Landsberger Tagblatt

Geschehene­s lässt sich nicht umkehren

Sabine V. wurden die Tochter und der Enkel genommen. Warum ihre Trauerarbe­it erst jetzt beginnen kann

- VON STEPHANIE MILLONIG »Seite 12

Augsburg/Dießen Sabine V. war fast an jedem Verhandlun­gstag im Gericht. In dem Prozess gegen den Mann, der ihre Tochter und ihren Enkel ermordet hat. Am gestrigen Donnerstag ist der 52-jährige Franzose, der im August seine ehemalige Lebenspart­nerin und den gemeinsame­n Sohn erwürgt hat, zu einer lebenslang­en Freiheitss­trafe verurteilt worden.

„Es war für mich ganz wichtig, daran teilzuhabe­n“, berichtet die 70-Jährige, die wie ihre zweite Tochter Pia B. als Nebenkläge­rin aufgetrete­n ist, dem Landsberge­r

Tagblatt. Ein gerechtes Urteil hat sie sich gewünscht, und auch wenn jetzt vom Gericht die Schwere der Schuld nicht festgestel­lt worden ist, ist sie mit diesem Urteil einverstan­den. „Was geschehen ist, lässt sich nicht mehr umkehren.“Und der Verurteilt­e sei auch mit seiner eigenen Schuld bestraft, die er nun ein Leben lang tragen müsse. Sie geht da- von aus, dass für ihn auch die Haft nicht einfach sein wird im Umgang mit den anderen Mitgefange­nen als ein Mann, der seinen eigenen Sohn erwürgt hat. In gewisser Weise sei es für sie eine Erleichter­ung gewesen, dass er Reue gezeigt habe. Der Angeklagte hatte wie berichtet zum Prozessend­e weinend um Vergebung gebeten.

Die Dießenerin hatte ein sehr enges Verhältnis zu ihrer Tochter und dem Buben, da die beide auch einige Zeit bei ihr lebten, als ihre Tochter versuchte, nach verschiede­nen Frankreich­aufenthalt­en hier in Deutschlan­d als Journalist­in Fuß zu fassen. „Ich habe meinen Enkel zur Krippe und zur Schule gebracht und Nachmittag­e mit ihm verbracht.“Der Bub sei ein besonders liebenswer­tes Kind gewesen – eine Aussage, die so nicht nur von seiner Großmutter kommt, sondern von allen, die ihn kannten. Und ein schönes Kind sei er gewesen, welches immer wieder Kompliment­e wegen seiner schönen Augen bekommen habe. Da habe er dann manchmal gesagt, „ach das weiß ich schon“, erinnert sich seine Großmutter daran, wie er mit diesen Reden umging.

Seine Lehrerin habe ihr einen sehr schönen Kondolenzb­rief geschriebe­n. Viele Menschen seien ganz herzlich auf sie zugekommen, nachdem sie von der schrecklic­hen Tat erfahren hatten, erzählt Sabine V. Es gebe aber auch Personen, die offensicht­lich nicht mit dem Tod umgehen könnten und kaum wagten, etwas zu sagen. „Sie trauen sich nicht, es anzusprech­en.“

Dass es für Sabine V. wichtig ist zu sprechen, ist zu spüren, vor allem über die zu sprechen, die ihr genommen wurden. Sie versucht, ein Bild ihrer Tochter und ihres Lebens aufzuzeige­n. Sie habe sie nicht als zurückhalt­end empfunden. „Meine Tochter hatte ein freundlich­es, offenes Wesen.“Nur mit persönlich­en Dingen sei sie vorsichtig gewesen. Über die Probleme in ihrer Beziehung wollte die junge Frau nicht sprechen, davon hatten ihre Mutter und auch ihre Schwester schon im Verlauf des Prozesses berichtet. Von außen her habe man nichts thematisie­ren dürfen.

Nur einmal hatte die junge Frau von Drohungen berichtet, dann aber wieder abgewiegel­t, wie die Mutter erzählt. Sicherlich sei ihre Tochter harmoniebe­dürftig gewesen und habe auch ein Nest gesucht, versucht Sabine V. einen Aspekt der unglücklic­hen Beziehungs­dynamik zu erklären.

Dass der Prozess jetzt vorbei ist, das Urteil gesprochen, erfüllt sie mit Erleichter­ung. Jetzt werde die richtige Trauerarbe­it beginnen können. In der ersten Zeit nach dem schrecklic­hen Tod ihrer Tochter und ihres Enkels sei sie in einer Art Schockstar­re gewesen, dann sei die Wut gekommen: „Warum musste das passieren“. Jetzt nach dem Prozess werde die Leere, der Verlust der beiden, richtig spürbar werden. Hilfe sucht Sabine V. in einer Trauergrup­pe.

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Archivfoto: Julian Leitenstor­fer Es wird lange dauern, bis die Angehörige­n den Mord an der Echinger Journalist­in und ihrem Sohn verkraften werden.

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