Was steckt hinter dem Brief mit sechs Siegeln?
Kaufbeurer Archivare rätseln über Inhalt und Herkunft eines 360 Jahre alten Schriftstücks und bitten um Hilfe
Der Brief ist bis heute verschlossen. Sechs Siegel sorgen dafür, dass niemand das Kuvert unerlaubt öffnet. Das Schreiben sollte nach Nürnberg gehen. Verfasst wurde es um 1650. Abgeschickt jedoch wurde es nie – und bis heute weiß niemand, was darin steht und an wen es sich wendet. „Ein Liebesbrief wird es wohl nicht sein“, sagt Helga Ilgenfritz schmunzelnd. Die Siegel deuteten eher auf ein offizielles Schreiben hin, meint die Sprecherin des evangelischen Kirchenarchivs in Kaufbeuren. Der Brief ist einer der Schätze des Archivs.
Das Kaufbeurer Kirchenarchiv ist eines der wenigen in Bayern, das noch in der Hand einer evangelischen Kirchengemeinde ist. Gegründet wurde es während der Reformationszeit. Entsprechend alt sind die Bücher, Dokumente und musikalischen Notenblätter, die hinter zwei fest verschlossenen Türen lagern. Als das Stadtarchiv Ende des 19. Jahrhunderts größtenteils aufgelöst wurde, übernahm das evangelische Kirchenarchiv die Rolle als Gedächtnis der Stadt. „Viele historische Dokumente aus der Stadtgeschichte finden sich nur hier bei uns“, erläutert Ilgenfritz. So besitzt das Archiv etwa die älteste Stadtansicht Kaufbeurens aus dem Jahr 1580. Wegen dieser Bedeutung für die Stadtgeschichte war das Kirchenwenigen archiv eines der Gemeindearchive in Bayern, das Ende der 1950er Jahre bestehen blieb.
Natürlich finden sich in dem Archiv auch unterschiedlichste Bibeln. Die älteste von ihnen lagert in einem Tresor: Sie wurde 1581 gedruckt und stammt von dem in Nördlingen geborenen Pfarrer David Schramm. „Das ist mein Lieblingsstück“, sagt Helga Ilgenfritz. Aber auch weltliche Schätze finden sich hier: etwa das Original eines der ersten Bücher des Physikers Johannes Kepler. Und es gibt Skurriles wie eine Schreibmaschine mit kyrillischen Schriftzeichen. Sie stammt vom RussischÜbersetzer des ehemaligen Bundeskanzlers Willy Brandt. Er verbrachte seinen Lebensabend in Kaufbeuren und vermachte die Schreibmaschine dem örtlichen Pfarrer.
Manche Dokumente freilich geben den fünf ehrenamtlichen Mitarbeitern Rätsel auf. So wie der Brief mit den sechs Siegeln: „Wir würden ihn gerne von einem Restaurator öffnen lassen, ihn dokumentieren und wieder verschließen“, sagt Helga Ilgenfritz. Das jedoch sei nicht billig: „Es wäre daher schön, wenn sich ein Spender findet, der uns hilft, dieses jahrhundertealte Rätsel zu lösen.“Andreas Jalsovec, epd