Geschehenes lässt sich nicht umkehren
Sabine V. wurden die Tochter und der Enkel genommen. Warum ihre Trauerarbeit erst jetzt beginnen kann
Augsburg/Dießen Sabine V. war fast an jedem Verhandlungstag im Gericht. In dem Prozess gegen den Mann, der ihre Tochter und ihren Enkel ermordet hat. Am gestrigen Donnerstag ist der 52-jährige Franzose, der im August seine ehemalige Lebenspartnerin und den gemeinsamen Sohn erwürgt hat, zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden.
„Es war für mich ganz wichtig, daran teilzuhaben“, berichtet die 70-Jährige, die wie ihre zweite Tochter Pia B. als Nebenklägerin aufgetreten ist, dem Landsberger
Tagblatt. Ein gerechtes Urteil hat sie sich gewünscht, und auch wenn jetzt vom Gericht die Schwere der Schuld nicht festgestellt worden ist, ist sie mit diesem Urteil einverstanden. „Was geschehen ist, lässt sich nicht mehr umkehren.“Und der Verurteilte sei auch mit seiner eigenen Schuld bestraft, die er nun ein Leben lang tragen müsse. Sie geht da- von aus, dass für ihn auch die Haft nicht einfach sein wird im Umgang mit den anderen Mitgefangenen als ein Mann, der seinen eigenen Sohn erwürgt hat. In gewisser Weise sei es für sie eine Erleichterung gewesen, dass er Reue gezeigt habe. Der Angeklagte hatte wie berichtet zum Prozessende weinend um Vergebung gebeten.
Die Dießenerin hatte ein sehr enges Verhältnis zu ihrer Tochter und dem Buben, da die beide auch einige Zeit bei ihr lebten, als ihre Tochter versuchte, nach verschiedenen Frankreichaufenthalten hier in Deutschland als Journalistin Fuß zu fassen. „Ich habe meinen Enkel zur Krippe und zur Schule gebracht und Nachmittage mit ihm verbracht.“Der Bub sei ein besonders liebenswertes Kind gewesen – eine Aussage, die so nicht nur von seiner Großmutter kommt, sondern von allen, die ihn kannten. Und ein schönes Kind sei er gewesen, welches immer wieder Komplimente wegen seiner schönen Augen bekommen habe. Da habe er dann manchmal gesagt, „ach das weiß ich schon“, erinnert sich seine Großmutter daran, wie er mit diesen Reden umging.
Seine Lehrerin habe ihr einen sehr schönen Kondolenzbrief geschrieben. Viele Menschen seien ganz herzlich auf sie zugekommen, nachdem sie von der schrecklichen Tat erfahren hatten, erzählt Sabine V. Es gebe aber auch Personen, die offensichtlich nicht mit dem Tod umgehen könnten und kaum wagten, etwas zu sagen. „Sie trauen sich nicht, es anzusprechen.“
Dass es für Sabine V. wichtig ist zu sprechen, ist zu spüren, vor allem über die zu sprechen, die ihr genommen wurden. Sie versucht, ein Bild ihrer Tochter und ihres Lebens aufzuzeigen. Sie habe sie nicht als zurückhaltend empfunden. „Meine Tochter hatte ein freundliches, offenes Wesen.“Nur mit persönlichen Dingen sei sie vorsichtig gewesen. Über die Probleme in ihrer Beziehung wollte die junge Frau nicht sprechen, davon hatten ihre Mutter und auch ihre Schwester schon im Verlauf des Prozesses berichtet. Von außen her habe man nichts thematisieren dürfen.
Nur einmal hatte die junge Frau von Drohungen berichtet, dann aber wieder abgewiegelt, wie die Mutter erzählt. Sicherlich sei ihre Tochter harmoniebedürftig gewesen und habe auch ein Nest gesucht, versucht Sabine V. einen Aspekt der unglücklichen Beziehungsdynamik zu erklären.
Dass der Prozess jetzt vorbei ist, das Urteil gesprochen, erfüllt sie mit Erleichterung. Jetzt werde die richtige Trauerarbeit beginnen können. In der ersten Zeit nach dem schrecklichen Tod ihrer Tochter und ihres Enkels sei sie in einer Art Schockstarre gewesen, dann sei die Wut gekommen: „Warum musste das passieren“. Jetzt nach dem Prozess werde die Leere, der Verlust der beiden, richtig spürbar werden. Hilfe sucht Sabine V. in einer Trauergruppe.