Ein Platz für alle Generationen
Mithilfe einer Genossenschaft wollen Stefanie Merlin und Alfred Sunder-Plassmann auf dem Kracher-Hof in Eresing nicht nur ein alternatives Wohnprojekt verwirklichen, sondern auch einen Mehrwert fürs Dorf schaffen
Wer im Landkreis noch ein vertrautes und historisch gewachsenes Ortsbild sucht, wird unter anderem rund um die Pfarrkirche in Eresing fündig: Ein historisches Wirtshaus, ein schmucker Pfarrhof, große und kleine Anwesen mit Sprossenfenstern, Fensterläden und schmucken Bauerngärten, sogar einen bewirtschafteten Bauernhof gibt es noch mitten im Dorf. Zu diesem Ensemble gehört auch der KracherHof, einst einer der größeren Höfe im Dorf, der jedoch seit dem Tod der letzten Bäuerin vor knapp zwei Jahren endgültig leersteht. Die Erben leben auswärts und es wird über den Verkauf der Immobilie verhandelt. Was danach kommen könnte, kann man in vielen Dörfern auch im Landkreis sehen: Die alten großen Wirtschafts- und Wohngebäude werden abgebrochen, das Grundstück in kleine Parzellen abgezirkelt, auf denen dann Doppel- und Reihenhäuser mit Garagenwürfeln, Thujahecken und Gabionenwänden hochgezogen werden, die dann an Neubürger aus der Stadt verkauft werden, die glauben, die ländliche Idylle gefunden zu haben.
Stefanie Merlin und Alfred Sunder-Plassmann wollen eine solche Entwicklung verhindern. Merlin aus nachbarlicher Sicht, Sunder- Plassmann aus der Perspektive des Architekten und Ortsplaners. Sie machen sich auf, die sonst üblichen Gesetze des Marktes auszuhebeln. Und es sieht gar nicht so schlecht aus, dass sie damit Erfolg haben, auch weil ihr Engagement offensichtlich auch im Interesse von Gemeinde und Verkäufern liegt.
Dass es im Landkreis noch etliche relativ intakte Dorfbilder gibt, liegt auch daran, dass der Neubauboom der 1970er-Jahre wenig Spuren hinterließ und lange Zeit noch für relativ wenig Geld alte Häuser und Höfe gekauft und restauriert werden konnten. Doch diese Zeiten sind nicht nur in Eresing vorbei: Ein Kleinhäusler-Grundstück ist vielleicht in den zur Hochpreisregion verwandelten Ortschaften in Ammerseeund S-Bahn-Nähe noch zu bezahlen, ein Objekt wie der Kracher-Hof dürfte aber für die meisten Privatleute eine Nummer zu groß sein. Mehr als 2000 Quadratmeter Grundstücksfläche schlagen in Eresing nach den letzten Bodenrichtwerten mit 700 000 bis 800 000 Euro zu Buche. Dann stellt sich die Frage, was mit den großen Wirtschaftsge- bäuden anzufangen ist und wie viel Sanierung und Ausbau kosten. Am Ende, das ist die Erfahrung von Alfred Sunder-Plassmann, bleiben als Käufer nur die Bauträger übrig, die abreißen und neu bauen.
Er erkennt zwar an, dass es besser ist, im Dorf Wohnraum für Familien zu schaffen, anstatt nur im Neubaugebiet davor. Das Problem sei jedoch, dass dies baulich meist daneben gehe: „Man kann nicht in eine Dorfmitte eine Siedlung hineinsetzen.“Typisch für die alten Ortsbilder sei der Wechsel von oftmals sehr großen Gebäuden mit erlebbaren Freiflächen. Der Eresinger Ortskern ist teilweise eng und mit großen Gebäuden bebaut, dazwischen dehnen sich aber auch Gärten aus – idealtypisch ist der Kracher-Hof, wie Sunder-Plassmann betont: Fünf Fensterachsen auf der Giebelseite weisen auf die Größe des Hofs hin, denn, so sagt der Architekt: „Die Größe eines Hofs erkannte man früher an der Größe der Bratpfanne und der Zahl der Fensterachsen.“Davor wachsen Obstbäume, die alten Beete könnten sofort wieder bepflanzt werden, an der Südseite des ehemaligen Stalls rankt sich ein alter Weinstock empor, und der Dachstuhl des Wohn- und Wirtschaftsgebäudes sei ein „Ingenieurbauwerk“: Als 1908 die alte Strohbedeckung mit Ziegeln ersetzt wurde, habe der Urgroßvater der heutigen Besitzer, der auch ein Zimmerer war, einen frei tragenden Dachstuhl errichtet.
Diese alte Haus- und Gartensubstanz möchten Alfred Sunder-Plassmann und Stefanie Merlin erhalten und neu nutzen. Deshalb wird die Gründung einer Genossenschaft vorbereitet. Denn nur eine solche Gemeinschaft, davon ist Merlin überzeugt, kann die Marktgesetze überwinden. Interessenten, sowohl solche, die sich über eine Genossenschaft ein lebenslanges Wohnrecht sichern möchten, als auch solche, die nur Anteile zeichnen wollen, gebe es zur Genüge. Gemeinsam wäre eine solche Investition zu schultern und würde auch einen Mehrwert für das Leben im Dorf schaffen. Dieser Mehrwert besteht für Merlin, die hier mit ihrem Mann und den inzwischen drei Kindern seit bald zehn Jahren im eigenen Haus vis-à-vis des Kracher-Hofs lebt, vor allem im Miteinander von Alt und Jung. Die verschiedenen Generationen könnten sich eher nachbarschaftlich aushelfen als im Neubaugebiet vor dem Dorf, wo sich alle in derselben Lebens- und Familiensituation befinden, sagt sie. Und nur in diesem Neben- beziehungsweise Miteinander würden auch alte Traditionen fortgesetzt, sagt sie, und nennt ein paar Beispiele: „Am Karfreitag kommt hier der Ostergockel, da bringen die Nachbarn den Kindern Osternester, und genauso ist es auch mit der Klöpflesnacht, und auch zum Ulrichsfest haben die Nachbarn schon die Kinder mitgenommen.“
Eine Genossenschaft, so das Kalkül Merlins, könnte auch auf dem Kracher-Hof ein solches Miteinander formen. Sunder-Plassmanns erstes Konzept ist entsprechend ausgestaltet: Der bisherige Wohnteil und ein Nebengebäude könnten Familienwohnungen werden, über dem Stall wäre Raum für drei bis vier kleinere Wohnungen: Dank einer vorhandenen Tennenauffahrt auf der Nordseite könnten diese auch für ältere Menschen barrierefrei erreichbar sein. Und in dem hohen Dachgeschoss könnte für jede Einheit noch eine Wohngelegenheit für eine später eventuell benötigte Pflegekraft geschaffen werden.
Vorstellen könnte sich der Architekt auch, im hinteren Grundstücksteil ein weiteres Wohnhaus zu errichten. Doch da winkt Bürgermeister Josef Loy, der ansonsten von den Nutzungsüberlegungen angetan ist, eher ab. Es sei zwar gewollt, das Grundstück wieder zu beleben, aber an der im Flächennutzungsplan dargestellten Grünfläche solle festgehalten werden, meint er: „Das haben wir den Eigentümern auch schon klargemacht.“