Landsberger Tagblatt

Immer diese Aufregung

Eine Veganerin stört sich an einem Glockenspi­el. Um das Wort „Negerkönig“bei Pippi Langstrump­f wird gestritten. Und ein Nigerianer wundert sich über die „Sprachpoli­zei“

- VON PHILIPP KINNE Augsburg Fotos: Thomas Frey/Martin Gerten/David Ebener, dpa; Andrew Onuegbu

Ist es nur eine Posse oder steckt doch mehr dahinter? Seitdem der Limburger Bürgermeis­ter Marius Hahn (SPD) aus Rücksicht auf eine Veganerin das Lied „Fuchs, du hast die Gans gestohlen“aus dem Repertoire des Glockenspi­els im Rathaustur­m genommen hat, fegt über die Stadt ein Sturm der Entrüstung hinweg. In den sozialen Netzwerken brodelt es. Denn die Veganerin störte sich an der Liedzeile: „Sonst wird dich der Jäger holen, mit dem Schießgewe­hr.“

Ist das Kinderlied also nicht „politisch korrekt“? Nicht mehr zeitgemäß? So wie der Vater der Kinderbuch­figur Pippi Langstrump­f, der in Astrid Lindgrens Büchern „Negerkönig“heißt? So wie der Begriff „Mohr“, um dessen Verwendung es alle Jahre wieder eine aufgeregte Debatte gibt? Was darf man sagen? Was nicht? Und wer darf das eigentlich entscheide­n? Die Limburger Posse zeigt, wie sehr diese Fragen viele Menschen bewegen. Es lässt sich erahnen, wenn man in die Kommentars­palten der sozialen Netzwerke blickt. Über den Limburger „Fall“wird dort voller Wut geschriebe­n.

Der Soziologe Stefan May arbeitet am sozialwiss­enschaftli­chen In- der Ludwig-Maximilian­sUniversit­ät in München und beschäftig­t sich mit der deutschen Streitkult­ur. Er sagt: „Die Art, wie wir diskutiere­n, ändert sich gerade sehr.“Durch den Zugang zu digitalen Netzwerken könne heute jeder mitdiskuti­eren. Grundsätzl­ich sei dies zu befürworte­n, denn: „Streit ist eine Lebensform.“

Wichtig sei es jedoch, sich dabei an Regeln zu halten. Diese würden, hat May festgestel­lt, gerade in Diskussion­en um alte Begriffe und deren Verwendung im aktuellen Sprachgebr­auch häufig missachtet. In einigen Bereichen entwickele sich unsere Gesellscha­ft weg von einer Streit- und hin zu einer Empörungsk­ultur. „Die Diskussion ist dadurch oft nicht mehr argumentat­iv.“

Medienwiss­enschaftle­rin Maya Götz kann das bestätigen. Sie beschäftig­te sich in einer groß angelegten Studie mit der Bedeutung alter Märchen für heutige Kinder. „Die bekanntest­en Märchen, die wir heute noch kennen, stammen von den Brüdern Grimm“, erklärt sie. Die darin verwendete Sprache und die vermittelt­en Bilder der Erzählunge­n seien allerdings schon zu ihrer Zeit „gruselig und zu anspruchsv­oll für Kinder“gewesen. Götz meint daher: „Man müsste heute fast alle Märchen anpassen.“Denn von vie- len Formulieru­ngen fühlten sich Menschen heutzutage verletzt. Dass Astrid Lindgren Pippi Langstrump­fs Vater beispielsw­eise immer wieder als „Negerkönig“bezeichnet­e, sei „nicht mehr hinnehmbar“. Dennoch müsse man jeden Text stets im kulturhist­orischen Zusammenha­ng sehen.

„Märchen sind ein wichtiger Teil unserer Kultur“, sagt sie. In den Geschichte­n stecke eine Menge tief greifender Moral. Die Botschaft der Liedzeile „Sonst wird dich der Jäger holen, mit dem Schießgewe­hr“, die in Limburg für Aufregung sorgte, laute, so Götz: „Wenn du etwas Falsches tust, wirst du bestraft.“Dass der Liedtext an sich heute nicht mehr zeitgemäß sei, sei „sehr deutlich“. Und dennoch sei seine Botschaft nach wie vor aktuell. Das macht es auch so schwer, damit vernünftig umzugehen.

Wie man damit umgehen kann, zeigt Andrew Onuegbu. Seit zehn Jahren betreibt der Nigerianer sein Restaurant „Zum Mohrenkopf“in Kiel. „Hallo, hier ist der schwarze Mann“, meldet er sich am Telefon. Seit im Sommer 2015 einige Medien auf den Namen seines Lokals aufmerksam wurden, werde er auch von Gästen dafür immer wieder heftig kritisiert. „In Deutschlan­d gibt es die Sprachpoli­zei“, sagt Onuegstitu­t bu. Und die sei nur daran interessie­rt, sich über Begriffe wie „Mohr“oder „Mohrenkopf“aufzuregen. „Dabei finde ich das überhaupt nicht rassistisc­h“, erklärt er. Der Begriff „Mohr“sei für ihn sogar positiv besetzt: „Der Mohr stand im Mittelalte­r als Auszeichnu­ng für gute Küche.“

Auch der Leiter des Augsburger Hotels „Steigenber­ger Drei Mohren“, Theodor Gandenheim­er, sieht den Begriff positiv: „Wir hatten noch nie Probleme mit dem Namen unseres Hotels.“Vielmehr stehe er für die lange Tradition des Hauses und leite sich vermutlich vom heiligen Mauritius ab, sagt er. Rassismus sei keine Frage einzelner Wörter im Sprachgebr­auch.

Dennoch meint Onuegbu: „Ich möchte mit dem Namen meines Restaurant­s doch niemanden verletzen.“Der Nigerianer rät in der Diskussion um politisch korrekte Sprache zu mehr Gelassenhe­it. Viele Deutsche hätten ständig Angst, etwas Falsches zu sagen. Das Problem liege jedoch tiefer: „Rassismus ist in den Köpfen.“Wer im Umgang mit anderen nicht zwischen heller oder dunkler Haut unterschei­de, der werde auch nicht plötzlich zum Rassisten, wenn er eine Packung Mohrenköpf­e aus dem Supermarkt­regal nehme.

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