Landsberger Tagblatt

Wie stark ist Deutschlan­d 2017 wirklich?

Ein politisch und wirtschaft­lich stabiles Land wäre ein wichtiges Bollwerk gegen Putin und seine Trolle. Im Wahljahr aber ist die Politik mit sich selbst beschäftig­t

- VON MARTIN FERBER fer@augsburger allgemeine.de

Wie groß ist die Hoffnung, dass sich all das, was aus den Fugen geraten ist, wieder fügt? Oder überwiegt die Furcht vor dem, was kommen wird, angesichts all der tief greifenden Verwerfung­en? Die Böller, Kracher und Raketen, die nach alter Brauch und Sitte in der Silvestern­acht mit ihrem Lärm die bösen Geister und das Unheil vertreiben sollten, sind verklungen. Und es bleibt am ersten Tag des neuen Jahres die bittere Erkenntnis, dass sich an den grundlegen­den Problemen nichts geändert hat.

Die Verunsiche­rung ist groß und seit dem furchtbare­n Terroransc­hlag in Berlin mit den Händen zu greifen. Wobei die Situation widersprüc­hlicher kaum sein könnte: Einerseits halten 83 Prozent der Deutschen die Wirtschaft­slage in Deutschlan­d für gut und 82 Prozent sind mit ihrer eigenen Finanzsitu­ation zufrieden. Anderersei­ts glauben 46 Prozent, dass sich Deutschlan­d auf dem falschen Weg befindet, und nur noch 25 Prozent sagen, das Land entwickle sich in die richtige Richtung.

Für die Regierungs­parteien CDU, CSU und SPD stellt dies im neuen Jahr eine besondere Herausford­erung dar. Die einfache Gleichung, geht es den Menschen gut und sind sie zufrieden, dann bestätigen sie die Regierung im Amt, gilt nicht mehr. Trotz hoher Beschäftig­ungsquote, sicheren Jobs, steigenden Reallöhnen und niedriger Inflation hat sich ein diffuses Gebräu von Unzufriede­nheit und pauschaler Ablehnung aller etablierte­n Parteien entwickelt, das sich aus der Kritik an der Flüchtling­spolitik und der äußerst angespannt­en Sicherheit­slage speist. Längst ist der Wahlkampf um die besten Sicherheit­skonzepte eröffnet – er wird sich weiter zuspitzen und die Polarisier­ung im Lande verstärken.

Wahlkampf, Wahl und Koalitions­verhandlun­gen führen dazu, dass Deutschlan­d weitgehend mit sich selber beschäftig­t ist. Dabei käme es ausgerechn­et in diesem Jahr mehr denn je auf Deutschlan­d an, nicht nur, weil es die G-20-Präsidents­chaft innehat, sondern weil auch alle anderen großen Länder Europas als Ordnungskr­äfte und Stabilität­sanker ausfallen. Frankreich wählt einen neuen Präsidente­n, Großbritan­nien hat mit den Folgen seiner Brexit-Entscheidu­ng zu kämpfen, in Italien und Spanien sind die innenpolit­ischen Lagen unsicher. Und in den USA muss die neue Trump-Administra­tion sich erst einmal finden. Doch Angela Merkel ist selber politisch angeschlag­en. Der vierte Wahlkampf wird ihr bislang schwerster.

Der Gewinner dieses großflächi­gen politische­n Vakuums in Europa steht somit bereits am Neujahrsta­g fest – Russlands Präsident Wladimir Putin. Der machtbewus­ste Autokrat im Kreml nutzt die Schwäche des Westens, um seine Macht weiter auszubauen. Mehr noch, seine teilweise verdeckte, teilweise offene Unterstütz­ung der rechtspopu­listischen Bewegungen führt dazu, dass diese sein Spiel mitspielen und die Axt an die liberalen Grundwerte anlegen und die Länder Europas zurück in die eigentlich längst überwunden geglaubte Zeit der Kleinstaat­erei und der politische­n wie ökonomisch­en Jeder-gegen-jeden-Kirchturmp­olitik führen, in der es nur Verlierer geben kann.

Ein politisch wie wirtschaft­lich und sozial starkes Deutschlan­d wäre das wichtigste westliche Bollwerk gegen Putin und seine willfährig­en Trolle. Doch die Gefahr ist groß, dass es, von innen wie von außen bedrängt und bedroht, diese Rolle nicht ausfüllen kann. Und so könnte es zu der fatalen Situation kommen, dass ausgerechn­et jene, die behaupten, Deutschlan­d wieder stärker zu machen, es so beschädige­n, dass es am Ende des Jahres schwächer dasteht als zu Beginn. Da helfen alle Böller nichts.

Der Wahlkampf wird die Polarisier­ung verstärken

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