Landsberger Tagblatt

Angezogen vom Spiel des Lichts

Im 19. Jahrhunder­t drängten die Maler ins Freie. Künstlerko­lonien entstanden, unter anderem in einem kleinen Ort an der Ostsee. Was fanden die Naturfreun­de dort vor?

- VON MICHAEL SCHREINER Dachau

„Ein Ort, der für Künstler solche Anziehungs­kraft hat, dass sie Jahr aus Jahr ein wiederkehr­en, und zwar in vermehrter Anzahl wiederkehr­en, und wochenlang und monatelang pinseln und pinseln, ein solcher Ort kann nicht ohne bedeutende Reize und nicht ganz trostlos sein.“So beschrieb der Feuilleton­ist Ernst Wasserzieh­er 1894 die nördlichst­e deutsche Künstlerko­lonie Ekensund. Ekensund?

Der kleine Küstenort an der Ostsee, am Nordufer der Flensburge­r Förde gelegen, ist auf der Schatzkart­e der Kunstgesch­ichte ein bedeutende­r Schauplatz der Freiluftma­lerei, deren Siegeszug Ende des 19. Jahrhunder­ts überall in Europa zur Gründung von Künstlerko­lonien auf dem Land geführt hatte. Bis zu 200 dieser Künstlerpl­ätze sind dokumentie­rt. Die „Mutter“und das Vorbild all dieser Schaffenso­rte jenseits des akademisch­en Lehr-Betriebs und der Großstädte war Barbizon in Frankreich, 60 Kilometer südlich von Paris gelegen. Dort hatten Maler ab 1830 ihre Staffeleie­n im Freien aufgebaut und in kollegiale­m Miteinande­r die Landschaft­smalerei revolution­iert – auch dank der Tubenfarbe­n, die es nun gab.

In Ekensund kamen gleichgesi­nnte Maler ab 1875 während der Sommermona­te zusammen wie auch in Nidden (heute Litauen), auf Hiddensee oder Ahrenshoop und in Skagen (Dänemark), anderen Künstlerko­lonien an der Ostsee. Im Fischerdor­f Ekensund waren es vor allem Künstler aus München und Düsseldorf, aber auch aus Berlin, die gemeinsam in der Natur und nach der Natur malten, angezogen vom Spiel des Lichts zwischen Meer und Himmel, den Fischerboo­ten, Fähren und Ziegeleien mit ihren roten Dächern, der Abgeschied­enheit fern von der Hektik der Metropolen und der alles umwälzende­n Industrial­isierung. Eine wichtige Figur war der Flensburge­r Fotograf Wilhelm Dreesen. Seine Landschaft­sfotos waren in Künstlerkr­eisen begehrt und halfen den Malern. So war auch Ekensund einer der Orte, an denen sich das neue Medium Fotografie und die Malerei gegenseiti­g befruchtet­en – Lichtbildn­er und Maler des Lichts.

Die meisten Maler – Gruppenfot­os zeigen bärtige Herren in schwarAnzü­gen mit Hüten auf dem Kopf und Zigarren im Mund – wohnten im Gasthof von Heinrich Schumann, wo abends gefeiert wurde. Für Frauen („Malweiber“), denen im Deutschen Kaiserreic­h der Zugang zu den Kunstakade­mien noch verwehrt war, wurden um die Jahrhunder­twende besonders die Künstlerko­lonien zu Orten der Befreiung und Entfaltung. Auf Hiddensee bildeten die Malerinnen später sogar einen eigenen „Hiddensoer Künstlerin­nenbund“(herausrage­nd: Dorothea Stroschein), in Worpswede wurde die junge Paula Modersohn-Becker zu einer prägenden Figur. In Ekensund verblüffte die junge Berliner Malerin Emmy Gotzmann-Conrad die Männerrund­en am Meer mit ihrer modernen, an van Gogh und den Pointillis­ten geschulten Malweise.

Warum Ekensund, anders als die Künstlerko­lonien Worpswede oder Dachau im Süden, hierzuland­e weitgehend vergessen ist, hat vor allem politische Gründe. Denn das deutsche Ekensund wurde 1920 dänisch. In mehreren Ausstellun­gen wurde die dortige Künstlerko­lonie in den vergangene­n Jahren wiederentd­eckt und gewürdigt, zuletzt auch in der Überblicks­schau über Künstlerko­lonien Europas im Landesmuse­um Hannover. Nun zeigt die Gemäldezen galerie Dachau, wichtigste Adresse für Werke der Künstlerko­lonie Dachau (Ludwig Dill, Adolf Hölzel u. a.), eine Ausstellun­g mit Bildern aus Ekensund.

Dachau pflegt den Blick in andere Künstlerko­lonien und ist (wie auch Murnau) Mitglied im Verband „EuroArt“, einem Zusammensc­hluss von rund 80 Orten in über 20 Ländern, der sich dem gemeinsame­n europäisch­en Kulturerbe der Künstlerko­lonien widmet. Es gibt zwischen Dachau und Ekensund auch zahlreiche Beziehunge­n, weil nicht wenige Künstler in beiden Kolonien malten, Arthur Langhammer zum Beispiel.

Die meisten der knapp zwei Dutzend Maler, denen man in der Ausstellun­g begegnet, sind heute nur mehr Kennern bekannt. Prägende Figur der zweiten Generation in Ekensund war Otto Heinrich Engel (1866–1949), Mitbegründ­er der Münchner und später der Berliner Secession. Er kam über zehn Jahre lang nach Ekensund, malte unter freiem Himmel nicht nur Meer, Boote und Küsten (zu den schönsten Blättern in Dachau gehören seine kleinen Ölskizzen und Pastelle), sondern porträtier­te wie ein Reporter auch den Fischer Asmus Sommer vor seinem Haus oder bei der Arbeit mit Netzen. Ekensund wurde zum Begriff: Engel zeigte seine Bilder von der Ostsee in München, die Freiluftma­ler Heinrich PetersenAn­geln und Eugen Dücker in Berlin und Düsseldorf. Einen kurzen Weg in die Künstlerko­lonie hatte der Flensburge­r Zeichenleh­rer Jacob Nöbbe, der später den weltberühm­t werdenden Emil Nolde unterricht­ete. Mit dem Ersten Weltkrieg endete die Blütezeit der meisten Künstlerko­lonien – auch die von Ekensund. Die meisten Gemälde, die in Dachau gezeigt werden, stammen aus Privatbesi­tz.

Die Ausstellun­g zeigt ein prägendes Kapitel der Malerei – und offenbart auch, wie sich eine einzige Landschaft durch die individuel­len Handschrif­ten zu einer Vielfalt von gesehenen Landschaft­en entfaltet. Die Ostsee: Mal azurblau wie das Mittelmeer, mal grau wie Asphalt bis über den Horizont hinaus.

Bis 5. März Gemäldegal­erie Dachau, Konrad Adenauer Straße 3, Di bis Fr 11 bis 17, Sa und So 13 bis 17 Uhr. www.dachauer galerien museen.de

 ?? ?? „Gelbes Meer“hat Jacob Nöbbe diese Lichtimpre­ssion betitelt, die er 1898 unter freiem Himmel in Ekensund in Öl auf Malpappe skizzierte.
„Gelbes Meer“hat Jacob Nöbbe diese Lichtimpre­ssion betitelt, die er 1898 unter freiem Himmel in Ekensund in Öl auf Malpappe skizzierte.
 ?? ?? Im unendliche­n Raum zwischen Himmel und Meer: Gemälde von Otto Heinrich Engel aus dem Jahr 1903, betitelt „Windstille, Ekensunder Reede“, Öl auf Leinwand.
Im unendliche­n Raum zwischen Himmel und Meer: Gemälde von Otto Heinrich Engel aus dem Jahr 1903, betitelt „Windstille, Ekensunder Reede“, Öl auf Leinwand.
 ?? Fotos: Gemäldegal­erie Dachau ?? Eine Männergese­llschaft: Die Ekensunder Künstlerko­lonie in einer Fotografie von Wilhelm Dreesen von 1885.
Fotos: Gemäldegal­erie Dachau Eine Männergese­llschaft: Die Ekensunder Künstlerko­lonie in einer Fotografie von Wilhelm Dreesen von 1885.

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