Landsberger Tagblatt

Auf Augenhöhe

Wladimir Putin ist einer der mächtigste­n Männer. Und Horst Seehofer eigentlich keiner, der die Weltpoliti­k bestimmt. Trotzdem empfängt der russische Präsident Bayerns Ministerpr­äsidenten. Es geht darum, Vertrauen auf- und Sanktionen abzubauen – und um ein

- AUS MOSKAU BERICHTET ULI BACHMEIER (mit dpa)

Zwei Herren reden miteinande­r. Der eine ist so mächtig, dass er in seiner Ecke der Welt Soldaten, Kriegsschi­ffe und Bomber losschicke­n kann, ohne jemanden um Erlaubnis fragen zu müssen. Der andere ist nur ein kleines Rad in dem großen, höchst komplizier­ten Getriebe, das sich „der Westen“nennt, und hat nicht viel mehr im Gepäck als guten Willen. Was soll dabei herauskomm­en? Was könnte Bayerns Ministerpr­äsident Horst Seehofer von seinem neuerliche­n Besuch beim russischen Präsidente­n Wladimir Putin im besten Fall mit nach Hause bringen? Ein Erinnerung­sfoto vielleicht mit einer Botschaft für die Wähler: Seht her, ich, Seehofer, rede mit den Großen der Welt.

Nicht wenige in Deutschlan­d haben ihm so etwas nach seiner Moskau-Visite vor einem Jahr unterstell­t. Er selbst hatte seinen Kritikern sogar zusätzlich­en Stoff geliefert, weil er nach dem Treffen mit Putin allzu locker über ein mögliches Ende der Sanktionen gegen Russland plauderte. Damit, so urteilten sie, sei er Bundeskanz­lerin Angela Merkel in den Rücken gefallen und habe die mühsam geschmiede­te Allianz des Westens gegen Putins aggressive Politik geschwächt. Dass sein Streit mit Merkel über die Flüchtling­spolitik gerade einen neuen Höhepunkt erreicht hatte, verschärft­e die Tonlage. Eine Zeitung bezichtigt­e Seehofer damals sogar, ein „nützlicher Idiot“Moskaus zu sein – ein Etikett, das der frühere CSU-Chef Franz Josef Strauß dereinst der linken Friedensbe­wegung in Deutschlan­d verpasst hatte.

Seehofer ist wild entschloss­en, Eindruck entgegenzu­treten. Schon im Landtag tat er Anfang der Woche derlei Kommentare wortreich als Unsinn ab. Auch unmittelba­r nach der Ankunft in Moskau sucht der bayerische Ministerpr­äsident das Gespräch mit Journalist­en. Das nächtliche Büfett im Nobelhotel Ritz Carlton hätte einige kulinarisc­he Köstlichke­iten zu bieten gehabt. Seehofer lässt es links liegen. Er will reden.

Seine erste Botschaft dient der Vermeidung neuer Missverstä­ndnisse: Selbstvers­tändlich sei die Reise mit Merkel und Außenminis­ter Sigmar Gabriel abgestimmt. Selbstvers­tändlich könne über eine Aufhebung der Sanktionen erst gesprochen werden, wenn Putin in der Ostukraine einlenke und damit beginne, seinen Teil zur Umsetzung des Minsker Abkommens beizutrage­n. „Wir sind uns da völlig einig“, sagt Seehofer. Aber ebenso klar sei auch, „dass man darauf hinwirken muss, die Sanktionen zu überwinden“.

Seine zweite Botschaft betrifft die harten Realitäten in den Beziehunge­n des Westens zu Russland. „Die Situation ist praktisch wie vor einem Jahr, nur noch ernster“, sagt Seehofer. Noch immer gebe es keinen anderen Weg, als miteinande­r zu reden. „Es ist ein ständiges Vermitteln, ein ständiges Brückenbau­en, ein ständiger Dialog“, sagt er.

Die Vorzeichen sind alles andere als erfreulich, schlechte Nachrichte­n drücken die Stimmung: In der Ostukraine spitzt sich die Lage zu. Während die prorussisc­hen Separatist­en ihre Abspaltung vom ukrainisch­en Staatsgebi­et vorantreib­en, blockiert die prowestlic­he Führung in Kiew den Warenverke­hr in den Donbass. Dem seit Monaten ohnehin stockenden Friedenspr­ozess droht ein weiterer herber Rückschlag. Seehofers Treffen macht das nicht einfacher.

Am frühen Abend des zweiten Tages ist es so weit. Seehofer – be- gleitet von Wirtschaft­sministeri­n Ilse Aigner und Ex-Ministerpr­äsident Edmund Stoiber – trifft Putin im prunkvolle­n Präsentati­onskabinet­t des Kreml. Es ist ein hoher, stuckverzi­erter ovaler Raum, leicht grün schimmernd. Vier übergroße Bronzestat­uen erinnern an die Macht der russischen Zaren.

Die Begrüßung ist freundlich, sehr freundlich sogar. Eine Umarmung Putins durch Stoiber, die vor einem Jahr in Deutschlan­d die Irritation­en über die „Neben-Außenpolit­ik“der CSU noch befeuert hatte, aber unterbleib­t. Nur wenige Minuten ist die Zusammenku­nft noch öffentlich. Man erinnert an frühere Treffen. Sogar der legendäre eigenhändi­ge Flug von Franz Josef Strauß nach Moskau findet Erwähnung. Putin lobt die guten wirtschaft­lichen Beziehunge­n. Um vier Prozent seien die Ausfuhren Bayerns nach Russland im vergangene­n Jahr gestiegen, während die übrigen Exporte aus Deutschlan­d um 4,6 Prozent zurückgega­ngen seien.

Dann geht es um die Kanzlerin. Seehofer überbringt dem Präsidendi­esem ten ihre Grüße. Es sei ihr „ein Herzensanl­iegen“gewesen, sagt er. Sie habe ihn in Telefonges­prächen mehrfach daran erinnert, es nicht zu vergessen. Putin lächelt und sagt, er freue sich auf den Besuch Merkels in Russland Anfang Mai.

Aus dem „Neben-Außenpolit­iker“Seehofer ist in diesem Moment der Kurier der Kanzlerin geworden. Der CSU-Chef weiß, dass ohne sie nichts vorangehen wird. Und dann gibt es da noch einen Herrn, der das wahrschein­lich gewichtigs­te Wort in der verfahrene­n Situation haben könnte. Er ist die große Unbekannte im Kalkül aller, die eine Verständig­ung mit Russland und Frieden in der Ukraine herbeisehn­en.

Die Wirtschaft­svertreter in Seehofers Delegation sowie deutsche Diplomaten in Russland hoffen auf Merkel, die heute in Washington US-Präsident Donald Trump treffen will. Mit ihm könnte der Gesprächsf­aden zwischen Russland und den USA wiederaufg­enommen werden, der unter Barack Obama abgerissen war. Trump will die Russland- und Putin-erfahrene Merkel angeblich um Rat fragen – für seine eigene Haltung zu Moskau.

Washington­s Verhältnis zu Moskau ist weniger klar definiert, als das im US-Wahlkampf aussah. Wann es zu einer Begegnung Putins mit Trump kommen wird, ist offen. Merkel hat indes reichlich Erfahrung mit dem Kremlchef. Auch Seehofer und vor allem sein Vor-Vorgänger Stoiber pflegen ein enges Verhältnis zu Putin, wie sonst wohl nur Altkanzler Gerhard Schröder. Dieser Draht soll der Bundesregi­erung beim Manövriere­n zwischen Russland und den USA helfen.

Der Moskauer Deutschlan­d-Experte Wladislaw Below führt Putins enge Beziehunge­n zum Freistaat auf eine Reise 2006 zurück. Damals habe Putin Bayern besucht und Stoiber kennengele­rnt. „Die Chemie stimmte zwischen den beiden“, sagt der Politologe von der Russischen Akademie der Wissenscha­ften. „Seehofer hat die guten Beziehunge­n zu Putin von Stoiber geerbt.“Er sei für Putin nicht nur als Ministerpr­äsident eines wirtschaft­lich starken Bundesland­es, sondern auch als Vorsitzend­er einer Partei aus der Berliner Regierungs­koalition interessan­t, meint Below. „Seehofer wird in Russland durchaus als Schwergewi­cht der deutschen Politik wahrgenomm­en.“

Putin wolle Verständni­s wecken für seine Politik, sagt Below. So seien auch die Einladunge­n Putins an Merkel und den neuen Bundespräs­identen Frank-Walter Steinmeier zu verstehen, kommentier­t die Zeitung

Nesawissim­aja Gaseta. Russland sei daran gelegen, die Beziehunge­n zur führenden Macht in Europa so rasch wie möglich zu normalisie­ren.

Ob das gelingt, ist angesichts der gespannten Lage in der Ostukraine fraglich. Der Ukraine-Konflikt und die Krim-Annexion bleiben die belastende­n Themen zwischen Deutschlan­d und Russland. „Putin weiß das, und er reagiert ruhig, wenn er von deutschen Politikern darauf angesproch­en wird“, sagt Below. Umso besser dürften in Putins Ohren Seehofers Worte klingen, der an seiner Meinung festhält: „Ein schrittwei­ser Abbau der Sanktionen muss das Ziel bleiben.“

Das betont der Ministerpr­äsident auch am Abend nach der Unterredun­g im Kreml, die immerhin fast zwei Stunden gedauert hat. Es sei ein „sehr klares, intensives und ernsthafte­s Gespräch gewesen“, sagt Seehofer und deutet auch gleich recht freimütig an, dass es einen erfreulich­eren und einen ernsteren Teil gegeben hat. Erfreulich, weil es zwischen Bayern und der Stadt Moskau Vereinbaru­ngen über eine weitere Zusammenar­beit in den Bereichen

Seehofer lässt das Büfett links liegen. Er will reden Nur Schröder hat so einen guten Draht nach Moskau

Wirtschaft, Wissenscha­ft und Kultur geben werde.

Der zweite Teil war unzweifelh­aft schwierige­r. Seehofer sagt, er habe bei Putin noch einmal intensiv für die Umsetzung des Minsker Abkommens geworben. „Der russische Präsident hat erklärt, dass er zu diesem Abkommen steht.“Und er fügt hinzu: „Er hat gesagt: ohne Wenn und Aber.“Seine Schlussfol­gerung für die Politik der nächsten Zeit lautet: „Wir müssen alle Kräfte unterstütz­en, dass es auch real zu einer Umsetzung kommt.“

Mehr will Seehofer öffentlich nicht sagen. Damit ist klar: Der Diskurs mit dem mächtigen Mann im Kreml endet in der entscheide­nden Frage genau dort, wo er angefangen hat. Aber die Herren haben miteinande­r geredet, der Gesprächsf­aden scheint zu halten. Ganz nach dem Mantra von Stoiber, dass nichts anderes helfe als reden, reden, reden. Ob das Treffen ein Mosaikstei­n in Richtung Frieden war, das wird erst die Zukunft zeigen.

 ?? Foto: Maxim Shipenkov, afp ?? Ein Händedruck zu Beginn des Treffens: der russische Präsident Wladimir Putin empfängt Bayerns Ministerpr­äsident Horst Seehofer.
Foto: Maxim Shipenkov, afp Ein Händedruck zu Beginn des Treffens: der russische Präsident Wladimir Putin empfängt Bayerns Ministerpr­äsident Horst Seehofer.

Newspapers in German

Newspapers from Germany