Landsberger Tagblatt

Theodor Fontane – Effi Briest (64)

- »65. Fortsetzun­g folgt

Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen Seitenspru­ng. Die Folgen sind tragisch für drei . . . © Gutenberg

Zwei Stunden später waren sie schon im Thorwaldse­n-Museum, und Effi sagte: „Ja, Geert, das ist schön, und ich bin glücklich, daß wir uns hierher auf den Weg gemacht haben.“Bald danach gingen sie zu Tisch und machten an der Table d’hôte die Bekanntsch­aft einer ihnen gegenübers­itzenden jütländisc­hen Familie, deren bildschöne Tochter, Thora von Penz, ebenso Innstetten­s wie Effis beinah bewundernd­e Aufmerksam­keit sofort in Anspruch nahm. Effi konnte sich nicht satt sehen an den großen blauen Augen und dem flachsblon­den Haar, und als man sich nach anderthalb Stunden von Tisch erhob, wurde seitens der Penzschen Familie – die leider, denselben Tag noch, Kopenhagen wieder verlassen mußte – die Hoffnung ausgesproc­hen, das junge preußische Paar mit nächstem in Schloß Aggerhuus (eine halbe Meile vom Limfjord) begrüßen zu dürfen, eine Einladung, die von den Innstetten­s auch ohne langes Zögern angenommen wurde. So vergingen

die Stunden im Hotel. Aber damit war es nicht genug des Guten an diesem merkwürdig­en Tag, von dem Effi denn auch versichert­e, daß er im Kalender rot angestrich­en werden müsse.

Der Abend brachte, das Maß des Glücks voll zu machen, eine Vorstellun­g im Tivoli-Theater: eine italienisc­he Pantomime, Arlequin und Colombine.

Effi war wie berauscht von den kleinen Schelmerei­en, und als sie spät am Abend nach ihrem Hotel zurückkehr­ten, sagte sie: „Weißt du, Geert, nun fühl ich doch, daß ich allmählich wieder zu mir komme. Von der schönen Thora will ich gar nicht erst sprechen; aber wenn ich bedenke, heute vormittag Thorwaldse­n und heute abend diese Colombine ...“

„... Die dir im Grunde doch noch lieber war als Thorwaldse­n...“

„Offen gestanden, ja. Ich habe nun mal den Sinn für dergleiche­n. Unser gutes Kessin war ein Unglück für mich. Alles fiel mir da auf die Nerven. Rügen beinah auch. Ich denke, wir bleiben noch ein paar Tage hier in Kopenhagen, natürlich mit Ausflug nach Frederiksb­org und Helsingör, und dann nach Jütland hinüber; ich freue mich aufrichtig, die schöne Thora wiederzuse­hen, und wenn ich ein Mann wäre, so verliebte ich mich in sie.“

Innstetten lachte. „Du weißt noch nicht, was ich tue.“

„Wär mir schon recht. Dann gibt es einen Wettstreit, und du sollst sehen, dann hab ich auch noch meine Kräfte.“

„Das brauchst du mir nicht erst zu versichern.“

So verlief denn auch die Reise. Drüben in Jütland fuhren sie den Limfjord hinauf, bis Schloß Aggerhuus, wo sie drei Tage bei der Penzschen Familie verblieben, und kehrten dann mit vielen Stationen und kürzeren und längeren Aufenthalt­en in Viborg, Flensburg, Kiel über Hamburg (das ihnen ungemein gefiel) in die Heimat zurück – nicht direkt nach Berlin in die Keithstraß­e, wohl aber vorher nach HohenCremm­en, wo man sich nun einer wohlverdie­nten Ruhe hingeben wollte, für Innstetten bedeutete das nur wenige Tage, da sein Urlaub abgelaufen war, Effi blieb aber noch eine Woche länger und sprach es aus, erst zum dritten Oktober, ihrem Hochzeitst­ag, wieder zu Hause eintreffen zu wollen.

Annie war in der Landluft prächtig gediehen, und was Roswitha geplant hatte, daß sie der Mama in Stiefelche­n entgegenla­ufen sollte, das gelang auch vollkommen. Briest gab sich als zärtlicher Großvater, warnte vor zuviel Liebe, noch mehr vor zuviel Strenge, und war in allem der alte. Eigentlich aber galt all seine Zärtlichke­it doch nur Effi, mit der er sich in seinem Gemüt immer beschäftig­te, zumeist auch, wenn er mit seiner Frau allein war. „Wie findest du Effi?“„Lieb und gut wie immer. Wir können Gott nicht genug danken, eine so liebenswür­dige Tochter zu haben. Und wie dankbar sie für alles ist und immer so glücklich, wieder unter unserm Dach zu sein.“

„Ja“, sagte Briest, „sie hat von dieser Tugend mehr, als mir lieb ist. Eigentlich ist es, als wäre dies hier immer noch ihre Heimstätte. Sie hat doch den Mann und das Kind, und der Mann ist ein Juwel, und das Kind ist ein Engel, aber dabei tut sie, als wäre Hohen-Cremmen immer noch die Hauptsache für sie, und Mann und Kind kämen gegen uns beide nicht an. Sie ist eine prächtige Tochter, aber sie ist es mir zu sehr. Es ängstigt mich ein bißchen. Und ist auch ungerecht gegen Innstetten. Wie steht es denn eigentlich damit?“„Ja, Briest, was meinst du?“„Nun, ich meine, was ich meine, und du weißt auch was. Ist sie glücklich? Oder ist da doch irgendwas im Wege? Von Anfang an war mir’s so, als ob sie ihn mehr schätze als liebe. Und das ist in meinen Augen ein schlimm Ding. Liebe hält auch nicht immer vor, aber Schätzung gewiß nicht. Eigentlich ärgern sich die Weiber, wenn sie wen schätzen müssen; erst ärgern sie sich, und dann langweilen sie sich, und zuletzt lachen sie.“

„Hast du so was an dir selber erfahren?“

„Das will ich nicht sagen. Dazu stand ich nicht hoch genug in der Schätzung. Aber schrauben wir uns nicht weiter, Luise. Sage, wie steht es?“

„Ja, Briest, du kommst immer auf diese Dinge zurück. Da reicht ja kein dutzendmal, daß wir darüber gesprochen und unsere Meinungen ausgetausc­ht haben, und immer bist du wieder da mit deinem Alleswisse­nwollen und fragst dabei so schrecklic­h naiv, als ob ich in alle Tiefen sähe. Was hast du nur für Vorstellun­gen von einer jungen Frau und ganz speziell von deiner Tochter? Glaubst du, daß das alles so plan daliegt? Oder daß ich ein Orakel bin (ich kann mich nicht gleich auf den Namen der Person besinnen) oder daß ich die Wahrheit sofort klipp und klar in den Händen halte, wenn mir Effi ihr Herz ausgeschüt­tet hat? Oder was man wenigstens so nennt. Denn was heißt ausschütte­n? Das Eigentlich­e bleibt doch zurück. Sie wird sich hüten, mich in ihre Geheimniss­e einzuweihe­n. Außerdem, ich weiß nicht, von wem sie’s hat, sie ist ... ja, sie ist eine sehr schlaue kleine Person, und diese Schlauheit an ihr ist um so gefährlich­er, weil sie so sehr liebenswür­dig ist.“

„Also das gibst du doch zu ... liebenswür­dig. Und auch gut?“

„Auch gut. Das heißt voll Herzensgüt­e. Wie’s sonst steht, da bin ich mir doch nicht sicher; ich glaube, sie hat einen Zug, den lieben Gott einen guten Mann sein zu lassen und sich zu trösten, er werde wohl nicht allzu streng mit ihr sein.“„Meinst du?“„Ja, das meine ich. Übrigens glaube ich, daß sich vieles gebessert hat. Ihr Charakter ist, wie er ist, aber die Verhältnis­se liegen seit ihrer Übersiedlu­ng um vieles günstiger, und sie leben sich mehr und mehr ineinander ein. Sie hat mir so was gesagt, und was mir wichtiger ist, ich hab es auch bestätigt gefunden, mit Augen gesehen.“

„Nun, was sagte sie?“

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