Otello zwischen Tür und Angel
Giuseppe Verdis große Oper muss in die Kongresshalle ausweichen. Unglückliches ist zu sehen, Glückliches zu hören
Eigentlich wollte das Theater Ausburg im Februar Dvorˇáks romantische Märchen-, Mondund Nixen-Oper „Rusalka“bringen. Aber weil sein Großes Haus geschlossen wurde und als Ausweichspielstätte nur die wenig gefühlsspendende Kongresshalle zur Verfügung stand, wurde das Pferd im Lauf noch gewechselt: Ins Ziel hatte nun Verdis testosterongetriebener, rasender „Otello“zu tragen, Opfer einer perfiden Intrige. AlphaMännchen zwischen Waschbeton.
Nun blickt der Zuschauer über das große, vor der Pause sehr handfest tönende Orchester hinweg auf einen Ort des Unbehausten, auf eine Durchgangs- und Zwischenstation. Betonplatten plus Matratzen. Das alles: eher karg, nüchtern, anti-illusionistisch. Der Ausweichort wird zu einem unverbrämten Spiel zwischen Tür und Angel genutzt: Die Seitenbühnen dienen als Ein- und Ausstieg der Szene. Beziehungsvoll ertönt dort aus dem Grammophon noch einmal das Liebesduett Otello/ Desdemona, bevor der tückische Jago zu seinem großen nihilistischen Zerstörungs-Credo ansetzt. Schön erdacht von der Regisseurin Michaela Dicu, die auch die unglückliche Liebe von Rodrigo zu Desdemona ins Bild setzt – und sogar die Hochzeit Otello/Desdemona, ursprünglich in der Vorgeschichte zur Oper verankert. Die tragische Fallhöhe des Stücks erweitert sich.
Andererseits schickt sie weniger glücklich einen Cassio ins Rennen, der einen Abend lang unter AlkDampf zu stehen hat (aber dennoch vom Hauptmann zum Statthalter befördert wird), und wenig glücklich, eher unfreiwillig komisch fällt auch Otellos Versteckspiel hinter einer Matratze aus – wobei dieses Leitmotiv-Requisit immer mal wieder eher hinderlich als interpretatorisch erhellend wirkt (Ausstattung: Okarina Peter, Timo Dentler). Was diese Produktion jedenfalls auch transportiert, das sind jene Kompromisse, Improvisationen, Einschränkungen, die eine Konzertbühne verlangt, wenn auf ihr szenisch Oper präsentiert werden soll.
Und Einschränkungen gibt es zunächst auch musikalischer Art. Die Instrumentalisten haben sich freizuspielen, die Sänger freizusingen. Nichts gegen die lautstarke, dramatische Wucht des Orchesters unter Domonkos Héja in den ersten beiden Akten – doch Nuancen kamen dabei öfters unter die Räder. Das änderte sich vom dritten Akt an, in dem zum geschlagenen Funken auch Magie, Geheimnis, Suggestivkraft hinzutraten. Jetzt zogen alle an einem Strang unter Héja, jetzt stellten sich in Augsburgs Kongresshalle gar Glücksmomente ein.
In einer Hinsicht jedenfalls ist diese Produktion eine enorme: Wenn Zurab Zurabishvili in der expansiven Titelrolle, Antonio Yang als diabolischer Marionettenführer Jago und Sally du Randt als jugendlich-tönende Desdemona ihre anfängliche Anspannung hinter sich gelassen haben, entwickelt sich einschließlich Chor ein Glanz, wie er kaum zu erhoffen war. Große Klasse!, gestützt von Ji-Woon Kim (Cassio) und Kerstin Descher (Emilia).
21. Februar; 2., 11., 19., 29. März