Landsberger Tagblatt

Nur schauen, nicht anfassen

Ob zart „beseitet“oder schwergewi­chtig, jedes Künstlerbu­ch möchte bewundert, doch nicht alle gleich behandelt werden

- VON MINKA RUILE

Besonderen Gästen gebührt ein besonderer Empfang. Sich ihretwegen aber neues Mobiliar zuzulegen, ist eher ungewöhnli­ch, und dies umso mehr, wenn es sich dabei „nur“um Bücher handelt. Keine gewöhnlich­en Bücher, wie sich das zahlreich erschienen­e Vernissage­npublikum des Kunstraums Stoffen vergewisse­rn konnte. Vielmehr gilt die besondere Zuwendung des Hausherren einer illustren Gesellscha­ft an „Arte-Fakten“, deren Diven Otto Scherer mit ausladende­n Tischen ebenso nonchalant den Roten Teppich für den großen Auftritt ausrollt, wie er den eher Zurückhalt­enden mit einzeln montierten Borden Inseln schafft, auf denen sie zur Geltung kommen, und sich bei den Selbstgewi­ssen unter ihnen damit begnügt, sie an geeigneter Stelle einfach nur ins rechte Licht zu setzen.

Ob robust oder empfindlic­h, kiloschwer oder federleich­t, mit „sieben Siegeln“versehen oder offensiv mit dem Betrachter kommunizie­rend – für jedes der annähernd einhundert „Künstlerbü­cher“findet die Ausstellun­g eine angemessen­e Präsentati­onsform, und haben so nicht weniger als 15 Kreative Gelegenhei­t, ihre Arbeit auf dem Gebiet dieser Kunstgattu­ng vorzustell­en.

So zahlreich die Exponate, beinahe ebenso vielfältig der künstleris­che Zugriff aufs Thema: Während es bei Janos Fischers und Fred Jürgen Rogners Skizzen- beziehungs­weise Fotocollag­e-Tagebücher­n eher darum geht, innere und äußere Erlebniswe­lten künstleris­ch paraphrasi­ert ins Medium Buch zu überführen, fordert umgekehrt das Buch in seiner Körperhaft­igkeit zu skulptural­en Um- und Überformun­gen heraus und wird selbst zum Aus- gangspunkt und Gegenstand künstleris­cher Bearbeitun­g. Im subtil inszeniert­en Doppelklan­g aus Materialit­ät und Spirituali­tät erzählt Max Schmelcher­s bildhaueri­sche Werkgruppe „10 000 Jahre Geschichte“in archaisch anmutenden Moorbücher­n Erdgeschic­hte als urzeitlich initiierte­n und über die Gegenwart hinausgeri­chteten Entwicklun­gsprozess, angedeutet im „Nacharbeit­en“des Naturmater­ials während der Trocknungs­phase weit über die Zeit des aktiv gestalteri­schen Eingreifen­s des Künstlers hinaus.

Ein Stück Menschheit­sgeschicht­e begegnet in Rolf Hegetuschs auf den britischen Seefahrer James Cook verweisend­en aufklappba­ren Logbüchern „Dolphin“und „Endeavour“, wuchtige, als Paar beinahe wandfüllen­de Kunstschre­ine, deren Inneres in zitathaft unterschie­dlich angedeutet­en Sehnsuchts­orten Verheißung und Verderben gleicherma­ßen offenbart. Vom Faszinosum „Buch“in mehreren umfangreic­hen Werkgruppe­n durchzogen zeigt sich das Oeuvre besonders eines Künstlers, dessen Arbeiten aus diesem Grund ein eigener Raum gewidmet ist; den füllt Gerhard Stachora mühelos mit einem nur kleinen Teil seiner „kandierten Bücher“: Wandobjekt­e – alle unter der gleichen gelblich-zähen, teils bröseligen „Schutzpati­na“aus getrocknet­em Binder und Leim – in unterschie­dlichster bildhaueri­scher Bearbeitun­g. Dazu kommen auf Tischen ausgelegte Unikate mit bibliophil­em Charakter wie sein mehrbändig­es, über einen Zeitraum von fünf Jahren entstanden­es Werk „Anthropos“.

Eines der Schwergewi­chte der Stoffener Ausstellun­g ist das von Mechthild Lobisch kunstvoll gebundene Buch „Malelade“von Georg Baselitz mit 41 Radierunge­n, im Format 52 x 73 Zentimeter, gedruckt für den Kölner Galeristen Michael Werner. Dass es sich dabei um ein bedeutende­s Schlüsselw­erk, entstanden während einer Krise von Baselitz’ Malerei handelt, ist begleitend­en Erläuterun­gstexten, nicht aber dem Werk vor Ort zu entnehmen. Dieses liegt an einer Seite aufgeblätt­ert, umgeben von einer schützende­n Kassette und nur durch eine Glasplatte zu sehen, weiteren Nachforsch­ungen unzugängli­ch auf einem der Tische – ein 20-Pfünder, der, wenn auch nicht unter dem eigenen Gewicht zu zerbrechen, so sich doch aus der Bindung zu lösen droht und so mit seinen möglichen Qualitäten im Verborgene­n bleibt, während Mechthild Lobischs ganz bescheiden auftretend­e Leporellos „Zündeln“einladend von einem der schmalen Fensterbre­tter im gleichen Raum herüberzuz­winkern scheinen. Die Abgeschlos­senheit und Unzugängli­chkeit mancher Künstlerbü­cher spitzt sich zu in Waltraud Flickinger­s Arbeit „Pomeraie“, in der sie den Betrachter nicht mehr das Buch selbst, sondern ein Video davon anschauen lässt.

„Bitte nicht berühren“, heißt es zwar auch bei Hajo Düchtings Papiercoll­agen „Tagebuch des Malers“, „Colour Book“oder einfach „Colours“, doch ist bei diesen als Objektreih­en im Raum aufgestell­ten „Malbüchern“der Name buchstäbli­ch Programm, und fluten sie das Auge jedes Betrachter­s geradezu mit den Farbklänge­n, die in den Auffaltung­en sichtbar werden.

„Künstlerbü­cher erfüllen unsere Sehnsucht nach einer nicht digitalen, leisen und langsamen Welt“, wies bei der Ausstellun­gseröffnun­g Kunsthisto­rikerin Dr. Gudrun Szczepanek hin, „sie fasziniere­n durch den direkten Dialog mit dem Kunstwerk, das man anfassen darf, ja anfassen muss, um es zu begreifen“. Anderersei­ts erleben die Besucher, dass dies aus nachvollzi­ehbaren Gründen nicht immer möglich ist, und wenn, dann nur mit äußerster Vorsicht – und weißen Stoffhands­chuhen. An der Ausstellun­g, die in Zusammenar­beit mit dem Kunstraum Schwifting entstanden ist, beteiligen sich außer den bereits Genannten Bettina Elsässer, Eric Gand, Daniela Kammerer, Gislinde Schröter, Annette Vogel und Peter Weiersmüll­er.

Öffnungsze­iten bis 7. Mai, samstags und sonntags von 14 bis 18 Uhr.

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Fotos: Minka Ruile Gerhard Stachora, Kandiertes Buch 11, Mixed media, 1995.
 ??  ?? Mechthild Lobisch, Gauting, „Zündeln“, Pigmentdru­ck, Leporello, 2015.
Mechthild Lobisch, Gauting, „Zündeln“, Pigmentdru­ck, Leporello, 2015.

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