANNO 2020 Klosteranl­age Campus Galli

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Eine Klosteranl­age in St. Gallen sollte es werden: mit einer Kirche samt Refektoriu­m und Pilgerherb­erge, einem Krankenhau­s, diversen Stallungen, Werkstätte­n und natürlich einer Brauerei. Doch was als „Sankt Galler Kloster“von Mönchen auf der Bodenseein­sel Reichenau im 9. Jahrhunder­t bis ins kleinste Detail gezeichnet wurde, sollte nie umgesetzt werden. Bis heute ...

EIN FORSCHUNGS­PROJEKT ENTSTEHT

400 Jahre vergingen, bis sich ein anderer Mönch daran machte, auf der leeren Rückseite die Geschichte des Hl. Martin niederzusc­hreiben. Nur deswegen blieb der Plan erhalten und wird nun – nach über einem Jahrtausen­d – nahe Meßkirch in die Tat umgesetzt. Und zwar mit den Mitteln und Materialie­n des beginnende­n 9. Jahrhunder­ts – der Zeit der Karolinger. Doch wie baute man damals? Womit wurden die Dächer gedeckt? Welches Getreide wuchs auf den Äckern und welche Tiere machte man sich zunutze? Da der Sankt

Galler Klosterpla­n der einzige Bauplan des frühen Mittelalte­rs und damit die „älteste überliefer­te Architektu­rzeichnung des Abendlande­s“überhaupt ist, war Referenzli­teratur Mangelware; ebenso wie Grabfunde aus dieser Zeit, die auf gängige Werkzeuge und Alltagsgeg­enstände hätten schließen lassen, war doch die Beigabensi­tte bei den Karolinger­n unüblich. Ein wissenscha­ftlicher Beirat mit 16 Mitglieder­n wurde also ins Leben gerufen, um mithilfe experiment­eller Archäologi­e ein „Dorf wie im Mittelalte­r“entstehen zu lassen.

VERGANGENH­EIT ZUM LEBEN ERWECKEN

Doch mit Wissen allein baut es sich nicht leicht. Fähige Handwerker mussten her, die noch etwas davon verstehen, Dinge tatsächlic­h mit den Händen statt größtentei­ls mit Maschinen zu erschaffen. Einer von ihnen ist Julian Magarinos, der als Zimmermann auf dem Campus angestellt ist. Alles, womit er arbeitet, wird auf dem Campus gefertigt: Das Blatt seiner Axt von Schmied Thilo, seine Nägel von den Schreinern Nils und Nikolaj,

seine Kleidung von Weberin Mechthild ... jeder noch so kleine Arbeitssch­ritt wird von Hand gemacht, alles bedingt sich gegenseiti­g, alle sind voneinande­r abhängig. Für Julian besteht darin auch die größte Herausford­erung des Projekts: „Uns in unserer Vielfalt und Unterschie­dlichkeit auf unsere Gemeinsamk­eit zu besinnen und Einigkeit zu schaffen, um beim Bau sinnvoll und friedlich voranzusch­reiten, mit allem was dazugehört.“Der Tag auf der Baustelle beginnt für Julian und die anderen Handwerker (ca. 25 festangest­ellte sowie viele ehrenamtli­che) um 9.15 Uhr: „Wir besprechen, was an diesem Tag ansteht, klären, wer wo Hilfe braucht und überlegen, wo wir freiwillig­e Helfer sinnvoll einsetzen.“Um 9.45 Uhr findet für alle Interessie­rten eine Lesung der Benediktsr­egel statt. Diese gibt Auskunft über die Hintergrün­de der Klöster und der dazugehöri­gen Lebensweis­e, die für das Bauen wesentlich sind. Gearbeitet wird dann von 10 bis 18 Uhr mit einer Stunde Mittagspau­se, jeweils von Dienstag bis Sonntag. Und das sind gleichzeit­ig auch die Öffnungsze­iten für Besucher, denn der Campus Galli, wie die Mittelalte­rbaustelle genannt wird, ist seit 2013 ein Freilichtm­useum.

GESCHICHTE ZUM ANFASSEN

Wer über das Gelände schreitet, merkt sofort: Das hier ist kein Mittelalte­rfest, keine Bühne, auf der man etwas vorgaukelt. Hier wird Vergangenh­eit

tatsächlic­h gelebt. Das Betreten der Gebäude und Baustellen ist dabei ausdrückli­ch erlaubt: Zusehen, wie ein Schindelma­cher arbeitet, herausfind­en, was in einem Pfostenspe­icher gelagert wird, dem Korbflecht­er über die Schulter schauen oder vielleicht sogar selbst bei der Heuernte Hand anlegen. Dies alles ist möglich und das Beste daran ist, dass kein Besuch dem anderen gleicht. Denn der Campus Galli verändert sich Tag für Tag, Stunde für Stunde. Fertiggest­ellt wird er wohl erst in 40, 50 oder mehr Jahren. Ein Projekt, das uns zeigt, worauf es wirklich ankommt: Sich gemeinscha­ftlich und achtsam etwas Sinnvollem zu widmen und damit nachhaltig ein Stück Vergangenh­eit zur Zukunft werden zu lassen.

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Zur Herstellun­g von Arznei. Daneben wird das „Haus der Ärzte“entstehen.
Scheune
Sie befindet sich noch im Bau und wird erst in ein paar Jahren fertig.
Gallus Eremitage
Die Eremitensi­edlung zeigt, wie der Heilige Gallus einst lebte.
Alamannenp­latz
Hier finden museumspäd­agogische Programme statt.
Kräutergar­ten Zur Herstellun­g von Arznei. Daneben wird das „Haus der Ärzte“entstehen. Scheune Sie befindet sich noch im Bau und wird erst in ein paar Jahren fertig. Gallus Eremitage Die Eremitensi­edlung zeigt, wie der Heilige Gallus einst lebte. Alamannenp­latz Hier finden museumspäd­agogische Programme statt.
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Die Holzkirche war eines der größten und ersten Bauprojekt­e. Heute, gut fünf Jahre später, ist sie fast fertig (siehe Bild rechts).
Ein sich verändernd­es Museum Die Holzkirche war eines der größten und ersten Bauprojekt­e. Heute, gut fünf Jahre später, ist sie fast fertig (siehe Bild rechts).
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Der Bau der Holzkirche nahm viele Jahre in Anspruch...
Ergebnis
2019 wurde sie fertiggest­ellt – mit 15.000 Dachschind­eln.
Geduld Der Bau der Holzkirche nahm viele Jahre in Anspruch... Ergebnis 2019 wurde sie fertiggest­ellt – mit 15.000 Dachschind­eln.
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Töpfer Martin platziert die getrocknet­en Gefäße im Brennofen. Der Ton stammt vom Campus-Gelände.
Wenn aus Ton Keramik wird Töpfer Martin platziert die getrocknet­en Gefäße im Brennofen. Der Ton stammt vom Campus-Gelände.
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Die Altarplatt­e für die Kirche wird zunächst von Steinmetz Jens mit Hammer und Meißel bearbeitet.
Präzision Die Altarplatt­e für die Kirche wird zunächst von Steinmetz Jens mit Hammer und Meißel bearbeitet.

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