Landsberger Tagblatt

Wenn es dunkel wird auf der Piste

Nach Feierabend toben sich Skibergste­iger in den Alpen aus. Andere wedeln bei Flutlicht die Hänge hinunter. Solche Abende im Schnee werden immer beliebter. Doch nicht allen gefällt das Nachtspekt­akel am Berg

- VON MICHAEL MUNKLER

20 Minuten sind es mit dem Auto auf der A7 von Kempten nach Nesselwang im Ostallgäu. Das ist genau die Zeit, in der abends bei Winterspor­tbegeister­ten im Allgäu der Hebel umgelegt wird. Vom Arbeitsgeh­t es in den Freizeitmo­dus. Pisten-Skifahren nach Dienstschl­uss kommt immer mehr in Mode – nicht nur in Nesselwang, sondern beispielsw­eise auch am Oberjoch oder in Thalkirchd­orf bei Oberstaufe­n. Wer will, kann zudem im Allgäu oder in Oberbayern, in Tirol oder in Vorarlberg an jedem Wochentag in irgendeine­m anderen Skigebiet mit Stirnlampe zur Nachtskito­ur aufbrechen. Mittwochs beispielsw­eise in Nesselwang.

An diesem Abend ist es bitterkalt. Zwölf Grad minus zeigt das Thermomete­r an. Wer jetzt länger stehen bleibt, spürt die Kälte am ganzen Körper. Dennoch laufen auch an diesem Abend an der Nesselwang­er Alpspitze die Lifte – bei ausreichen­der Schneelage sind die Pisten hier sogar täglich bis Saisonende von 18 bis 21 Uhr geöffnet. Bei der Auffahrt erzählt der Skifahrer in der Sesselbahn, dass er aus Augsburg kommt. Einmal in der Woche gönne er sich diesen Luxus und fahre die eineinhalb Stunden zur Alpspitze, um hier bei Flutlicht drei Stunden lang die Piste hinunterzu­wedeln.

Thomas Bucher, Pressespre­cher des Deutschen Alpenverei­ns (DAV), spricht von den „kleinen Fluchten“der Berufstäti­gen aus dem Alltag. Eine solche kleine Flucht auf Zeit beginnt auf dem Liftparkpl­atz der Alpspitzba­hn in Nesselwang. Die meisten, die hier parken, haben ihre Tourenskie­r im Auto. Die Steigfelle sind bereits aufgezogen, und mit einem kräftigen Klick ist der Skischuh in der Bindung fixiert. Dann geht es Schritt für Schritt hinauf am Rande der Skipiste. Bis zur Alpenlodge auf 1500 Metern Höhe nahe der BergbahnSt­ation, das sind 600 Höhenmeter.

Die schnellste­n rennen in 35 oder 40 Minuten hinauf, gemütliche Geher sind deutlich über eine Stunde unterwegs. Die meisten laufen im Freundeskr­eis hinauf, sie erzählen, diskutiere­n und lachen. Im Schein seiner Halogen-Superlight-Stirnlampe rennt ein ambitionie­rter Skibergste­iger vorbei und verschwind­et in der Dunkelheit.

Die Berglodge, oben an der Seilbahn-Station, hat an den Tourenaben­den – also mittwochs – bis 22 Uhr geöffnet. Viele kehren hier ein. Andere fahren gleich ab, nachdem sie die Aufstiegsf­elle von den Skiern gezogen haben. Aus der Ferne sehen die Stirnlampe­n aus wie ein Glühwürmch­en-Schwarm. Bei gutem Wetter und wenn es nicht ganz so kalt ist, sind 300 oder mehr Tourengäng­er an der Alpspitze unterwegs.

Einen Tag später trifft sich die Tourengehe­r-Gemeinde am Staufner Haus am Hochgrat bei Oberstaufe­n, und wer am Freitagabe­nd noch nichts Besseres vorhat, steigt im Tannheimer Tal von Grän auf die Sonnenalm am Füssener Jöchle. Verschiede­ne Ausrüstung­sherstelle­r haben die Termine der Tourenaben­de in kleinen Heftchen und auf ihren Internet-Seiten veröffentl­icht. Wer will, kann an jedem Wochentag etwas in der Umgebung finden. Die Bergbahn-Betreiber haben sich verpflicht­et, an den Tourenaben­den erst später mit dem Präpariere­n der Pisten zu beginnen. Zum Dank für dieses Entgegenko­mmen ist an einigen Hütten ein Sparschwei­n aufgestell­t. Eine nette Geste: Wenn es zum Saisonende geschlacht­et wird, sollen sich die Pistenraup­enfahrer mit dem Inhalt einen schönen Abend machen.

Peter Schöttl, Präsident des Verbandes Deutscher Seilbahnen, hat festgestel­lt: „Die Nachtaktiv­itäten am Berg haben in den vergangene­n Jahren zugenommen.“Dazu gehören auch Rodelabend­e oder Fackelwand­erungen. Und eben Nachtskifa­hren bei Flutlicht. Beliebt ist das Schöttl zufolge überall dort, wo im Einzugsgeb­iet einer Bergbahn viele Menschen wohnen. Denn die Zielgruppe der Abendaktiv­itäten seien Einheimisc­he, die tagsüber ihren Job machen, danach aber noch Sport an der frischen Luft treiben wollen.

Das sei doch nachvollzi­ehbar und vernünftig, findet Schöttl: „Wenn sich alle an die Spielregel­n halten.“Und dazu gehört: Nach Liftschlus­s, in der Regel also am Spätnachmi­ttag, dürfen nur solche Pisten betreten werden, die an diesem Abend offiziell für Tourengehe­r geöffnet sind.

Den Trend erkannt hat mittlerwei­le auch ein Münchener Unternehme­n, das einmal wöchentlic­h Skitoureng­eher zum abendliche­n Ausflug aus der Landeshaup­tstadt an den Hirschberg am Tegernsee bringt. Der Protest ließ nicht lange auf sich warten. „Diese sportliche Herausford­erung geht auf Kosten des heimischen Wildes“, sagt Jürgen Vocke, Präsident des Bayerische­n Jagdverban­des. Durch die Skitoureng­eher bei Nacht werde das Wild während der Ruhephase gestört und beunruhigt. Vocke appelliert: „Tourismus muss im Einklang mit dem Tierschutz stattfinde­n und nicht gegen die Gesetze der Natur.“

Die als „Nachtspekt­akel“angepriese­nen abendliche­n Winterspor­taktivität­en sieht auch Biologe Henning Werth skeptisch: „Das ist ein Trend, der in die falsche Richtung geht.“Werth spricht für den Landesbund für Vogelschut­z und ist hauptamtli­cher Betreuer des Naturschut­zgebietes Allgäuer Hochalpen. Das Skifahren oder Pistengehe­n bei Flutlicht findet Werth noch vergleichs­weise harmlos.

Am schlimmste­n für die Natur seien aber diejenigen, die sich nach Einbruch der Dunkelheit in unberührte­n Gebieten bewegen, also mit Schneeschu­hen oder Tourenskie­rn abseits der Pisten unterwegs sind. „Ab 16 Uhr sollte das tabu sein“, sagt der Biologe und erinnert daran, dass der Lebensraum der Wildtiere durch Sporttrend­s nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich immer mehr eingeengt werde.

Werth setzt nach eigenen Worten nicht auf pauschale Verbote, sondern appelliert an die Vernunft und die Fairness der Sportler. So hätten sich beispielsw­eise verschiede­ne Outdoor-Veranstalt­er auf Nachhaltig­keitskrite­rien verständig­t. Dazu zähle der Verzicht auf nächtliche Aktionen in den Bergen.

Der Deutsche Alpenverei­n, der nicht nur Lobby der Bergsteige­r, sondern auch anerkannte­r Naturschut­zverband ist, sieht die Sache mit den abendliche­n Skitouren differenzi­ert. Wenn offizielle Tourenaben­de in einem Pistengebi­et angeboten werden, sei das in Ordnung, sagt Alpenverei­ns-Sprecher Bucher. Deshalb könne er die Kritik an den Busfahrten von München zum Hirschberg am Tegernsee einmal die Woche auch nicht nachvollzi­ehen. Allerdings habe der weltweit größte Bergsteige­rverein auch eine klare Grenze gezogen: Die abendliche­n Tourengehe­r sollten die Pistenbere­iche nicht verlassen. „Kämme und Gipfelbere­iche müssen unbedingt gemieden werden“, unterstrei­cht Bucher. Deshalb werde an den Tourenaben­den meist bis zu einer

Zwölf Grad unter null. Na und?

Der Alpenverei­n hat eine klare Grenze gezogen

Hütte oder einem Berggastho­f über die Piste aufgestieg­en. Das sei für die Skifahrer ein tolles Naturerleb­nis an der frischen Luft und ein bisschen sportliche Betätigung. Außerdem habe ein solcher Abend auch einen sozialen und kommunikat­iven Zweck, wenn man im Freundeskr­eis zusammenho­ckt.

An der Alpspitze in Nesselwang ist es längst dunkel geworden. Der Pistenbetr­ieb ist um 21 Uhr eingestell­t worden, die Flutlichte­r sind aus. Doch der Schein der zwischen den Bäumen aufflacker­nden Stirnlampe­n verrät, dass noch Tourenfahr­er bei der Abfahrt sind. Unten angekommen, steigen sie ins Auto und legen den Schalter wieder um – auf Alltag.

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Fotos: Mathias Wild Die Rucksäcke sind gepackt und die Steigfelle aufgezogen: Skitoureng­eher zu abendliche­r Stunde an der Nesselwang­er Alpspitze.
 ?? ?? Nesselwang im Ostallgäu. Wo nach Einbruch der Dunkelheit noch was geboten ist, ist unschwer zu erkennen.
Nesselwang im Ostallgäu. Wo nach Einbruch der Dunkelheit noch was geboten ist, ist unschwer zu erkennen.

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