Angezogen vom Spiel des Lichts
Im 19. Jahrhundert drängten die Maler ins Freie. Künstlerkolonien entstanden, unter anderem in einem kleinen Ort an der Ostsee. Was fanden die Naturfreunde dort vor?
„Ein Ort, der für Künstler solche Anziehungskraft hat, dass sie Jahr aus Jahr ein wiederkehren, und zwar in vermehrter Anzahl wiederkehren, und wochenlang und monatelang pinseln und pinseln, ein solcher Ort kann nicht ohne bedeutende Reize und nicht ganz trostlos sein.“So beschrieb der Feuilletonist Ernst Wasserzieher 1894 die nördlichste deutsche Künstlerkolonie Ekensund. Ekensund?
Der kleine Küstenort an der Ostsee, am Nordufer der Flensburger Förde gelegen, ist auf der Schatzkarte der Kunstgeschichte ein bedeutender Schauplatz der Freiluftmalerei, deren Siegeszug Ende des 19. Jahrhunderts überall in Europa zur Gründung von Künstlerkolonien auf dem Land geführt hatte. Bis zu 200 dieser Künstlerplätze sind dokumentiert. Die „Mutter“und das Vorbild all dieser Schaffensorte jenseits des akademischen Lehr-Betriebs und der Großstädte war Barbizon in Frankreich, 60 Kilometer südlich von Paris gelegen. Dort hatten Maler ab 1830 ihre Staffeleien im Freien aufgebaut und in kollegialem Miteinander die Landschaftsmalerei revolutioniert – auch dank der Tubenfarben, die es nun gab.
In Ekensund kamen gleichgesinnte Maler ab 1875 während der Sommermonate zusammen wie auch in Nidden (heute Litauen), auf Hiddensee oder Ahrenshoop und in Skagen (Dänemark), anderen Künstlerkolonien an der Ostsee. Im Fischerdorf Ekensund waren es vor allem Künstler aus München und Düsseldorf, aber auch aus Berlin, die gemeinsam in der Natur und nach der Natur malten, angezogen vom Spiel des Lichts zwischen Meer und Himmel, den Fischerbooten, Fähren und Ziegeleien mit ihren roten Dächern, der Abgeschiedenheit fern von der Hektik der Metropolen und der alles umwälzenden Industrialisierung. Eine wichtige Figur war der Flensburger Fotograf Wilhelm Dreesen. Seine Landschaftsfotos waren in Künstlerkreisen begehrt und halfen den Malern. So war auch Ekensund einer der Orte, an denen sich das neue Medium Fotografie und die Malerei gegenseitig befruchteten – Lichtbildner und Maler des Lichts.
Die meisten Maler – Gruppenfotos zeigen bärtige Herren in schwarAnzügen mit Hüten auf dem Kopf und Zigarren im Mund – wohnten im Gasthof von Heinrich Schumann, wo abends gefeiert wurde. Für Frauen („Malweiber“), denen im Deutschen Kaiserreich der Zugang zu den Kunstakademien noch verwehrt war, wurden um die Jahrhundertwende besonders die Künstlerkolonien zu Orten der Befreiung und Entfaltung. Auf Hiddensee bildeten die Malerinnen später sogar einen eigenen „Hiddensoer Künstlerinnenbund“(herausragend: Dorothea Stroschein), in Worpswede wurde die junge Paula Modersohn-Becker zu einer prägenden Figur. In Ekensund verblüffte die junge Berliner Malerin Emmy Gotzmann-Conrad die Männerrunden am Meer mit ihrer modernen, an van Gogh und den Pointillisten geschulten Malweise.
Warum Ekensund, anders als die Künstlerkolonien Worpswede oder Dachau im Süden, hierzulande weitgehend vergessen ist, hat vor allem politische Gründe. Denn das deutsche Ekensund wurde 1920 dänisch. In mehreren Ausstellungen wurde die dortige Künstlerkolonie in den vergangenen Jahren wiederentdeckt und gewürdigt, zuletzt auch in der Überblicksschau über Künstlerkolonien Europas im Landesmuseum Hannover. Nun zeigt die Gemäldezen galerie Dachau, wichtigste Adresse für Werke der Künstlerkolonie Dachau (Ludwig Dill, Adolf Hölzel u. a.), eine Ausstellung mit Bildern aus Ekensund.
Dachau pflegt den Blick in andere Künstlerkolonien und ist (wie auch Murnau) Mitglied im Verband „EuroArt“, einem Zusammenschluss von rund 80 Orten in über 20 Ländern, der sich dem gemeinsamen europäischen Kulturerbe der Künstlerkolonien widmet. Es gibt zwischen Dachau und Ekensund auch zahlreiche Beziehungen, weil nicht wenige Künstler in beiden Kolonien malten, Arthur Langhammer zum Beispiel.
Die meisten der knapp zwei Dutzend Maler, denen man in der Ausstellung begegnet, sind heute nur mehr Kennern bekannt. Prägende Figur der zweiten Generation in Ekensund war Otto Heinrich Engel (1866–1949), Mitbegründer der Münchner und später der Berliner Secession. Er kam über zehn Jahre lang nach Ekensund, malte unter freiem Himmel nicht nur Meer, Boote und Küsten (zu den schönsten Blättern in Dachau gehören seine kleinen Ölskizzen und Pastelle), sondern porträtierte wie ein Reporter auch den Fischer Asmus Sommer vor seinem Haus oder bei der Arbeit mit Netzen. Ekensund wurde zum Begriff: Engel zeigte seine Bilder von der Ostsee in München, die Freiluftmaler Heinrich PetersenAngeln und Eugen Dücker in Berlin und Düsseldorf. Einen kurzen Weg in die Künstlerkolonie hatte der Flensburger Zeichenlehrer Jacob Nöbbe, der später den weltberühmt werdenden Emil Nolde unterrichtete. Mit dem Ersten Weltkrieg endete die Blütezeit der meisten Künstlerkolonien – auch die von Ekensund. Die meisten Gemälde, die in Dachau gezeigt werden, stammen aus Privatbesitz.
Die Ausstellung zeigt ein prägendes Kapitel der Malerei – und offenbart auch, wie sich eine einzige Landschaft durch die individuellen Handschriften zu einer Vielfalt von gesehenen Landschaften entfaltet. Die Ostsee: Mal azurblau wie das Mittelmeer, mal grau wie Asphalt bis über den Horizont hinaus.
Bis 5. März Gemäldegalerie Dachau, Konrad Adenauer Straße 3, Di bis Fr 11 bis 17, Sa und So 13 bis 17 Uhr. www.dachauer galerien museen.de