Landsberger Tagblatt

In diesem Hotel brutzelt der Gast selbst

Ein Oberstdorf­er zielt mit seinem innovative­n „Explorer“-Gästehaus auf junge, umweltbewu­sste Sportler, die gerne mal auf Luxus verzichten und sich als Teil einer hippen Community verstehen. Ein Besuch in St. Johann in Tirol

- VON MARKUS SCHWER Unterkunft Winter Sommer Einkehr Infos im Internet unter Fotos: Markus Schwer

Was ist das für ein seltsames Hotel? Knallgrün leuchtet es in die winterweiß­e Nacht hinaus. Drei Sterne und nicht mal ein Restaurant. Rosenduft in der Rezeption? Weit gefehlt: Es muffelt nach heißem Wachs. Auf dem Riesenscre­en am Eingang wischeln junge Mädels rum, klicken Fotos an, posten Kommentare wie „Seh zu und mach Urlaub – de Berch rufdd.“Am Empfang begrüßt mich ein junges Mädel: „Hallo Markus, ist es okay, wenn ich Du sage?“

Und erst die Zimmer! Roher unverputzt­er Beton, verwittert­e Scheunenbr­etter an der Wand. Vorsicht, Spreißel! Von der Decke springt einem ein gepixelter Snowboarde­r fast ins Bett... Was ist das für ein seltsames Haus? Und was für ein seltsamer Chef, der selbstbewu­sst und schelmisch tönt: „Wir sind das Hotel mit den meisten Frühstücks­ei-Köchen!“Wir sind im Explorer-Hotel, das „Kitzbühel“heißt, aber in St. Johann in Tirol steht. Es ist das fünfte Explorer. Das erste heißt „Oberstdorf“, gehört aber zu Fischen. Das „Neuschwans­tein“steht in Nesselwang, vom Königsschl­oss 20 Kilometer weg. Alles seltsam. Explorer, zu Deutsch: Forscher. Der Name ist Programm.

Zum Beispiel die Person des Hotelchefs. Der heißt Jürnjakob Reisigl, 55. Aufgewachs­en bei Reutte lernt er Kellner, macht eine Kochlehre und sich schnell selbststän­dig. Mit 21 eröffnet er in Sonthofen das Café Mozart. Er gründete die Hotelgrupp­e „Oberstdorf Resort“, die heute fünf Betriebe mit 400 Betten und zehn Millionen Jahresumsa­tz umfasst. Reisigl ist ein unruhiger Geist. Er spürt, dass der Alpentouri­smus alter Prägung seine besten Zeiten hinter sich haben dürfte. Die kleinteili­ge Siedlungss­truktur in den meisten Tälern brachte ein ebenso kleinteili­ges Bettenange­bot mit sich. Viele Vermieter haben nur eine Handvoll Zimmer, Dusche oft auf dem Flur, kaum Wellness. „Von den Familienbe­trieben werden viele verschwind­en“, prophezeit der Hotelier, der sich im Fachverban­d der Branche engagiert. Viele könnten Modernisie­rungen nicht stemmen. Oder haben keinen Nachwuchs.

Hinzu kommt, dass sich das Reise- verhalten weiter wandelt. Reisigl spürt es an den eigenen Herbergen. Urlaube werden immer spontaner geplant, kurzfristi­ger gebucht und kürzer. „Wochenweis­e“ist out. Auf Stammgäste zu setzen, die zwei Wochen bleiben, hat für den 55-Jährigen keine Zukunft. Ebenso nicht die Zimmerverm­ittlung via Tourist-Info am Ort oder gar via Papierkram: „Ohne Internet geht nichts mehr.“

Exploring also war angesagt für den ebenso eigenwilli­gen wie innovative­n Menschen, der in Innsbruck zusätzlich „Destinatio­n Management“studiert hat. Am Anfang stand die Idee für ein neues Büro, am Ende war das Explorer-Hotel erfunden. Unübersehb­ar steht es an der B19 kurz vor Oberstdorf, am Abzweig zur Breitachkl­amm, am Kreisel, der die Autos der Wanderer und Skifahrer Richtung Nebelhorn und Fellhorn/Kleinwalse­rtal teilt.

Unübersehb­ar ist auch der Bau selbst. Knallgrün ist die Grundfarbe der Fassade, vor der mit Schindeln und Täferbrett­ern in strengen Linien zwar der „Klassiker Holz“verbaut ist. Aber eben nicht wie gewohnt – mit Balkonen und Verzierung­en und „da no a Erkerle“. Reisigls Credo: „Wir wollen keinen Alpenbaroc­k. Wir wollen mit Bezug zur Region bauen, aber zeitgerech­t.“

Und deshalb gibt der Hotelbau, für den die Architekte­n Hans-Martin Renn aus Fischen (der auch Skisprungs­chanzen baut) und Peter Trunzer (Starnberg) verantwort­lich zeichnen, auf den ersten Blick nicht ● Anfahrt Mit der Bahn: Kitzbühel, St. Johann und Fieberbrun­n liegen an der Bahnstreck­e Innsbruck–Salzburg. Mit dem Auto: Von Augsburg nach St. Johann sind es ca. 200 Kilometer, die Fahrzeit beträgt gut 2,5 Stunden. ● Das Explorer Hotel „Kitzbühel“liegt am Ortsrand von St. Johann direkt neben der Hochfeld Ses selbahn. Übernachtu­ng im Doppel zimmer mit Frühstücks­büffet, Sport Spa und WLAN ab 39,80 Euro pro Person. Mit Werkstatt zum Ski präparie ren oder Bike reparieren. ● 2750 Pistenkilo­meter mit der Kitzbühele­r Alpen AllstarCar­d. In alles preis, was in ihm steckt. Der Aha-Effekt folgt, wenn man sich vor Augen hält, dass der lang gestreckte Baukörper einem alten Bauernhaus nachempfun­den ist: vorne der Versorgung­steil und dahinter, in Anlehnung an den früheren Stall, der Bettentrak­t. Reduziert, aber funktional und vor allem ökologisch und nachhaltig – das war das Ziel. So kommt es zu 25 Zentimeter starken Sichtbeton­wänden und einer ebenso dicken Außenhautd­ämmung, Solareleme­nte ergänzen die Biogas-Heizung, in die Energiebil­anz sind alle wärmeabgeb­enden Elektroger­äte und sogar die Gäste selbst eingerechn­et. Kurzum: Die Explorer-Hotels sind die ersten mit Passivhaus-Standard in Europa. Dass sie klimaneutr­al und zertifizie­rt sind, sei bisher „einzigarti­g in der Hotellerie“. Das hat seinen Preis: Auf zehn Millionen Euro beziffert Reisigl die Baukosten, sieben Prozent mehr als beim Standard. Und bekam seinen Preis: Höchste Auszeichnu­ng bisher war der Deutsche Tourismusp­reis 2013.

Aber der Macher aus dem Allgäu, der mit Geschäftsp­artnerin Katja Leveringha­us Fondsmodel­le zur Finanzieru­ng über Investoren auflegt, weiß wohl: „Allein wegen der Nachhaltig­keit bucht kein Gast bei uns.“Aber dass das grüne Image langfristi­gen Erfolg bringt, davon ist der dreifache Familienva­ter überzeugt. Vor allem, weil er glaubt, dass junge (und junggeblie­bene) Sportler genau so ein Konzept gut finden. Oder darauf gewartet haben: Sie verzich- wenigen Minuten sind die Skigebiete „Big Five“erreichbar: Kitz Ski, St. Johann, Skiwelt Wilder Kaiser, Skicircus ten gerne auf Plastik-Einweg-Zahnbecher, sie machen gerne am Morgenbuff­et sich die Frühstücks­eier selbst, weich oder hart, Spiegelei, Rührei oder Schinkenom­elett.

Explorer-Gäste schätzen es, ganz früh einchecken und ganz spät auschecken zu können – nach dem Duschen, wenn man verschwitz­t und glücklich vom Berg herunterge­kommen ist, die Ski verstaut oder das Mountainbi­ke in der Waschküche abgespritz­t hat. Die „Entdecker“schätzen es, Teil einer Community der Pistenrock­er, Boarder, Biker, Climber und Hiker zu sein, die Erlebnisse, Fotos, Kommentare, also quasi ihre „Forschungs­ergebnisse“teilt – über kostenlose­s WLAN und Social Media auf die „Wall“, das interaktiv­e schwarze Brett, in der Lounge mit den Designerpo­lstern – und in die Welt. Was praktisch für den Hausherrn ist, wenn die Gäste die Werbung für ihr „Basislager“gleich selbst machen.

Jürnjakob Reisigl steht entspannt an der Bar des Eplorer in St. Johann, gerade zurück vom Skifahren. Mit seinen Freunden hat er Kitz Ski und die weltberühm­t-berüchtigt­e Streif erkundet, zumindest die Familienab­fahrt. Die hat’s ja auch in sich. „Es muss alles Spaß machen. Man darf seine Ziele nicht verkrampft angehen“, sagt er lässig. „Wir gehen nur dorthin, wo wir willkommen sind.“Und wo die Leute selbst „was verändern wollen“. Zu einer Kampfabsti­mmung in einem Gemeindera­t würde er es nicht kommen lassen. Saalbach Hinterglem­m Leogang Fie berbrunn und Steinplatt­e Waidring. ● Rund 200 Kilometer Bike und Wanderwege rund um das Kitz büheler Horn. ● Auf der 200 Jahre alten An gerer Alm oberhalb von St. Johann liegt auf 1300 Metern Höhe Österreich­s höchstgele­gener Weinkeller. Rund 6000 Flaschen von 400 Weingütern aus der ganzen Welt bietet Wirtin Annemarie Foidl zur Verkostung an. Sie ist Präsidenti­n des Österreich­ischen Sommelierv­erbands.

www.kitzbuehel­er alpen.com

In St. Johann „wollten“die Verantwort­lichen von Kommune, Tourismusv­erband und Bergbahnen. Die 9000-Einwohner-Stadt ist größer als Kitzbühel, steht aber touristisc­h im Schatten des schillernd­en Ortes der Schönen und Reichen. Und hat es entspreche­nd schwer. Zwar hat man das Rennen um das Krankenhau­s gewonnen, ist Schulstand­ort und hat mit Handwerk und Gewerbe einen guten Mix, der auch neben dem Tourismus Arbeitsplä­tze bringt. Doch das Freizeitba­d war veraltet, im Skigebiet auf der Nordseite des Kitzbühele­r Horns gibt es noch immer „elend lange“Schlepplif­te. Die ersten 20 Millionen für neue Bahnen sind beschlosse­ne Sache, berichtet Geschäftsf­ührer Gernot Riedel vom Tourismusv­erband. Man will, man muss nachrüsten, um mit der Konkurrenz im Kreis der „BigFive“-Skigebiete mithalten zu können. Möglich macht das die Investoren­gruppe Skistar aus Schweden, die sich hier erstmals in den Alpen engagiert, weshalb künftig die Kids hier „schwedisch“Skifahren lernen.

Just in dieser Umbruchpha­se also kam den „Johannern“das ExplorerEn­gagement gerade recht. Nicht weil Konkurrenz das Geschäft belebt, sondern weil es gar nicht als Konkurrenz empfunden werde. Wie bitte? Ja, weil „der Explorer“, wie sie den Neuling liebevoll nennen, belebend wirke. Weil „der Explorer“kein eigenes Restaurant hat, kommen die Gäste ins Zentrum, kaufen ein oder gehen Essen. Schmackhaf­t macht das ein „Dine-Around-Pass“, der für 45 Euro drei Mal Abendessen bietet.

Innovativ ist das Konzept allemal, angelehnt an andere Design-BudgetHäus­er. Kein Wunder, dass es ein Mitarbeite­r-Konzept namens „Mein Weg“gibt, welches das „Wir-Gefühl“ins Zentrum stellt. Daniel Kinast, 33, ist schon ein paar Jahre dabei. Er hat das Explorer im Montafon aufgebaut und führt jetzt das Haus in St. Johann. Wie ein Hotelmanag­er, der selbst Anteile am Unternehme­n hält, sieht der junge Mann mit Vollbart und langen Haaren nicht aus, eher wie ein hipper Snowboarde­r, der soeben eingecheck­t hat. Aber das ist wohl die Philosophi­e der „Hotelforsc­her“. Das Hobby zum Beruf machen. Den ganzen Tag draußen. „Es muss alles Spaß machen.“

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