Heimatsound, sarkastisch bis makaber
„Dreiviertelblut“pflegen einen unaufdringlichen, aber anspruchsvollen Stilmix
Gerd Baumann komponierte die Filmmusik zu „Wer früher stirbt, ist länger tot“, gemeinsam mit Sänger Sebastian Horn liefert er die Musik zum Singspiel am Nockherberg, und als Band traten sie mit fünf weiteren Musikern beim Heimatsoundfestival auf. Das sind drei Fixpunkte in der bayerischen Musikkultur, die verraten, auf welchem Niveau wir uns hier bewegen. „Dreiviertelblut“, das ist eine siebenköpfige Band um Gerd Baumann und Sebastian Horn, die verdeutlicht, was man unter dem Modebegriff „Heimatsound“verstehen kann: Eine Verschmelzung von Volksmusik aus verschiedenen Kulturräumen und von allem aus Jazz, Rock und Pop, was gefällt. Der Klang der bayerischen Volksmusik zieht sich dabei wie ein Bordunton durch diesen Musikstil, unaufdringlich, aber charakterprägend.
Seltsam, wie viel es ausmacht, dass die Musiker (bis auf Kontrabassist Benny Schäfer) das gesamte Konzert über sitzen: Es entsteht weniger „Frontalpräsentation“in eine Richtung als vielmehr eine Atmosphäre der Gemeinsamkeit, fast so, als säße man gemeinsam im Wirtshaus, in entspannter Runde. Die Lieder – die „Finsterlieder“, so der Titel des Konzerts – sind von wirklich finsterem, morbidem Humor bis Sarkasmus, was durch die Ansagen von Gerd Baumann und Sebastian Horn ergänzt wird, die schon kabarettistisches Niveau erreichen.
„Da Himme is blau, und mir draht’s de Gurgel zua“, so geht es schon los mit „Himmelblau“, und so wird es auch weitergehen. Dreiviertelblut pflegen einen zurückhaltenden, oft leisen und minimalistischen, akustischen Sound, wunderbar aufgepeppt durch die E- und Steel-Guitar von Luke Cyrus Goetze. Goetze schafft mit seiner verträumten, halligen Lapsteel eine Stimmung von Western-Geisterstadt und endloser, einsamer Prärie. Mit Blasinstrumenten wie Flügelhorn, Trompete (Dominik Glöbl), Klarinette (Florian Riedl) sowie Kontrabass sorgt die Band für den bayerischen Anklang, während die Bassklarinette (Florian Riedl) und die E-Gitarren Jazz-Elemente einbringen. Nun bewegen sich die Musiker munter durch Gypsy-Walzer („Schaf“), Country-Zwiefachen („As erschte Moi“), Polka, Rumba und Boarischen, Klezmer und Balkan-Ska.
Die anspruchsvollen Texte der Finsterlieder versteht man zum Glück gut, oft sind es Stimmungsbilder und Reflexionen über das Leben und den Tod, es geht um ganz Kleines, wie Stechmücken („Blutsauger“), oder ums ganz Große („Ois is koid“), wie unseren Planeten, der als „kloana blauer Stoa“durchs Universum taumelt und uns das Rätsel unserer Existenz aufgibt. Wunderbar verstärkt wird dieses Bild durch das hallige, melancholische Trompetensolo von Dominik Glöbl. Ganz hinunter in den makabren Stimmungskeller zieht die Band ihre Zuhörer mit Ludwig Hirschs altem Kracher „I lieg am Ruckn“das Thema Tod zieht sich durch die Finsterlieder. Hier kann sich gleich der nächste Tote einreihen, der „Schläfer im Tal“, ein erschossener Soldat, ein Mahner gegen den Krieg. Das Lied ist die Adaption eines Gedichts aus dem Jahr 1870 von Artur Rimbaud, Star der französischen Surrealisten und Expressionisten. Schön schaurig dagegen ist die Moritat von der Zigeunerin vom kalten Wasser, „Falak“, die von ihren vergeblichen Brautwerbern umgebracht wurde.
Doch auch zur aktuellen Weltsituation haben „Dreiviertelblut“etwas zu sagen beziehungsweise zu singen: „Ned nur mia“sagt alles über Ausgrenzung und Fremdenhass, über eklige Volkstümelei und Scheuklappendenken: „Mia san ned nur mia, mir san die Wolken und der Sand und mir san alle mitanand unterwegs.“Eine längst fällige und befreiende Korrektur des plumpen Fernseh-Slogans. Die dumpf empfundene Bedrohung der Demokratie in unserer Zeit findet bei „Dreiviertelblut“ihren Widerhall in einem aufziehenden Gewitter im Lied „Der Sturm“, und es endet in der betroffen machenden Frage „wo versteck’ma uns, … wann’s so kimmt?“
Doch auch Fröhlichkeit und Tanzen haben unbedingt ihren Platz in der Musik von „Dreiviertelblut“: „Im Mai“fährt mit Balkan-SkaRhythmus in die Füße, „Gemma hoam“animiert zum ausgelassen Weiterfeiern und „Deifedanz“sowieso. Der donnernde Jubel im ausverkauften Stadttheater brachten die sieben Musiker dazu, noch drei Zugaben zu spielen und erst nach 23 Uhr das Konzert zu beenden.