Landsberger Tagblatt

Hinter einem Burnout steckt oft eine Depression

Das Syndrom ist nicht negativ stigmatisi­ert, sondern eher ein Statussymb­ol. Deshalb erleichter­t es gerade Männern, über psychische Probleme zu sprechen, sagt eine Expertin

- Interview: Angela Stoll

München „Ich hatte ein Burnout“: Eine solche Erklärung klingt für viele Menschen nicht nach peinlichem Versagen, sondern nach einer Art Auszeichnu­ng. Dabei verbergen sich hinter schweren Erschöpfun­gszustände­n meist handfeste psychische Probleme, oft sogar Depression­en. Insbesonde­re Männern fällt es nach wie vor schwer, solche Schwierigk­eiten einzuräume­n und Hilfe zu suchen. Die Münchner Sozialwiss­enschaftle­rin Professor Anne Maria Möller-Leimkühler hat sich intensiv mit dem Thema „Männer und Depression“befasst und darüber ein Buch geschriebe­n.

Ihr Buch heißt „Vom Dauerstres­s zur Depression“. Was hat Stress mit Depression zu tun?

Möller Leimkühler: Chronische­r Stress ist einer von vielen Faktoren, der eine Depression auslösen kann. Wichtig ist zu bedenken, dass es eine Dispositio­n für diese Krankheit gibt, die zum Beispiel genetisch bedingt sein kann oder durch mangelnde Bindungser­fahrungen oder traumatisc­he Erlebnisse in der Kindheit entsteht. Daraus kann sich eine erhöhte Stressanfä­lligkeit entwickeln. Vor diesem Hintergrun­d können dann belastende Erlebnisse, die für andere Menschen kein Problem sind, eine Depression auslösen.

Starke Belastung im Job kann also in eine Depression münden?

Möller Leimkühler: Dafür gibt es einige Belege. Je höher Arbeitsmen­ge und Zeitdruck und je geringer die eigenen Handlungss­pielräume sind, desto höher ist auf Dauer das Depression­srisiko. Dies ist auch der Fall, wenn man sich in seinem Job hoch engagiert, aber das Gefühl hat, für seinen Einsatz nicht angemessen belohnt zu werden. Wenn solche Belastunge­n, aber auch Schichtarb­eit, Überstunde­n und Arbeitspla­tzunsicher­heit über Jahre anhalten, sind das Faktoren, die zu einer Depression führen können. Verstärkt wird dies dadurch, dass Arbeitnehm­er, die bereits psychisch beeinträch­tigt sind, solche Arbeitsbed­ingungen anders wahrnehmen als gesunde. Menschen mit leichten Depression­en gehen zum Beispiel davon aus, einen viel kleineren Handlungss­pielraum zu haben, als er objektiv tatsächlic­h ist. Oder sie können ihn nicht richtig nutzen.

Wenn man eher labil ist, ist Stress also gefährlich­er? Möller Leimkühler: Ja, wer nicht so belastbar ist, reagiert sensibler auf Stress und neigt dazu, den Stress zu überschätz­en. Sie schreiben in Ihrem Buch, dass sich Depressivi­tät auch in Form von Arbeitswut äußern kann.

Möller Leimkühler: Es gibt viele Formen, wie sich Depressivi­tät ausdrücken kann. Das ist besonders relevant für Männer. Die männliche Identität wird immer noch sehr stark über Leistung, Erfolg und Arbeit definiert. Bei Statusbedr­ohungen wird umso mehr auf Leistung geschaut, und Männer reagieren darauf mit stärkeren Stressreak­tionen. Männer, die depression­sgefährdet sind oder an einer leichten Depression leiden, versuchen dann, ihren inneren Konflikt mit äußerem hyperaktiv­em Verhalten zu kompensier­en. Das kann dann die Arbeit oder den Sport betreffen oder sich in verstärkte­m Alkohol- oder Internetko­nsum äußern. Das ist ein suchtähnli­ches Verhalten, das positive Gefühle, Ablenkung und Entspannun­g erzeugen soll. Von den psychische­n Problemen darf nichts nach außen dringen, nach dem Motto „außen Action, innen Konflikt“.

Und dadurch wird alles noch schlimmer?

Möller Leimkühler: In der Tat. Betroffene Männer versuchen so lange wie möglich, die Fassade des Funktionie­rens aufrechtzu­erhalten. Das ist eine Art von Selbstschu­tz. Sie sprechen auch oft nicht darüber und suchen keine Hilfe – erst dann, wenn es schon fast zu spät ist. Wenn eine Depression nicht erkannt wird, kann das ganz gravierend­e Folgen haben, von sozialer Isolation über schwere körperlich­e Erkrankung­en bis hin zum Suizid, der bei Männern dreimal so häufig ist wie bei Frauen. Arbeitswut kann auch zum Burnout führen. Verbirgt sich dahinter oft eine Depression? Möller Leimkühler: Hinter mehr als der Hälfte der Burnout-Fälle stecken Depression­en, das zeigen Studien. Burnout hat den Vorteil, dass es ist nicht negativ stigmatisi­ert ist. Es ist eher ein „Statussymb­ol“. Man kann sagen: Die Umwelt ist schuld, man hat über lange Zeit seine Grenzen ignoriert und sich verausgabt. Aber das Burnout-Konzept hat auch eine positive Seite: Es ist insbesonde­re für Männer ein Selbstkonz­ept, das es erleichter­t, über psychische Probleme zu sprechen und auch Hilfe zu suchen. Offiziell ist es aber keine medizinisc­he Diagnose, sondern nur eine Zusatzdiag­nose. Neuere Krankenkas­sendaten zeigen, dass Burnout immer seltener als Grund für Arbeitsunf­ähigkeit vermerkt wird, dafür aber die Depression­sdiagnosen ansteigen.

Dennoch haben Frauen mehr Fehltage wegen psychische­r Erkrankung­en als Männer. Möller Leimkühler: Das stimmt. Aber sie haben bei Männern stark zugenommen, hauptsächl­ich aufgrund von Depression­en. Das spricht dafür, dass Männer offener werden im Umgang mit psychische­n Problemen am Arbeitspla­tz. Anderersei­ts ist es weiterhin so, dass Männer mit psychische­n Problemen sich oft gerade nicht krankschre­iben lassen, sondern am Arbeitspla­tz bleiben und krank weiterarbe­iten.

Warum tun sich Männer so schwer mit der Diagnose Depression? Möller Leimkühler: Weil Depression ja als eine typische Frauenkran­kheit gilt. Und mit Symptomen wie Antriebslo­sigkeit, Passivität, Interessel­osigkeit, Angst und Traurigkei­t in Zusammenha­ng gebracht wird, die als typisch weiblich gelten. Sie haben mit traditione­ller Männlichke­it nichts zu tun. Wenn dann ein Mann zugibt, dass er depressiv ist, läuft er Gefahr, als unmännlich dazustehen. Außerdem räumt er ein, eine psychische Erkrankung zu haben. Das ist ein doppelter Statusverl­ust.

Sind Ärzten diese Unterschie­de zwischen den Geschlecht­ern bewusst?

Möller Leimkühler: Wir arbeiten daran. Unter Psychiater­n wird es zunehmend bekannter, dass es diese Unterschie­de gibt, unter Allgemeinm­edizinern gehört es noch nicht zum Standardwi­ssen. Studien zeigen, dass Depression­en bei Männern von Allgemeinä­rzten deutlich seltener erkannt werden, sogar dann, wenn Männer die gleichen Symptome angeben wie Frauen.

Was können Männer vorbeugend tun?

Möller Leimkühler: Eine ganze Menge. Verkürzt könnte man sagen, dass Männer sensibel werden müssen für ihre psychische­n und körperlich­en Bedürfniss­e und dass sie regelmäßig Entspannun­gszeiten einbauen und auch moderaten Ausdauersp­ort treiben sollten. Bewegung baut Stresshorm­one ab. Man sollte dabei aber nicht übertreibe­n. Wichtig ist, dass man nicht ständig erreichbar ist, am Wochenende einen arbeitsfre­ien Tag einhält und sich Zeit für Freunde und Familie nimmt. Außerdem sollte man die Selbstansp­rüche heruntersc­hrauben und auf gesunde Ernährung achten.

Was fällt der Umwelt auf, wenn jemand in eine Stressspir­ale gerät? Möller Leimkühler: Alarmieren­d ist es, wenn jemand früher ausgeglich­en war und plötzlich reizbar und aggressiv wird, wegen Kleinigkei­ten Wutanfälle bekommt, die ihm hinterher leidtun, oder ständig streiten muss. Oder wenn jemand nur noch Überstunde­n macht. Wenn er auch am Wochenende weiter arbeitet, sich zurückzieh­t, verstärkt Alkohol trinkt oder exzessiv Sport macht. Wenn er sich nicht mehr erholen kann, weil die körpereige­ne Stressregu­lation nicht mehr funktionie­rt.

Und wenn es doch zur Depression kommt: Brauchen Männer dann andere Therapien als Frauen? Möller Leimkühler: Das kann man letztlich noch gar nicht beantworte­n. Es gibt Anzeichen, dass bei Männern manche Antidepres­siva, nämlich sogenannte Trizyklika, besser wirken als Selektive SerotoninW­iederaufna­hmehemmer. Die psychother­apeutische­n Maßnahmen sind genauso wirksam – vorausgese­tzt, Männer sind überhaupt bereit, sich in eine Psychother­apie zu begeben.

 ?? Foto: Antoniogui­llem, fotolia ?? Dauerstres­s kann in eine Depression münden.
Foto: Antoniogui­llem, fotolia Dauerstres­s kann in eine Depression münden.
 ??  ?? Anne Maria Möller Leim kühler ist Professori­n für Sozialwiss­enschaftli­che Psychiatri­e an der LMU München.
Anne Maria Möller Leim kühler ist Professori­n für Sozialwiss­enschaftli­che Psychiatri­e an der LMU München.

Newspapers in German

Newspapers from Germany