VW empört über Münchner Staatsanwälte Die heiße Harnstoff-Spur
Warum die Wolfsburger Automanager so erbost sind und wie die Stimmung in Ingolstadt ist
München Nach der Großrazzia bei Audi im Zusammenhang mit dem VW-Diesel-Skandal hat Volkswagen die Vorgehensweise der Staatsanwaltschaft München ungewöhnlich scharf kritisiert. Wie das
berichtet, waren im Zuge der Razzia auch Räume der von VW mit internen Ermittlungen beauftragten US-Kanzlei Jones Day durchsucht worden. „Wir halten das Vorgehen der Staatsanwaltschaft München in jeder Hinsicht für inakzeptabel“, erklärte VW.
Am Vortag hatten während der Jahrespressekonferenz von Audi mehr als 100 Polizisten und Staatsanwälte die Zentrale der VW-Tochter sowie weitere, zunächst nicht näher bezeichnete Standorte und Wohnungen von Mitarbeitern durchsucht (wir berichteten). Die Staatsanwaltschaft München äußerte sich nicht zur Frage, welche Objekte konkret betroffen waren, da die Maßnahmen nicht abgeschlossen seien. Die Behörde hat ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannt wegen des Verdachts des Betruges und der strafbaren Werbung eingeleitet. Mit den Aktionen will sie klären, wer an der Verwendung der manipulierten Abgas-Software und an Falschangaben beteiligt gewesen
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sei. VW erklärte, die Durchsuchung einer vom Unternehmen beauftragten Rechtsanwaltskanzlei verstoße „klar gegen die in der Strafprozessordnung festgeschriebenen rechtsstaatlichen Grundsätze“. „Dies hat auch das Bundesverfassungsgericht im Fall einer anderen Kanzlei ausdrücklich hervorgehoben. Wir werden mit allen Mitteln hiergegen vorgehen“, hieß es.
Und wie ist die Stimmung in Ingolstadt nach der Razzia? Johannes Hofsommer, ein Sprecher des AudiBetriebsrats, sagte unserer Zeitung: „Der Betriebsrat fordert die Aufklärung weiter ein. Aus Sicht der Arbeitnehmervertreter geht sie leider oft zu langsam voran.“Ein Tag wie der Mittwoch gehe nicht spurlos an der Belegschaft vorüber. Und der Sprecher fügte hinzu: „Unsere Beschäftigungsgarantie bis 2020, die der Betriebsrat erzielen konnte, steht felsenfest und gibt der Belegschaft weiterhin Sicherheit.“Johann Horn, erster Bevollmächtigter der Ingolstädter IG Metall, riet davon ab, aufgrund der auch für ihn „absolut überraschenden“Durchsuchung von Audi-Büros kurzfristig personelle Konsequenzen zu fordern: „Man muss erst einmal die Ergebnisse abwarten.“Solange die Ermittlungen nicht abgeschlossen seien, müsse für jeden die Unschuldsvermutung gelten, so der Gewerkschafter. Eine Razzia genau am Tag der Bilanzpressekonferenz mit rund 100 Journalisten aus aller Welt sei für ein solches Unternehmen allerdings „fast der Super-GAU“.
Die negativen Nachrichten reißen für Volkswagen nicht ab: Ein Anfang des Jahres festgenommener VW-Manager, den die USA im Abgasskandal zur Rechenschaft ziehen wollen, bleibt in Haft. Die US-Justiz beschuldigt den Deutschen, Teil einer Verschwörung zum Betrug und Verstoß gegen US-Umweltgesetze gewesen zu sein. Ihm droht eine Haftstrafe.
Ob Volkswagen-Chef Müller oder Audi-Boss Stadler, beide Manager haben ein Problem, ein Erklärungsproblem. Sie drücken sich um einfache Antworten auf einfache Fragen. Und damit provozieren sie die Staatsanwälte, deren Job es ist, zu ermitteln, welche strafrechtlich relevanten Vorgänge sich im Hause „Volkswagen“zugetragen haben.
Die Razzia in Ingolstadt wirkt wie die Reaktion darauf, dass Volkswagen den Staatsanwälten nicht ausreichend Informationen liefert. Den Ermittlern ist – verständlicherweise – der Geduldsfaden gerissen. Vielleicht stoßen die Juristen bei ihren Untersuchungen auf ein Wort, das für die Recherchetrupps von und
im Mittelpunkt der Dieselaffäre steht. Es geht um „AdBlue“, ein Gemisch aus künstlichem Harnstoff und Wasser. Es reduziert giftige Stickoxide. Damit VW und Audi in den USA mit den Dieselfahrzeugen erfolgreich sein konnten, mussten
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die Anbieter Unmengen an Stickoxiden neutralisieren. Nur so lassen sich die strengen US-Grenzwerte gesetzeskonform einhalten. Große Dieselautos bräuchten demnach große AdBlue-Tanks, um der Schadstoffe Herr zu werden. Genau das – und das werden die Staatsanwälte sicher prüfen – hatten VW- und Audi-Manager wohl verworfen. Platzfressende Harnstoffbehälter sind ein Verkaufshindernis. Bei kleineren Tanks hätten Fahrer häufiger das Zeug nachfüllen müssen. All das mögen Autokäufer nicht. Sie lieben es bequem.
So liegt der Verdacht nahe, dass VW- und Audi-Männer beschlossen haben, die Abgaswerte mit einer Software zu manipulieren, damit die Harnstoffbehälter klein bleiben und AdBlue nur bei Inspektionen nachgefüllt werden muss. Das ist die plausibelste Erklärung für den Abgasbetrug. Es ist höchste Zeit, dass Müller und Stadler das HarnstoffRätsel ganz einfach auflösen.