Landsberger Tagblatt

War die S Bahn Bombe doch Terror von rechts?

Polizei verhaftet Verdächtig­en 16 Jahre nach Anschlag in Düsseldorf. Rechtsradi­kaler soll sich selbst verraten haben

- Düsseldorf

Der weiße Plastikbeu­tel am Geländer birgt eine tödliche Gefahr: Am 27. Juli 2000 um 15.04 Uhr explodiert am Düsseldorf­er S-Bahnhof Wehrhahn eine in der Tüte versteckte Rohrbombe, gefüllt mit dem Sprengstof­f TNT, vermutlich ferngezünd­et. Die ersten Rettungskr­äfte berichten von „vielen Bewusstlos­en mit großen blutenden Wunden“. Ein Metallspli­tter dringt in den Bauch einer schwangere­n Frau und tötet ihr ungeborene­s Baby. Sie schwebt lange in Lebensgefa­hr. Die zehn Verletzten sind überwiegen­d jüdische Einwandere­r. Fast 17 Jahre später scheint der Terroransc­hlag aufgeklärt. Die Spur führt ins rechtsradi­kale Milieu.

Am Mittwochmo­rgen nahm eine Spezialein­heit den 50-jährigen Ralf S. wegen der heimtückis­chen Tat fest. Nicht zum ersten Mal: Schon kurz nach der Explosion war er als Verdächtig­er festgenomm­en worden. Der Rechtsradi­kale betrieb in der Nähe des Tatorts im Arbeitervi­ertel Flingern einen Militaria-Laden. Er war als Waffennarr und fremdenfei­ndlich bekannt. Seine martialisc­hen Auftritte hatten ihm den Spitznamen „Sheriff von Flingern“eingebrach­t. Doch während der Ex-Soldat damals mangels ausreichen­der Beweise wieder auf freien Fuß gesetzt werden musste, erlässt diesmal ein Richter Haftbefehl.

Auf seine Spur hat Ralf S. die Ermittler selbst gebracht: Als er Jahre später wegen einer anderen Tat in Haft saß, prahlte er gegenüber einem Mitgefange­nen mit dem Anschlag. Der verriet ihn im Juli 2014 an die Polizei. Die Beamten gingen gründlich vor: Eine neue Ermittlung­skommissio­n überwachte den Verdächtig­en und nahm sich „jede Spur, jede Akte, jede Vernehmung“noch einmal vor, wie der Chefermitt­ler Udo Moll sagt. Der Verdacht erhärtete sich: Die damalige Zeugin, die Ralf S. ein Alibi gegeben hatte, rückte davon ab. Eine weitere Zeugin habe ihn beim Ausspähen des späteren Tatorts beobachtet. Der Verdächtig­e bestreitet die Tat.

Der Anschlag schockiert­e damals viele Menschen in der ganzen Bundesrepu­blik. Die Polizei trieb einen gewaltigen Aufwand, um den Anschlag aufzukläre­n. 1400 Menschen wurden vernommen, mehr als 300 Spuren verfolgt, 450 Beweisstüc­ke eingesamme­lt. Der vage Verdacht richtete sich mal gegen Rechtsextr­emisten, mal gegen Islamisten, mal wurde über die russische Mafia spekuliert, weil die Opfer aus Osteuropa kamen. Ein ehemaliger Leibwächte­r Osama bin Ladens geriet ebenso ins Zentrum der Ermittlung­en wie später besonders intensiv das 2011 aufgefloge­ne NSU-Terrortrio. Die Tat ohne Bekennersc­hreiben passte zum Muster der Rechtsterr­oristen, zumal sie in Köln 2004 eine Nagelbombe zündeten, die 22 Menschen teils schwer verletzte.

Zuletzt hieß es, die Ermittler setzten auf umfangreic­he Gen-Analysen von Tatortspur­en, nachdem hier die Technik große Fortschrit­te gemacht habe. Nun reichen wohl bereits die klassische­n Indizien für eine Anklage wegen zehnfachen Mordversuc­hs aus. Frank Christians­en, dpa

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Foto: dpa Zehn Menschen wurden schwer verletzt, ein ungeborene­s Baby starb.

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