In diesem Hotel brutzelt der Gast selbst
Ein Oberstdorfer zielt mit seinem innovativen „Explorer“-Gästehaus auf junge, umweltbewusste Sportler, die gerne mal auf Luxus verzichten und sich als Teil einer hippen Community verstehen. Ein Besuch in St. Johann in Tirol
Was ist das für ein seltsames Hotel? Knallgrün leuchtet es in die winterweiße Nacht hinaus. Drei Sterne und nicht mal ein Restaurant. Rosenduft in der Rezeption? Weit gefehlt: Es muffelt nach heißem Wachs. Auf dem Riesenscreen am Eingang wischeln junge Mädels rum, klicken Fotos an, posten Kommentare wie „Seh zu und mach Urlaub – de Berch rufdd.“Am Empfang begrüßt mich ein junges Mädel: „Hallo Markus, ist es okay, wenn ich Du sage?“
Und erst die Zimmer! Roher unverputzter Beton, verwitterte Scheunenbretter an der Wand. Vorsicht, Spreißel! Von der Decke springt einem ein gepixelter Snowboarder fast ins Bett... Was ist das für ein seltsames Haus? Und was für ein seltsamer Chef, der selbstbewusst und schelmisch tönt: „Wir sind das Hotel mit den meisten Frühstücksei-Köchen!“Wir sind im Explorer-Hotel, das „Kitzbühel“heißt, aber in St. Johann in Tirol steht. Es ist das fünfte Explorer. Das erste heißt „Oberstdorf“, gehört aber zu Fischen. Das „Neuschwanstein“steht in Nesselwang, vom Königsschloss 20 Kilometer weg. Alles seltsam. Explorer, zu Deutsch: Forscher. Der Name ist Programm.
Zum Beispiel die Person des Hotelchefs. Der heißt Jürnjakob Reisigl, 55. Aufgewachsen bei Reutte lernt er Kellner, macht eine Kochlehre und sich schnell selbstständig. Mit 21 eröffnet er in Sonthofen das Café Mozart. Er gründete die Hotelgruppe „Oberstdorf Resort“, die heute fünf Betriebe mit 400 Betten und zehn Millionen Jahresumsatz umfasst. Reisigl ist ein unruhiger Geist. Er spürt, dass der Alpentourismus alter Prägung seine besten Zeiten hinter sich haben dürfte. Die kleinteilige Siedlungsstruktur in den meisten Tälern brachte ein ebenso kleinteiliges Bettenangebot mit sich. Viele Vermieter haben nur eine Handvoll Zimmer, Dusche oft auf dem Flur, kaum Wellness. „Von den Familienbetrieben werden viele verschwinden“, prophezeit der Hotelier, der sich im Fachverband der Branche engagiert. Viele könnten Modernisierungen nicht stemmen. Oder haben keinen Nachwuchs.
Hinzu kommt, dass sich das Reise- verhalten weiter wandelt. Reisigl spürt es an den eigenen Herbergen. Urlaube werden immer spontaner geplant, kurzfristiger gebucht und kürzer. „Wochenweise“ist out. Auf Stammgäste zu setzen, die zwei Wochen bleiben, hat für den 55-Jährigen keine Zukunft. Ebenso nicht die Zimmervermittlung via Tourist-Info am Ort oder gar via Papierkram: „Ohne Internet geht nichts mehr.“
Exploring also war angesagt für den ebenso eigenwilligen wie innovativen Menschen, der in Innsbruck zusätzlich „Destination Management“studiert hat. Am Anfang stand die Idee für ein neues Büro, am Ende war das Explorer-Hotel erfunden. Unübersehbar steht es an der B19 kurz vor Oberstdorf, am Abzweig zur Breitachklamm, am Kreisel, der die Autos der Wanderer und Skifahrer Richtung Nebelhorn und Fellhorn/Kleinwalsertal teilt.
Unübersehbar ist auch der Bau selbst. Knallgrün ist die Grundfarbe der Fassade, vor der mit Schindeln und Täferbrettern in strengen Linien zwar der „Klassiker Holz“verbaut ist. Aber eben nicht wie gewohnt – mit Balkonen und Verzierungen und „da no a Erkerle“. Reisigls Credo: „Wir wollen keinen Alpenbarock. Wir wollen mit Bezug zur Region bauen, aber zeitgerecht.“
Und deshalb gibt der Hotelbau, für den die Architekten Hans-Martin Renn aus Fischen (der auch Skisprungschanzen baut) und Peter Trunzer (Starnberg) verantwortlich zeichnen, auf den ersten Blick nicht ● Anfahrt Mit der Bahn: Kitzbühel, St. Johann und Fieberbrunn liegen an der Bahnstrecke Innsbruck–Salzburg. Mit dem Auto: Von Augsburg nach St. Johann sind es ca. 200 Kilometer, die Fahrzeit beträgt gut 2,5 Stunden. ● Das Explorer Hotel „Kitzbühel“liegt am Ortsrand von St. Johann direkt neben der Hochfeld Ses selbahn. Übernachtung im Doppel zimmer mit Frühstücksbüffet, Sport Spa und WLAN ab 39,80 Euro pro Person. Mit Werkstatt zum Ski präparie ren oder Bike reparieren. ● 2750 Pistenkilometer mit der Kitzbüheler Alpen AllstarCard. In alles preis, was in ihm steckt. Der Aha-Effekt folgt, wenn man sich vor Augen hält, dass der lang gestreckte Baukörper einem alten Bauernhaus nachempfunden ist: vorne der Versorgungsteil und dahinter, in Anlehnung an den früheren Stall, der Bettentrakt. Reduziert, aber funktional und vor allem ökologisch und nachhaltig – das war das Ziel. So kommt es zu 25 Zentimeter starken Sichtbetonwänden und einer ebenso dicken Außenhautdämmung, Solarelemente ergänzen die Biogas-Heizung, in die Energiebilanz sind alle wärmeabgebenden Elektrogeräte und sogar die Gäste selbst eingerechnet. Kurzum: Die Explorer-Hotels sind die ersten mit Passivhaus-Standard in Europa. Dass sie klimaneutral und zertifiziert sind, sei bisher „einzigartig in der Hotellerie“. Das hat seinen Preis: Auf zehn Millionen Euro beziffert Reisigl die Baukosten, sieben Prozent mehr als beim Standard. Und bekam seinen Preis: Höchste Auszeichnung bisher war der Deutsche Tourismuspreis 2013.
Aber der Macher aus dem Allgäu, der mit Geschäftspartnerin Katja Leveringhaus Fondsmodelle zur Finanzierung über Investoren auflegt, weiß wohl: „Allein wegen der Nachhaltigkeit bucht kein Gast bei uns.“Aber dass das grüne Image langfristigen Erfolg bringt, davon ist der dreifache Familienvater überzeugt. Vor allem, weil er glaubt, dass junge (und junggebliebene) Sportler genau so ein Konzept gut finden. Oder darauf gewartet haben: Sie verzich- wenigen Minuten sind die Skigebiete „Big Five“erreichbar: Kitz Ski, St. Johann, Skiwelt Wilder Kaiser, Skicircus ten gerne auf Plastik-Einweg-Zahnbecher, sie machen gerne am Morgenbuffet sich die Frühstückseier selbst, weich oder hart, Spiegelei, Rührei oder Schinkenomelett.
Explorer-Gäste schätzen es, ganz früh einchecken und ganz spät auschecken zu können – nach dem Duschen, wenn man verschwitzt und glücklich vom Berg heruntergekommen ist, die Ski verstaut oder das Mountainbike in der Waschküche abgespritzt hat. Die „Entdecker“schätzen es, Teil einer Community der Pistenrocker, Boarder, Biker, Climber und Hiker zu sein, die Erlebnisse, Fotos, Kommentare, also quasi ihre „Forschungsergebnisse“teilt – über kostenloses WLAN und Social Media auf die „Wall“, das interaktive schwarze Brett, in der Lounge mit den Designerpolstern – und in die Welt. Was praktisch für den Hausherrn ist, wenn die Gäste die Werbung für ihr „Basislager“gleich selbst machen.
Jürnjakob Reisigl steht entspannt an der Bar des Eplorer in St. Johann, gerade zurück vom Skifahren. Mit seinen Freunden hat er Kitz Ski und die weltberühmt-berüchtigte Streif erkundet, zumindest die Familienabfahrt. Die hat’s ja auch in sich. „Es muss alles Spaß machen. Man darf seine Ziele nicht verkrampft angehen“, sagt er lässig. „Wir gehen nur dorthin, wo wir willkommen sind.“Und wo die Leute selbst „was verändern wollen“. Zu einer Kampfabstimmung in einem Gemeinderat würde er es nicht kommen lassen. Saalbach Hinterglemm Leogang Fie berbrunn und Steinplatte Waidring. ● Rund 200 Kilometer Bike und Wanderwege rund um das Kitz büheler Horn. ● Auf der 200 Jahre alten An gerer Alm oberhalb von St. Johann liegt auf 1300 Metern Höhe Österreichs höchstgelegener Weinkeller. Rund 6000 Flaschen von 400 Weingütern aus der ganzen Welt bietet Wirtin Annemarie Foidl zur Verkostung an. Sie ist Präsidentin des Österreichischen Sommelierverbands.
www.kitzbueheler alpen.com
In St. Johann „wollten“die Verantwortlichen von Kommune, Tourismusverband und Bergbahnen. Die 9000-Einwohner-Stadt ist größer als Kitzbühel, steht aber touristisch im Schatten des schillernden Ortes der Schönen und Reichen. Und hat es entsprechend schwer. Zwar hat man das Rennen um das Krankenhaus gewonnen, ist Schulstandort und hat mit Handwerk und Gewerbe einen guten Mix, der auch neben dem Tourismus Arbeitsplätze bringt. Doch das Freizeitbad war veraltet, im Skigebiet auf der Nordseite des Kitzbüheler Horns gibt es noch immer „elend lange“Schlepplifte. Die ersten 20 Millionen für neue Bahnen sind beschlossene Sache, berichtet Geschäftsführer Gernot Riedel vom Tourismusverband. Man will, man muss nachrüsten, um mit der Konkurrenz im Kreis der „BigFive“-Skigebiete mithalten zu können. Möglich macht das die Investorengruppe Skistar aus Schweden, die sich hier erstmals in den Alpen engagiert, weshalb künftig die Kids hier „schwedisch“Skifahren lernen.
Just in dieser Umbruchphase also kam den „Johannern“das ExplorerEngagement gerade recht. Nicht weil Konkurrenz das Geschäft belebt, sondern weil es gar nicht als Konkurrenz empfunden werde. Wie bitte? Ja, weil „der Explorer“, wie sie den Neuling liebevoll nennen, belebend wirke. Weil „der Explorer“kein eigenes Restaurant hat, kommen die Gäste ins Zentrum, kaufen ein oder gehen Essen. Schmackhaft macht das ein „Dine-Around-Pass“, der für 45 Euro drei Mal Abendessen bietet.
Innovativ ist das Konzept allemal, angelehnt an andere Design-BudgetHäuser. Kein Wunder, dass es ein Mitarbeiter-Konzept namens „Mein Weg“gibt, welches das „Wir-Gefühl“ins Zentrum stellt. Daniel Kinast, 33, ist schon ein paar Jahre dabei. Er hat das Explorer im Montafon aufgebaut und führt jetzt das Haus in St. Johann. Wie ein Hotelmanager, der selbst Anteile am Unternehmen hält, sieht der junge Mann mit Vollbart und langen Haaren nicht aus, eher wie ein hipper Snowboarder, der soeben eingecheckt hat. Aber das ist wohl die Philosophie der „Hotelforscher“. Das Hobby zum Beruf machen. Den ganzen Tag draußen. „Es muss alles Spaß machen.“
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