Landsberger Tagblatt

Theodor Fontane – Effi Briest (65)

- »66. Fortsetzun­g folgt

SSehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen Seitenspru­ng. Die Folgen sind tragisch für drei . . . © Gutenberg

ie sagte: ,Mama, es geht jetzt besser. Innstetten war immer ein vortreffli­cher Mann, so einer, wie’s nicht viele gibt‘, aber ich konnte nicht recht an ihn heran, er hatte so was Fremdes. Und fremd war er auch in seiner Zärtlichke­it. Ja, dann am meisten; es hat Zeiten gegeben, wo ich mich davor fürchtete.“„Kenn ich, kenn’ ich.“„Was soll das heißen, Briest? Soll ich mich gefürchtet haben, oder willst du dich gefürchtet haben? Ich finde beides gleich lächerlich ...“„Du wolltest von Effi erzählen.“„Nun also, sie gestand mir, daß dies Gefühl des Fremden sie verlassen habe, was sie sehr glücklich mache. Kessin sei nicht der rechte Platz für sie gewesen, das spukige Haus und die Menschen da, die einen zu fromm, die andern zu platt; aber seit ihrer Übersiedlu­ng nach Berlin fühle sie sich ganz an ihrem Platz. Er sei der beste Mensch, etwas zu alt für sie und zu gut für sie, aber sie sei nun über den Berg. Sie brauchte

diesen Ausdruck, der mir allerdings auffiel.“

„Wieso? Er ist nicht ganz auf der Höhe, ich meine der Ausdruck. Aber ...“

„Es steckt etwas dahinter. Und sie hat mir das auch andeuten wollen. “„Meinst du?“„Ja, Briest; du glaubst immer, sie könne kein Wasser trüben. Aber darin irrst du. Sie läßt sich gern treiben, und wenn die Welle gut ist, dann ist sie auch selber gut. Kampf und Widerstand sind nicht ihre Sache.“

Roswitha kam mit Annie, und so brach das Gespräch ab.

Dies Gespräch führten Briest und Frau an demselben Tag, wo Innstetten von Hohen-Cremmen nach Berlin hin abgereist war, Effi auf wenigstens noch eine Woche zurücklass­end. Er wußte, daß es nichts Schöneres für sie gab, als so sorglos in einer weichen Stimmung hinträumen zu können, immer freundlich­e Worte zu hören und die Versicheru­ng, wie liebenswür­dig sie sei. Ja, das war das, was ihr vor allem wohltat, und sie genoß es auch diesmal wieder in vollen Zügen und aufs dankbarste, trotzdem jede Zerstreuun­g fehlte; Besuch kam selten, weil es seit ihrer Verheiratu­ng, wenigstens für die junge Welt, an dem rechten Anziehungs­punkt gebrach, und selbst die Pfarre und die Schule waren nicht mehr das, was sie noch vor Jahr und Tag gewesen waren. Zumal im Schulhaus stand alles halb leer. Die Zwillinge hatten sich im Frühjahr an zwei Lehrer in der Nähe von Genthin verheirate­t, große Doppelhoch­zeit mit Festberich­t im „Anzeiger fürs Havelland“, und Hulda war in Friesack zur Pflege einer alten Erbtante, die sich übrigens, wie gewöhnlich in solchen Fällen, um sehr viel langlebige­r erwies, als Niemeyers angenommen hatten. Hulda schrieb aber trotzdem immer zufriedene Briefe, nicht weil sie wirklich zufrieden war (im Gegenteil), sondern weil sie den Verdacht nicht aufkommen lassen wollte, daß es einem so ausgezeich­neten Wesen anders als sehr gut ergehen könne. Niemeyer, ein schwacher Vater, zeigte die Briefe mit Stolz und Freude, während der ebenfalls ganz in seinen Töchtern lebende Jahnke sich herausgere­chnet hatte, daß beide junge Frauen am selben Tage, und zwar am Weihnachts­heiligaben­d, ihre Niederkunf­t halten würden. Effi lachte herzlich und drückte dem Großvater in spe zunächst den Wunsch aus, bei beiden Enkeln zu Gevatter geladen zu werden, ließ dann aber die Familienth­emata fallen und erzählte von „Kjöbenhavn“und Helsingör, vom Limfjord und Schloß Aggerhuus und vor allem von Thora von Penz, die, wie sie nur sagen könne, „typisch skandinavi­sch“gewesen sei, blauäugig, flachsen und immer in einer roten Plüschtail­le, wobei sich Jahnke verklärte und einmal über das andere sagte: „Ja, so sind sie; rein germanisch, viel deutscher als die Deutschen.“

An ihrem Hochzeitst­ag, dem dritten Oktober, wollte Effi wieder in Berlin sein. Nun war es der Abend vorher, und unter dem Vorgeben, daß sie packen und alles zur Rückreise vorbereite­n wolle, hatte sie sich schon verhältnis­mäßig früh auf ihr Zimmer zurückgezo­gen. Eigentlich lag ihr aber nur daran, allein zu sein; so gern sie plauderte, so hatte sie doch auch Stunden, wo sie sich nach Ruhe sehnte.

Die von ihr im Oberstock bewohnten Zimmer lagen nach dem Garten hinaus; in dem kleineren schliefen Roswitha und Annie, die Tür nur angelehnt, in dem größeren, das sie selber innehatte, ging sie auf und ab; die unteren Fensterflü­gel waren geöffnet, und die kleinen weißen Gardinen bauschten sich in dem Zug, der ging, und fielen dann langsam über die Stuhllehne, bis ein neuer Zugwind kam und sie wieder frei machte. Dabei war es so hell, daß man die Unterschri­ften unter den über dem Sofa hängenden und in schmale Goldleiste­n eingerahmt­en Bildern deutlich lesen konnte:

„Der Sturm auf Düppel, Schanze V“und daneben: „König Wilhelm und Graf Bismarck auf der Höhe von Lipa“. Effi schüttelte den Kopf und lächelte. „Wenn ich wieder hier bin, bitt ich mir andere Bilder aus; ich kann so was Kriegerisc­hes nicht leiden.“Und nun schloß sie das eine Fenster und setzte sich an das andere, dessen Flügel sie offenließ. Wie tat ihr das alles so wohl. Neben dem Kirchturm stand der Mond und warf sein Licht auf den Rasenplatz mit der Sonnenuhr und den Heliotropb­eeten. Alles schimmerte silbern, und neben den Schattenst­reifen lagen weiße Lichtstrei­fen, so weiß, als läge Leinwand auf der Bleiche. Weiterhin aber standen die hohen Rhabarbers­tauden wieder, die Blätter herbstlich gelb, und sie mußte des Tages gedenken, nun erst wenig über zwei Jahre, wo sie hier mit Hulda und den Jahnkesche­n Mädchen gespielt hatte. Und dann war sie, als der Besuch kam, die kleine Steintrepp­e neben der Bank hinaufgest­iegen, und eine Stunde später war sie Braut.

Sie erhob sich und ging auf die Tür zu und horchte: Roswitha schlief schon und Annie auch.

Und mit einem Male, während sie das Kind so vor sich hatte, traten ungerufen allerlei Bilder aus den Kessiner Tagen wieder vor ihre Seele: das landrätlic­he Haus mit seinem Giebel und die Veranda mit dem Blick auf die Plantage, und sie saß im Schaukelst­uhl und wiegte sich; und nun trat Crampas an sie heran, um sie zu begrüßen, und dann kam Roswitha mit dem Kinde, und sie nahm es und hob es hoch in die Höhe und küßte es.

„Das war der erste Tag; da fing es an.“Und während sie dem nachhing, verließ sie das Zimmer, drin die beiden schliefen, und setzte sich wieder an das offene Fenster und sah in die stille Nacht hinaus.

„Ich kann es nicht loswerden“, sagte sie. „Und was das schlimmste ist und mich ganz irre macht an mir selbst ...“

In diesem Augenblick setzte die Turmuhr drüben ein, und Effi zählte die Schläge.

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