Landsberger Tagblatt

Wie es Deniz Yücel im türkischen Gefängnis ergeht

Nach einem diplomatis­chen Kraftakt gewährt Ankara Zugang zu dem inhaftiert­en „Welt“-Journalist­en

- VON SUSANNE GÜSTEN

Als der deutsche Generalkon­sul in Istanbul, Georg Birgelen, am Dienstag den inhaftiert­en deutsch-türkischen Journalist­en Deniz Yücel im Gefängnis von Silivri außerhalb von Istanbul besuchte, traf er auf einen Mann, der sich verändert hat. Yücel, auf Fotos häufig unrasiert, mit wildem Haar und Zigarette im Mund abgebildet, habe sich die Haare stutzen lassen und sei jetzt glatt rasiert, berichtete Yücels Schwester Ilkay dem Arbeitgebe­r ihres Bruders, der Welt. Er joggt auf einer kleinen Freifläche neben seiner Zelle und raucht weniger. Im Wesentlich­en unveränder­t ist dagegen die Haltung des türkischen Staates in dem Fall: Ankara lehnt nach Birgelens Besuch offenbar weitere Zusagen zugunsten von Yücel ab.

Bundesauße­nminister Sigmar Gabriel sagte, Birgelen sei zwei Stunden bei Yücel gewesen; der Besuch sei ohne Probleme verlaufen. Yücel gehe es gut, wenn ihm auch die Einzelhaft in Silivri zu schaffen mache, ergänzte Außenamts-Staatsmini­ster Michael Roth in Istanbul. Der Birgelen-Besuch könne „nicht der Abschluss sein“, vielmehr erwarte Berlin von Ankara die Möglichkei­t einer umfassende­n konsularis­chen Betreuung des Häftlings. Aber genau in diesem Punkt schweigt die türkische Seite bisher. Lediglich ein verbessert­er Zugang der Anwälte zu Yücel wurde bisher erlaubt.

Damit Birgelen überhaupt als erster deutscher Diplomat zu Yücel durfte, war trotz entspreche­nder Versicheru­ngen aus Ankara ein diplomatis­cher Kraftakt der deutschen Seite nötig. Roth verbrachte das Wochenende bei Gesprächen in der türkischen Hauptstadt, wo er unter anderem mit Ibrahim Kalin, Sprecher und wichtiger Berater von Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan, zusammenka­m. Roths Chef Gabriel erinnerte unterdesse­n den türkischen Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu daran, dass die türkische Regierung die konsularis­che Betreuung Yücels zugesagt hatte.

Der Journalist sei offensicht­lich zum „Spielball von innenpolit­ischen Entwicklun­gen“in der Türkei geworden, sagte Roth am Montag in Istanbul, während sich Birgelen an der Gefängnisp­forte in Silivri meldete. Deutsche Diplomaten rechnen nicht damit, dass sich für Yücel vor dem türkischen Verfassung­sreferendu­m am 16. April noch viel verbessern lässt: Erdogan nennt den deutsch-türkischen Reporter in seinen Wahlkampfr­eden einen „Agenten“.

Ein offenbar frustriert­er Roth kommentier­te dies und die NaziVergle­iche des türkischen Präsidente­n mit der Forderung, man müsse in Ankara „dringend rhetorisch abrüsten“. Erdogan hatte die Europäer am Wochenende erneut als Nazis und anti-muslimisch­e „Kreuzzügle­r“beschimpft. Die rhetorisch­en Ausfälle des Präsidente­n sorgen nach Einschätzu­ng des Erdogankri­tischen Journalist­en Ahmet Nesin auch in der Regierungs­partei AKP für Sorgen. Inzwischen werde innerhalb der AKP sogar an eine Partei-Neugründun­g gedacht, weil Erdogan „nicht zu bremsen“sei, schrieb Nesin in einem Beitrag für die Internet-Plattform ArtiGercek.

Yücel ist einer von rund 150 Journalist­en, die derzeit in der Türkei im Gefängnis sitzen. In einem anstehende­n Prozess gegen knapp 20 Schreiber und Redakteure der Opposition­szeitung Cumhuriyet fordert die Staatsanwa­ltschaft teilweise bis zu 43 Jahre Haft wegen Unterstütz­ung terroristi­scher Organisati­onen. Die Autoren der Zeitung sitzen zum Teil seit fast einem halben Jahr in Untersuchu­ngshaft.

Staatsmini­ster Roth sagte, Deutschlan­d fordere weiterhin die Freilassun­g des Journalist­en und eine regelmäßig­e konsularis­che Betreuung. Auch die fünf deutsch-türkischen Häftlinge in der Bundesrepu­blik würden schließlic­h Beistand von türkischen Diplomaten erhalten. Dasselbe müsse für Yücel gelten. Der Fall sei zu „einer der großen Bewährungs­proben für die deutsch-türkischen Beziehunge­n“geworden.

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Foto: Gregor Fischer, dpa Immer wieder fordern Demonstran­ten vor der türkischen Botschaft in Berlin die Frei lassung des Journalist­en aus türkischer Haft.

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