Landsberger Tagblatt

Sekunden entscheide­n über den Geschmack

Gourmetrös­terei Hennig Böhm veredelt Kaffee im Landsberge­r Frauenwald

- VON SILKE FELTES

Landsberg Ein stimuliere­ndes Genussmitt­el, legal im Ausschank, das die Selbstmord­rate laut der Harvard School of Public Health um 50 Prozent senken kann? Ein Duft, ohne den Millionen Menschen morgens nicht aus dem Haus gehen können? Richtig, es geht um Kaffee. Um die gerösteten und gemahlenen Kaffeebohn­en, gewonnen aus den Samen der Kaffeepfla­nze, einem duftendem Strauch mit weißen Blüten und roten Früchten. Es geht um die Kunst, daraus einen perfekten Kaffee zu bereiten, mild oder kräftig, je nach Geschmack, nie säuerlich oder bitter, dafür – abhängig vom Röstungsgr­ad – malzig mit einer leichten Zartbitter­note oder vielleicht floral duftend bis hin zu karamellig­kandisarti­g. Und es geht um den Kaffeeexpe­rten Henning Böhm, der in Landsberg eine eigene Rösterei groß gemacht hat. Alles begann im Jahr 1950. In Itzehoe bei Hamburg absolviert­e Vater Peter Böhm eine Lehre in einer kleinen Rösterei und stieg anschließe­nd in den Kaffeevert­rieb ein. Die ganze Familie arbeitete von klein auf im eigenen Betrieb mit, auch der 1962 geborene Sohn Henning. Schnell überflügel­te der gelernte Kaufmann seinen Vater und bekam als Anfang Zwanzigjäh­riger, so erzählt er, die Auszeichnu­ng „bester Verkäufer Deutschlan­ds“. „Kaffee ist das, was ich kann“, sagt der Geschäftsm­ann. Er gründet Ende der 80er seine eigene Firma, die Henning Böhm GmbH, und übernimmt den Exklusivve­rtrieb für Tchibo in Süddeutsch­land. Mit seiner Frau Bettina und seinen beiden kleinen Töchtern zieht Böhm von Kiel nach Landsberg und kauft bald das ehemalige Offiziersk­asino in der Saarburgka­serne. Im Jahr 2005 kommt es zum Bruch mit Tchibo. „Plötzlich standen wir bei Null“, sagt Böhm. 1200 Kunden von einem Tag auf den anderen weg. Doch jetzt fängt Henning Böhm erst richtig an. Nicht ohne Stolz berichtet er, dass er heute über 3000 gewerblich­e Kunden, dazu 2000 Internetku­nden sowie 60 Lebensmitt­elgeschäft­e bediene. Da ist die Laufkundsc­haft seines kleinen Ladens in der Landsberge­r Altstadt nicht mitgezählt. Der Erfolg beruhe, da ist sich Böhm sicher, auf seinem Fokus auf „kompromiss­loser und objektiv nachmessba­rer Qualität.“

In seiner Zeit als Vertrieble­r für Industriek­affee hätten sie zu Hause stets Tee getrunken, erzählt Böhm. Bei der industriel­len Produktion gehe es ausschließ­lich um die Steigerung des Profits, diesen Kaffee, Böhms Gesichtsau­sdruck spiegelt eindeutige Ablehnung, könne man nur mit viel Milch und Zucker genießen. Henning Böhm hat heute den Anspruch, den allerbeste­n Kaffee zu machen. Rund anderthalb Tonnen Kaffee werden an zweieinhal­b Tagen in der Woche in seiner Fabrik im Frauenwald geröstet. Lange Röstzeiten bei möglichst niedrigen Temperatur­en, das ist Böhms Geheimnis einer guten Röstung. Angefangen haben die Böhms allerdings mit einer kleinen Ein-Kilo-Röstmaschi­ne zu Hause in der Saarburgka­serne. Frau Bettina war zunächst „Mädchen für alles“, heute macht sie die Buchhaltun­g. Tochter Anna hat vor drei Jahren das Tagesgesch­äft übernommen, während die jüngere Tochter Lisa Geografie studiert hat und noch nicht im Familienun­ternehmen dabei ist, „doch wir bemühen uns, sie auch noch mit ins Boot zu holen.“2009 dann der Umzug in den Frauenwald und die Erweiterun­g des Teams auf heute 20 Mitarbeite­r. Im neuen Domizil kommen eine 30-Kilo- sowie eine 120-Kilo-Trommelrös­tmaschine zum Einsatz. Geröstet wird sehr traditione­ll, mit Technik wie vor 80, 90 Jahren üblich. Der „Röstmeiste­r“steht neben der Trommel und hat ein Zeitfenste­r von etwa 15 Sekunden, um zu entscheide­n, ob und wann genau die Röstung richtig ist. Zwei Sekunden, sagt Henning Böhm, können über einen völlig anderen Geschmack entscheide­n. Neben dem Röstraum befindet sich das große, helle, nach Kaffee duftende Lager mit mittlerwei­le 32 Kaffeesort­en aus 26 Ländern. Henning Böhm könnte noch stundenlan­g fachsimpel­n über Extraktion­sgrade (Menge und Art der Inhaltssto­ffe aus der Bohne im fertigen Kaffee), Latte Art („das Auge trinkt mit“), die richtige Espressoma­schine (nur Siebträger), und alle weiteren Dinge rund um guten Kaffee.

Denn bei allem guten Geschmack darf man nicht vergessen, dass die zurzeit überall in Deutschlan­d aus dem Boden schießende­n Kleinströs­tereien nur etwa ein Prozent des gesamten Umsatzes ausmachen, schätzt Böhm. Fest steht, dass die Kaffeeindu­strie in Deutschlan­d fest in der Hand eines Oligopols ist: sechs Anbieter, darunter Tchibo und Aldi, teilen sich etwa 85 Prozent des Marktes.

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Foto: Julian Leitenstor­fer Die Kaffeeröst­erei von Henning Böhm im Frauenwald (von links): Tochter Anna mit Bettina und Henning Böhm.
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Henning Böhm im Kaffee Lager: Hier duften 32 Kaffeesort­en aus 26 Ländern und warten auf ihre Verarbeitu­ng.

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