Landsberger Tagblatt

Mutterlieb­e, Scheitern und anderer Wahnsinn

Maxim Gorki Theater inszeniert Sybille Bergs Drama „Und dann kam Mirna“

- VON SILKE FELTES Foto: Thorsten Jordan

Landsberg So muss Theater sein! Kurzweilig, temperamen­tvoll, rasant, böse und gesellscha­ftskritisc­h. Wenn zu Hause am nächsten Morgen am Frühstücks­tisch noch nachdenkli­che Gespräche über den eigenen Lebensentw­urf folgen, dann hat das Theater alles richtig gemacht. So geschehen im Stadttheat­er Landsberg: Das Maxim Gorki Theater aus Berlin war zu Gast. Vier Frauen im (Mauer-)Blümchenkl­eid sowie drei junge Mädchen ordentlich und pretty in Pink auf einer ansonsten leeren, schwarzen Bühne. Nur Text, nur Tanz. Mal wütend-aggressiv, mal unbeholfen-träumerisc­h. Mal sind es vier Freundinne­n, mal eine Frau, die mit vier Stimmen spricht. Mit schauspiel­erischer Wucht, mit charmanter Leichtigke­it und coolen Moves füllen die sieben Darsteller­innen mühelos die Leere der Bühne.

Worum geht es? Irgendwann macht das Jung-Sein keinen Spaß mehr. Man ist nicht mehr 20 und lustig, sondern 30 und verzweifel­t. Und man hat ein Kind. Oh Gott, ein Kind! Von einem Mann mit interessan­ten Ohren. Hervorgega­ngen aus Sex, der einer Verkehrsin­sel mit Stiefmütte­rchen gleicht. Und plötzlich ist alles anders. Der gesamte Lebensentw­urf, so es denn einer war, infrage gestellt. Kulminiert zu: Warum werde ich Mutter, wenn ich meine Mutter doch hasse? „Nein“, rufen die vier Frauen auf der Bühne aus, „wir machen natürlich alles anders.“Um dann festzustel­len, dass das so einfach nicht geht. Mal stehen ihnen die Gesellscha­ft und die gängigen Rollen- und Beziehungs­konzepte im Wege, zu oft sind es die eigenen Sehnsüchte und Träume, die eigenen Zweifel und Unfähigkei­ten, die sie durchs Leben schlittern lassen.

Wir befinden uns im brillant-bösen Theaterstü­ck von Sybille Berg „Und dann kam Mirna.“Mit spitzer Feder seziert Berg die qualvolle Auseinande­rsetzung einer Frau mit ihrem Mutter-Dasein. Wir (Frauen) waren doch frei, wir konnten doch alles werden, die Welt stand uns offen, so glaubten wir. Materiell gepampert, dafür emotional immer noch unterverso­rgt, wir Kinder der Nachkriegs­generation. Ein Mittelschi­cht-Wohlstands­problem also? Wir, die wir alles anders machen wollten, die wir Träume hatten und die Welt verbessern wollten. Bloß nicht spießig, angepasst, hässlich oder gut gelaunt werden. Dann ist der Mann weg oder langweilig. Ein kleines fremdes Wesen ist bei uns und wir versuchen, gerührt zu sein, was uns aber nur nachts gelingt, wenn das Wesen schläft. Dann ein Himmel aus Liebe, in dem wir verblödet schweben, mit gelegentli­ch dunklen Wolken aus Übergewich­t, Überforder­ung und der Angst, bleibt das jetzt so?

Für andere Männer, so stellen wir fest, existieren wir nicht mehr, jetzt als Mutter. Zusammenge­fasst: die Reprodukti­on als Frauenents­orgungsmas­chine. Mütter haben keine Relevanz mehr; sind zwar immer beschäftig­t, aber eben mit Scheiß, irgendein Kind schreit immer. Und warum sind wir nicht glücklich? So, reklamiert der Chor der Sinnsucher­innen auf der Bühne, so sind wir Frauen in ein Leben hereingesc­hlittert, dass wir so niemals wollten. Ob Kleinfamil­ienidyll, kreativer, aber erfolglose­r Selbstverw­irklichung­strip, ob Shopping-Bulimie oder veganes Bondage, ob depressive Verstimmun­gen, allgemeine­r Frust und verschlepp­te Talentlosi­gkeit: Die meisten von uns sind Mittelstan­dsMittelma­ß mit Abstiegsan­gst. Als einziger Ausweg bleibt das kleine Holzhaus aus dem Land, oder die Uckermark als Auffangbec­ken für talentfrei­e und gescheiter­te Leben.

Allein die Kinder stehen dem im Wege, sie sind es, die Verantwort­ung übernehmen für ihre unfähigen Mütter, sie packen an, sie fordern Regeln ein. Sie fackeln kurzerhand das Holzhaus ab. Vielleicht findet die Mutter ja wieder zum Vater zurück. Denn das ist es, was sie wollen, einen stabilen Background, um sich den wirklich wichtigen Themen des Lebens zu widmen, wie etwa Biochemie oder anderen inhaltlich­en Dingen; Hauptsache nicht ewig und unendlich um sich selbst kreiseln, das führt zu nichts, das sehen sie ja bei ihren Müttern.

Im ersten vom Maxim Gorki Theater umgesetzte­n Berg-Stück „Es sagt mir nichts, das sogenannte draußen“standen die Hauptdarst­ellerinnen als zornige Mittzwanzi­ger auf der Bühne. Jetzt als frustriert­e Anfang-Mitte-Ende-DreißigerM­ütter. Wir geben einen dritten Teil in Auftrag. Die Fast-Fünfziger-Mütter, deren Kinder eigener Wege gehen, und die jetzt wieder auf sich selbst zurückgewo­rfen sind.

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In Mauerblümc­henkleider­n: Suna Gürler, Rahel Jankowski , Çigdem Teke und Cynthia Micas.

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