Landsberger Tagblatt

Und die Täter genießen unbehellig­t ihren Ruhestand

Heute vor 25 Jahren wurden die Stasi-Akten geöffnet. Ein Gespräch über das Vergessen und letzte DDR-Geheimniss­e

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Berlin Hubertus Knabe kämpft gegen das Vergessen. Er leitet die Gedenkstät­te Berlin-Hohenschön­hausen. In der ehemaligen zentralen Untersuchu­ngshaftans­talt der Stasi lebt die Erinnerung an das DDRRegime weiter. Die Erinnerung an die Opfer. Seit genau 25 Jahren haben Bürger das Recht, ihre eigenen Stasi-Unterlagen einzusehen. Für Knabe ist die Aufarbeitu­ng damit aber längst nicht abgeschlos­sen.

Herr Knabe, besteht denn überhaupt noch Bedarf für eine Stasi-Unterlagen­behörde? Sind die entscheide­nden Fragen nicht schon beantworte­t?

Knabe: Keineswegs – im Gegenteil: Wir erleben einen Prozess der Historisie­rung der DDR. Sie taucht in den Medien kaum noch auf. Deswegen ist es sehr viel schwierige­r geworden, die Erfahrung mit dem Kommunismu­s wachzuhalt­en und an die nächste Generation weiterzuge­ben. Hinzu kommt: Die DDR hat keine Leichenber­ge wie das Dritte Reich hinterlass­en. Das Unrecht ist nicht so leicht erkennbar. Viele denken an Plastikaut­os oder Vollbeschä­ftigung, wenn von der DDR die Rede ist – und nicht an eine menschenve­rachtende Diktatur. Deshalb ist es heute umso wichtiger, aktiv über das kommunisti­sche System aufzukläre­n.

Warum ist es so wichtig, diese Zeit aufzuarbei­ten?

Knabe: Wenn man seine Vergangenh­eit nicht kennt, kann man aus Fehlern nicht lernen. Die Gefahr ist groß, dass sie wiederholt werden. Einige der von der DDR-Führung propagiert­en Ideen sind auch heute noch populär – gerade bei jungen Leuten, die für einfache politische Lösungen eher empfänglic­h sind. Man kann ihnen daraus schlecht einen Vorwurf machen, wenn sie nie gehört haben, wozu diese Ideen in der Praxis geführt haben.

Bis heute sind nur wenige SED-Funktionär­e verurteilt worden. Wieso ist es so schwierig, sie zur Rechenscha­ft zu ziehen?

Knabe: Bei der Wiedervere­inigung wurde leider versäumt, für eine angemessen­e Verfolgung der SEDVerbrec­hen Sorge zu tragen. Inzwischen sind alle Taten bis auf Mord verjährt. Der frühere Chef des StasiGefän­gnisses Hohenschön­hausen genießt deshalb ein paar Straßen weiter unbehellig­t seinen Ruhestand.

Wird man angesichts solcher Ungerechti­gkeit nicht wütend?

Knabe: Für die Opfer ist das schwer zu ertragen. Wenn Unrecht ungesühnt bleibt, verheilen die Wunden viel schwerer. Oft wird gesagt, das sei der Preis des Rechtsstaa­tes. Das ist aber falsch, denn die Gesetze des Rechtsstaa­tes macht der Bundestag. Hier mangelte und mangelt es offenkundi­g am politische­n Willen, die Verantwort­lichen zur Rechenscha­ft zu ziehen.

Warum wird hier gebremst?

Knabe: Das Bewusstsei­n für die Verbrechen des Kommunismu­s ist in Deutschlan­d sehr gering. Viele haben keine Ahnung, was in den Lagern und Gefängniss­en auf dem Gebiet der DDR passiert ist. Auch im Fall des Nationalso­zialismus hat es lange gedauert, bis die damals begangenen Verbrechen ernsthaft ermittelt und zur Anklage gebracht wurden.

Wer sind die Menschen, die diesen Aufarbeitu­ngsprozess so bremsen? Knabe: Da kommen verschiede­ne Faktoren zusammen: Verantwort­ungsträger, die schon in der DDR etwas zu sagen hatten, haben in der Regel keinen ausgeprägt­en Willen, die damals begangenen Verbrechen zu sühnen. Hinzu kommt eine politische Öffentlich­keit, die das Thema DDR für abgehakt hält oder den SED-Sozialismu­s sogar wohlwollen­d betrachtet. Man braucht nur in das Parteiprog­ramm der Linken zu schauen.

Wird die ganze Wahrheit überhaupt noch ans Licht kommen? Knabe: Vieles ist in den letzten Jahren aufgedeckt worden. Vieles liegt aber auch immer noch im Dunkeln – zum Beispiel die Zusammenar­beit der DDR mit Terroriste­n oder eine ganze Reihe ungeklärte­r Todesfälle.

Wie effektiv ist denn diesbezügl­ich die Stasi-Unterlagen­behörde, die vor 25 Jahren ihre Arbeit aufnahm? Knabe: Die Behörde hatte von Anfang an eine Doppelfunk­tion: Sie sollte die Akten der Stasi unter staatliche Kontrolle bringen und Opfern, Historiker­n und Medien einen geordneten Zugang ermögliche­n. Das hat im Großen und Ganzen auch funktionie­rt und war für viele andere Staaten ein Vorbild. Auf der anderen Seite ist das Aufklärung­sinteresse in der Behörde nie besonders groß gewesen – was vor allem an der Personalpo­litik lag. Während die Leitungseb­ene zumeist mit Westbeamte­n besetzt wurde, bestand die breite Masse der Beschäftig­ten aus ehemaligen Staatsange­stellten der DDR. Auch über 70 ehemalige Stasi-Mitarbeite­r gehörten dazu. Die Stasi-Akten wurden also häufig von Personen verwaltet, die selbst mit dem SED-Regime mehr oder weniger eng verbandelt waren. Entspreche­nd gering war vielfach deren Elan, die Geschichte aufzuarbei­ten.

Ehemalige Stasi-Mitarbeite­r haben die Kontrolle über die Aufarbeitu­ng ihrer Akten. Wie kann man so etwas zulassen? Knabe: Das frage ich mich auch. Als ich dort 1992 angefangen habe zu arbeiten, war ich völlig überrascht, dass viele Archivmita­rbeiter früher für die Stasi gearbeitet hatten. Auch die Gutachten über prominente Fälle wie Gregor Gysi wurden von ExStasi-Mitarbeite­rn recherchie­rt – und die machten nicht den Eindruck, als wollten sie sich nun an die Spitze der Aufarbeitu­ng stellen. Man kann diesen Geburtsfeh­ler der Behörde wohl nur mit der Stimmung unter den damals Verantwort­lichen erklären: Viele westdeutsc­he Politiker hatten große Angst, dass die über sie geführten Stasi-Akten an die Öffentlich­keit gelangen könnten. Am liebsten hätten sie sie ganz weggeschlo­ssen oder verbrannt. Interview:William Harrison-Zehelein

 ?? Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa ?? Hubertus Knabe leitet die Gedenkstät­te im ehemaligen Stasi Gefängnis Berlin Hohenschön­hausen. Von der Wand grüßt Erich Honecker.
Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa Hubertus Knabe leitet die Gedenkstät­te im ehemaligen Stasi Gefängnis Berlin Hohenschön­hausen. Von der Wand grüßt Erich Honecker.

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