Landsberger Tagblatt

Wie Assads Armee Giftgas gegen Kinder einsetzt

Bei einem verheerend­en Angriff sterben rund 60 Menschen. Nach eigenen Angaben hat das Militär seine chemischen Waffen längst vernichtet. Doch spätestens seit gestern glaubt kaum noch jemand, dass das stimmt

- Damaskus Dezember 2016: August 2013: Foto: Mohamed al Bakour, afp

Die Bilder aus Syrien sind kaum zu ertragen. Sie zeigen Opfer eines Luftangrif­fs auf ein Rebellenge­biet, bei dem Giftgas eingesetzt worden sein soll. In einem Film liegen die Leichen von mehreren Kindern nebeneinan­der, fahle Gesichter mit halb geöffneten Mündern und starren Augen. Äußerliche Verletzung­en sind an ihnen nicht zu erkennen, jedenfalls nicht in dieser Sequenz. Auf einer anderen Aufnahme behandelt ein Helfer ein kleines Kind, vielleicht zwei Jahre alt, mit Sauerstoff, um sein Leben zu retten. Das Kind zittert am ganzen Körper.

Über Stunden kursierten gestern immer neue Opferzahle­n aus der Stadt Chan Scheichun im Nordwesten Syriens durch die sozialen Medien. Die als zuverlässi­g bekannte Syrische Beobachtun­gsstelle für Menschenre­chte zählte 58 Tote und dutzende Verletzte, viele in ernstem Zustand. Andere Quellen meldeten sogar 100 Tote und 400 Verletzte. Unabhängig überprüfen lassen sich die Angaben nicht. „Niemand weiß, wie viele Menschen getötet worden sind“, berichtet der Aktivist Abu Madschd al-Chani, der in der angegriffe­nen Stadt lebt. „Die Menschen können das Gebiet nicht ohne Masken erreichen, und wir haben keine Masken.“

Allerdings sprechen auch die Aufnahmen, die im Internet kursieren, dafür, dass es eine große Zahl von Opfern gab. Auf manchen Bildern liegen die Opfer verstreut auf der Straße. Andere zeigen Opfer mit weißem Schaum vor dem Mund. In Video weist ein Arzt mit einer Taschenlam­pe auf die stark verkleiner­ten Pupillen eines Opfers – für ihn ein klares Anzeichen für einen Angriff mit Giftgas. Auch die große Zahl der Bilder von Opfern im Internet lässt kaum Zweifel zu, dass in Chan Scheichun tatsächlic­h Giftgas ausgeström­t ist. Und nicht nur das: Anders als bei anderen Angriffen der Vergangenh­eit konnten unabhängig­e Journalist­en zu den Opfern vordringen und wurden selbst Zeugen weiterer Luftangrif­fe.

Fotoreport­er konnten zahlreiche Fotos von den Folgen des Angriffs machen und sahen dabei auch viele leidende Kinder. Ein Reporter der Nachrichte­nagentur beschrieb, wie er in der Klinik in Chan Scheichun vier Tote mit Schaum vor dem

afp

Mund gesehen habe, darunter ein kleines Mädchen. Später erlebte der Journalist aus nächster Nähe selbst mit, wie eine Rakete am Eingang der Klinik einschlug und Teile des Gebäudes zerstörte. Im Inneren des Krankenhau­ses kämpften Ärzte zu diesem Zeitpunkt um das Überleben unzähliger Opfer des Luftangrif­fs. Der Reporter sah, wie Ärzte zwischen den Trümmern die Flucht ergriffen. Ob es durch den Raketenbes­chuss weitere Verletzte oder Tote gab, konnte er zunächst nicht feststelle­n.

Israelisch­e Experten vermuten, dass bei dem Angriff das Nervengas Sarin eingesetzt wurde. „Wenn es wirklich Sarin war, bedeutet dies, dass weiterhin bedeutsame und hochgefähr­liche Bestände chemieinem ● März 2017: Die Ärzte Hilfsorgan­i sation UOSSM berichtet von 70 ver letzten Zivilisten nach einem Giftgas angriff in der Stadt Hama. ● Nach UOSSM Angaben werden nach einem Gift gasangriff in der Provinz Hama 93 Zi vilisten getötet und 300 verletzt. Die Syrische Beobachtun­gsstelle für Men schenrecht­e bestätigt die Berichte. ● Östlich von Damas kus werden bei Angriffen mit Giftgas rund 1400 Menschen getötet, darunter viele Kinder. Das Regime von Ba schar al Assad vernichtet nach interna tionalem Druck Chemiewaff­en. scher Waffen in Syrien versteckt werden“, sagte Danny Shoham vom Begin-Sadat-Zentrum für strategisc­he Studien. Wer aber ist dafür verantwort­lich?

Opposition­elle Aktivisten beschuldig­en Präsident Baschar al-Assad und die syrische Luftwaffe. Die Menschenre­chtler machen dazu keine Angaben. Und Syriens Armee selbst weist den Vorwurf zurück. Die syrische Armee besitze überhaupt keine Chemiewaff­en mehr, behauptet ein General der Regierungs­streitkräf­te. Doch es wäre nicht das erste Mal, dass Syriens Militär in dem sechsjähri­gen Bürgerkrie­g Giftgas benutzt. Erst im März war ein Bericht der UN-Menschenre­chtskommis­sion zu dem Schluss gekommen, dass Regierungs­kräfte in den vergangene­n Monaten mehrfach Gebiete von Rebellen mit Chlorgas bombardier­ten.

Keine Hinweise fanden die Ermittler hingegen dafür, dass Syriens Verbündete­r Russland für Giftgasang­riffe verantwort­lich war. Im Besitz von Chlor darf Syriens Regierung sein, weil es auch für zivile Zwecke eingesetzt werden kann. Alle anderen Arten von Chemiewaff­en sind dem Land hingegen verboten. Im August 2013 starben beim verheerend­sten Einsatz von Giftgas im Bürgerkrie­g in einem Rebellenge­biet

Assads Giftgasang­riffe aufs eigene Volk Die Waffenruhe könnte damit endgültig gescheiter­t sein

östlich von Damaskus rund 1400 Menschen. Die USA drohten damals mit einem Militärein­satz gegen Präsident Assad. Syrien stimmte zu, alle Chemiewaff­en zu vernichten. Aber hat die Regierung das auch tatsächlic­h getan? David Friedman, bei der israelisch­en Armee früher für den Schutz vor chemischen und biologisch­en Waffen zuständig, glaubt das nicht. Man könne davon ausgehen, dass das syrische Regime weiterhin über Vorräte an Sarin- und Senfgas verfüge.

Die von Russland und der Türkei ausgehande­lte Waffenruhe, die den Weg zu einer politische­n Lösung für den Konflikt bahnen soll, könnte nach diesem Angriff endgültig gescheiter­t sein. In den vergangene­n Wochen war sie immer brüchiger geworden. Jan Kuhlmann, dpa/afp

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Bild des Grauens: Kinder werden nach dem Angriff auf die syrische Stadt Chan Scheichun mit Masken beatmet.
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Foto: dpa Syrischer Herrscher Baschar al Assad: Reporter wurden Zeugen.

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