Echte Anerkennung verlangt keine Zugabe
Publikum erlebt eine Sternstunde neuerer und zeitgenössischer Kammermusik im ausverkauften Bibliothekssaal. Langanhaltender Applaus
Landsberg Eines „der kontrastreichsten Konzerte, die wir hier je hatten und auch eines der probenreichsten“, nannte es Franz Lichtenstern. „Und eines der großartigsten, die wir hier je gehört haben“, darüber dürften sich regelmäßige Besucher der Veranstaltungsreihe Kammermusik im Bibliothekssaal nach einem Abend vollendeten Musikgenusses wohl einig gewesen sein. Was sich dem restlos begeisterten Publikum unter dem Titel „RRRRRRR… Reger“dort am Sonntagabend nämlich bot, war – mehr als nur ein weiterer Glanzpunkt der hochklassigen Konzertreihe, tatsächlich eine ihrer Sternstunden.
Vielfalt stand als unausgesprochener Leitgedanke über dem Programm: sowohl im Hinblick auf die emotional sehr unterschiedlich an- gelegten Werke als auch die Komponisten, beginnend mit Max Reger, dessen Todestag sich im Mai vergangenen Jahres zum 100. Mal jährte, und dem nur zehn Jahre jüngeren und doch einer neuen Zeit angehörenden Anton Webern sowie zum Schluss Mauricio Kagel mit seinen fünf kleinen Jazzkompositionen „Rrrrrr“aus den frühen 1980erJahren. Vorher aber gab es Zeitgenössisches, zuerst mit „Off Pist“für Sopransaxofon und Violoncello von Svante Henryson, eine Humoreske fast, geprägt vom Oszillieren der beiden Stimmen im Bezugsfeld ständig umschlagender Bewegungsrichtungen – furios vorgetragen als heiteres Verwirrspiel im rastlos wechselnden Mit-, Zu-, Gegen- und Hintereinander der beiden Instrumente.
Gleich drei seiner Werke hatte der 1976 in München geborene Christian Elin mitgebracht. Mit der Uraufführung seiner „Recercada Primeira“für Bassklarinette und Violoncello sorgte er nicht nur als Komponist, sondern zuvor schon mit seinem Saxofon auch als Instrumentalist für „neue Töne“im alten Barocksaal.
Einende Klammer im weiten Fächer der musikalischen Eindrücke war das jederzeit sensible und hochmusikalische Spiel von Franz Lichtenstern am Cello und seinen Kollegen vom Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz Katja Lämmermann und Ludwig Hahn, Violine, sowie Dorothea Galler, Viola, verstärkt durch die Pianistin Kazue Weber-Tsuzuki sowie Rolf Weber an der Klarinette und Christian Elin an Saxofon und Bassklarinette.
Sämtliche technischen Raffinessen, die extrem verzwickten und bizarr quertreibenden Rhythmen in Anton Weberns Quartett für Geige, Klarinette, Tenorsaxofon und Klavier nicht weniger als die schwer zu intonierenden, sich reibenden Klänge in Mauricio Kagels über Takte hinweg enggeführten Ganz- beziehungsweise Halbton-Intervalle und immer wieder Läufe in fast „fingerbrecherischem“ Tempo meisterten die sechs Musiker so souverän, als seien sie einfaches Handwerk und kaum mehr als Grundlage für die eigentliche Herausforderung: jeder der in Stil und Charakter so unterschiedlichen Kompositionen adäquaten künstlerischen Ausdruck zu verleihen.
Ein immer auch schon jazzender, klassisch ausgebildeter Geiger und ein neben dem Jazz stets auch der sogenannten klassischen Musizierweise zugeneigter Saxofonist konnten diesem Vorhaben nur förderlich sein: Mit raffiniert farbenreichem Spiel erweiterte Ludwig Hahn das Klangspektrum nicht nur in Regers Klarinettenquintett, sondern ebenso im darauffolgenden Quartett von Anton Webern, während Christian Elins kleine Duo-Kompositionen „Cycles Part II“, „Recercada Primeira“und „MAY“mit ihm als Instrumentalisten, zuerst im Zusammenspiel mit Rolf Weber an der Klarinette, dann mit Franz Lichtenstern und schließlich der Pianistin Kazue Weber-Tsuzuki ihren idealen Interpreten fanden.
Vom – noch – tonalen, zumindest in Anklängen der Spätromantik verhafteten Max Reger über Anton Webern und Mauricio Kagel bis hin zu frei über die Genregrenzen hinweg agierenden Musikern und Komponisten wie Svante Henryson und Christian Elin zeichnete ein klug zusammengestelltes Programm am Sonntagabend die musikhistorisch spannende und sich immer mehr beschleunigende Entwicklung der vergangenen hundert Jahre nach und belegte gut nachvollziehbar, dass „Auflösung“nicht nur Verlust des Gehabten, sondern auch Chance auf Neues bedeutet.
Langanhaltender Applaus, ohne sich eine Zugabe erklatschen zu wollen – eine außergewöhnliche Geste der Anerkennung, mit der das Publikum ein ebenso außergewöhnliches Konzerterlebnis eindrucksvoll quittierte.