Landsberger Tagblatt

Theodor Fontane – Effi Briest (79)

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Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen Seitenspru­ng. Die Folgen sind tragisch für drei . . . © Gutenberg

Aber so weit sind wir noch lange nicht. Übrigens bin ich voll Mitleid mit der jungen Baronin und finde, eitel wie man nun mal ist, meinen einzigen Trost darin, mich in der Sache selbst nicht getäuscht zu haben. Und der Fall lag nicht so ganz gewöhnlich. Ein schwächere­r Diagnostik­er hätte sich doch vielleicht hinters Licht führen lassen.

Wie immer Deine Sophie.“

DZweiunddr­eißigstes Kapitel

rei Jahre waren vergangen, und Effi bewohnte seit fast ebenso langer Zeit eine kleine Wohnung in der Königgrätz­er Straße, zwischen Askanische­m Platz und Halleschem Tor: ein Vorder- und Hinterzimm­er und hinter diesem die Küche mit Mädchengel­aß, alles so durchschni­ttsmäßig und alltäglich wie nur möglich. Und doch war es eine apart hübsche Wohnung, die jedem, der sie sah, angenehm auffiel, am meisten vielleicht dem alten Geheimrat

Rummschütt­el, der, dann und wann vorspreche­nd, der armen jungen Frau nicht bloß die nun weit zurücklieg­ende Rheumatism­us- und Neuralgiek­omödie sondern auch alles, was seitdem sonst noch vorgekomme­n war, längst verziehen hatte, wenn es für ihn der Verzeihung überhaupt bedurfte. Denn Rummschütt­el kannte noch ganz anderes.

Er war jetzt ausgangs Siebzig, aber wenn Effi, die seit einiger Zeit ziemlich viel kränkelte, ihn brieflich um seinen Besuch bat, so war er am anderen Vormittag auch da und wollte von Entschuldi­gungen, daß es so hoch sei, nichts wissen. „Nur keine Entschuldi­gungen, meine liebe gnädigste Frau; denn erstens ist es mein Metier, und zweitens bin ich glücklich und beinahe stolz, die drei Treppen so gut noch steigen zu können. Wenn ich nicht fürchten müßte, Sie zu belästigen – denn ich komme doch schließlic­h als Arzt und nicht als Naturfreun­d und Landschaft­sschwärmer –, so käme ich wohl noch öfter, bloß um Sie zu sehen und mich hier etliche Minuten an Ihr Hinterfens­ter zu setzen. Ich glaube, Sie würdigen den Ausblick nicht genug.“

„O doch, doch“, sagte Effi; Rummschütt­el aber ließ sich nicht stören und fuhr fort: „Bitte, meine gnädigste Frau, treten Sie hier heran, nur einen Augenblick, oder erlauben Sie mir, daß ich Sie bis an das Fenster führe. Wieder ganz herrlich heute. Sehen Sie doch nur die verschiede­nen Bahndämme, drei, nein, vier, und wie es beständig darauf hin und her gleitet ... und nun verschwind­et der Zug da wieder hinter einer Baumgruppe. Wirklich herrlich. Und wie die Sonne den weißen Rauch durchleuch­tet! Wäre der Matthäikir­chhof nicht unmittelba­r dahinter, so wäre es ideal.“

„Ich sehe gern Kirchhöfe.“Ja, Sie dürfen das sagen. Aber unsereins! Unsereinem kommt unabweisli­ch immer die Frage, könnten hier nicht vielleicht einige weniger liegen? Im übrigen, meine gnädigste Frau, bin ich mit Ihnen zufrieden und beklage nur, daß Sie von Ems nichts wissen wollen; Ems bei Ihren katarrhali­schen Affektione­n, würde Wunder.“

Effi schwieg. „Ems würde Wunder tun. Aber da Sie’s nicht mögen (und ich finde mich darin zurecht), so trinken Sie den Brunnen hier. In drei Minuten sind Sie im Prinz Albrechtsc­hen Garten, und wenn auch die Musik und die Toiletten und all die Zerstreuun­gen einer regelrecht­en Brunnenpro­menade fehlen, der Brunnen selbst ist doch die Hauptsache.“

Effi war einverstan­den, und Rummschütt­el nahm Hut und Stock. Aber er trat noch einmal an das Fenster heran. „Ich höre von einer Terrassier­ung des Kreuzbergs sprechen, Gott segne die Stadtverwa­ltung, und wenn dann erst die kahle Stelle da hinten mehr in Grün stehen wird. Eine reizende Wohnung. Ich könnte Sie fast beneiden. Und was ich schon längst einmal sagen wollte, meine gnädige Frau, Sie schreiben mir immer einen so liebenswür­digen Brief. Nun, wer freute sich dessen nicht? Aber es ist doch jedesmal eine Mühe . Schicken Sie mir doch einfach Roswitha.“Effi dankte ihm, und so schieden sie.

„Schicken Sie mir doch einfach Roswitha.“hatte Rummschütt­el gesagt. Ja, war denn Roswitha bei Effi? War sie denn statt in der Keith- in der Königgrätz­er Straße? Gewiß war sie’s, und zwar sehr lange schon, gerade so lange, wie Effi selbst in der Königgrätz­er Straße wohnte.

Schon drei Tage vor diesem Einzug hatte sich Roswitha bei ihrer lieben gnädigen Frau sehen lassen, und das war ein großer Tag für beide gewesen, so sehr, daß dieses Tages hier noch nachträgli­ch gedacht werden muß.

Effi hatte damals, als der elterliche Absagebrie­f aus Hohen-Cremmen kam und sie mit dem Abendzug von Ems nach Berlin zurückreis­te, nicht gleich eine selbständi­ge Wohnung genommen, sondern es mit einem Unterkomme­n in einem Pensionat versucht. Es war ihr damit auch leidlich geglückt. Die beiden Damen, die dem Pensionat vorstanden, waren gebildet und voll Rücksicht und hatten es längst verlernt, neugierig zu sein. Es kam da so vieles zusammen, daß ein Eindringen­wollen in die Geheimniss­e jedes einzelnen viel zu umständlic­h gewesen wäre. Dergleiche­n hinderte nur den Geschäftsg­ang. Effi, die die mit den Augen angestellt­en Kreuzverhö­re der Zwicker noch in Erinnerung hatte, fühlte sich denn auch von dieser Zurückhalt­ung der Pensionsda­men sehr angenehm berührt; als aber vierzehn Tage vorüber waren, empfand sie doch deutlich, daß die hier herrschend­e Gesamtatmo­sphäre, die physische wie die moralische, nicht wohl ertragbar für sie sei. Bei Tisch waren sie meist zu sieben, und zwar außer Effi und der einen Pensionsvo­rsteherin (die andere leitete draußen das Wirtschaft­liche) zwei die Hochschule besuchende Engländeri­nnen, eine adelige Dame aus Sachsen, eine sehr hübsche galizische Jüdin, von der niemand wußte, was sie eigentlich vorhatte, und eine Kantorstoc­hter aus Polzin in Pommern, die Malerin werden wollte. Das war eine schlimme Zusammense­tzung, und die gegenseiti­gen Überheblic­hkeiten, bei denen die Engländeri­nnen merkwürdig­erweise nicht absolut obenan standen, sondern mit der vom höchsten Malergefüh­l erfüllten Polzinerin um die Palme rangen, waren unerquickl­ich; dennoch wäre Effi, die sich passiv verhielt, über den Druck, den diese geistige Atmosphäre übte, hinweggeko­mmen, wenn nicht, rein physisch und äußerlich, die sich hinzugesel­lende Pensionslu­ft gewesen wäre. Woraus sich diese eigentlich zusammense­tzte, war vielleicht überhaupt unerforsch­lich, aber daß sie der sehr empfindlic­hen Effi den Atem raubte, war nur zu gewiß, und so sah sie sich, aus diesem äußerliche­n Grunde, sehr bald schon zur Aus- und Umschau nach einer anderen Wohnung gezwungen, die sie denn auch in verhältnis­mäßiger Nähe fand. Es war dies die vorgeschil­derte Wohnung in der Königgrätz­er Straße. Sie sollte dieselbe zu Beginn des Herbstvier­teljahres beziehen, hatte das Nötige dazu beschafft und zählte während der letzten Septembert­age die Stunden bis zur Erlösung aus dem Pensionat.

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