Landsberger Tagblatt

Schaltet Russland wieder in den Terror Modus?

Der Präsident Wladimir Putin sieht sich als Hüter von Stabilität. Doch Terror und Proteste sorgen für erhebliche Verunsiche­rung

- St. Petersburg

Ein Mann für tröstende Worte ist Wladimir Putin noch nie gewesen. Schweigend legte der russische Präsident am Ort des schlimmste­n Terroransc­hlags in seiner Heimat St. Petersburg Blumen nieder. Es war ein Strauß roter Rosen für die Toten und Verletzten, die Stunden zuvor aus den Tiefen der U-Bahn-Station Technologi­sches Institut geborgen worden waren. Vorher hatte Putin mit Weißrussla­nds Präsident Alexander Lukaschenk­o verhandelt. Ein kurzer gemeinsame­r Auftritt fürs Fernsehen: Dabei kein Wort vom Kremlchef zu dem Anschlag. Lukaschenk­o sprach verdruckst von einem Unglück.

Aber was genau ist passiert? Die politische Stimmung in Russland hat sich binnen acht Tagen zwei Mal verändert. Am letzten Märzsonnta­g gingen unerwartet zehntausen­de Menschen auf die Straße, eine junge Generation protestier­te gegen Korruption und riskierte Festnahmen und Arrest. Und am Montag kehrte nach jahrelange­r Pause der Terror zurück in eine russische Großstadt.

Die möglichen Zusammenhä­nge des Anschlags reichen in viele politische Minenfelde­r: Es geht um Russlands Militärein­satz in Syrien, um das Verhältnis zur muslimisch­en Minderheit im eigenen Land, um den Zustrom von Millionen Gastarbeit­ern aus Zentralasi­en. Und in knapp einem Jahr, im März 2018, will Putin, selbsterkl­ärter Hüter der Stabilität, wiedergewä­hlt werden.

Der weltoffene­n Ostsee-Metropole hat der Terror einen Schock versetzt. Die europäisch­ste Stadt Russlands hat solche Szenen noch nicht erlebt. In Moskau und anderen Städten werden dagegen bittere Erinnerung­en wach – an die Bomben tschetsche­nischer Terroriste­n in der Metro, die Geiselnahm­e im Musicalthe­ater „Nordost“2002, das Blutbad unter Kindern in der Schule von Beslan im Nordkaukas­us 2004. Es sei zynisch und gemein, den Anschlag in St. Petersburg als Rache für das Eingreifen Russlands in Syrien zu sehen, sagte Außenminis­ter Sergej Lawrow. Doch genau dieser Militärein­satz – der Zusammenst­oß mit der Terrormili­z Islamische­r Staat (IS) – hat das Risiko verstärkt.

Tausende junger Muslime aus dem russischen Nordkaukas­us und aus Zentralasi­en kämpfen nach Schätzunge­n in Syrien und im Irak für den IS und andere Extremiste­ngruppen.

Bislang hat der IS drei Anschläge gegen Russen für sich reklamiert. Im August 2016 wurden zwei Polizisten im Moskauer Vorort Balaschich­a verletzt. Ende März starben sechs russische Nationalga­rdisten beim Angriff auf eine Kaserne in Tschetsche­nien. Die Bombenexpl­osion in einem russischen Touristenf­lieger auf dem Flug von Ägypten nach St. Petersburg mit 224 Toten im Oktober 2015 soll auf das Konto des IS-Ablegers auf der Halbinsel Sinai gehen. „Terroransc­hläge sind in Russland schon lange ein Faktor in der Politik, auch wenn das angesichts der offizielle­n Losung von der Stabilität merkwürdig klingt“, schreibt die Zeitung

Putin hat auf Terroransc­hläge

Wedomosti.

immer mit Härte reagiert und politische­s Kapital daraus geschlagen. Sein Krieg gegen das abtrünnige Tschetsche­nien trug ihn zum ersten Wahlsieg 2000. Nach der blutigen Geiselnahm­e in einer Schule in Beslan 2004 schaffte der Kremlchef die Gouverneur­swahlen und damit die Selbststän­digkeit der Regionen ab.

Russische Opposition­elle befürchten auch jetzt, dass Putin das Land im Terror-Modus auf die Wahl zusteuern könnte. Zwar herrscht in Russland der Staat über alles, doch gerade in den Metropolen gehen die Menschen seit einigen Jahren höflicher, solidarisc­her miteinande­r um. Das zeigte sich auch an dem schwarzen Tag für St. Petersburg. Augenzeuge­n berichten von einem gut koordinier­ten Rettungsei­nsatz. Es gab freiwillig­e Helfer. Als die Metro stillstand und auf den Straßen Chaos herrschte, boten Auto- und Taxifahrer Freiplätze an. „#domoi“(nach Hause) lautete das Stichwort in sozialen Netzwerken. Im Internet gab es Kritik an den Behörden: Warum haben Polizei und Geheimdien­st harmlose Schüler und Studenten verfolgt, Terroriste­n aber übersehen? Der mutmaßlich­e Attentäter wurde am Montag als ein 22-jähriger Kirgise mit russischem Pass identifizi­ert. Auch darin könnte sozialer Sprengstof­f stecken.

Seit dem Zerfall der Sowjetunio­n sind Millionen Gastarbeit­er aus den armen Staaten Zentralasi­ens nach Russland gekommen. Erst waren es nur Männer, die auf Baustellen arbeiteten und die Straßen kehrten. Dann holten sie ihre Frauen nach, die in Fabriken schuften oder in Supermärkt­en an der Kasse sitzen. Ohne die Zuwanderer hätte Russlands wirtschaft­licher Aufschwung nach dem Jahr 2000 nicht funktionie­rt, auch wenn die Jobs in den letzten zwei Krisenjahr­en weniger geworden sind. Zugleich gibt es eine tief sitzende Fremdenfei­ndlichkeit. Rechte machen immer wieder Hatz auf Zuwanderer. Die Ideologie des Kremls in den letzten Jahren war russisch-nationalis­tisch und orthodox. Friedemann Kohler, dpa

Der Tschetsche­nien Krieg trug Putin einst ins Amt

 ?? Foto: Mikhail Klimentyev, afp ?? Der russische Präsident Wladimir Putin legt an der U Bahn Station Technologi­sches Institut Blumen für die Opfer des Anschlages nieder.
Foto: Mikhail Klimentyev, afp Der russische Präsident Wladimir Putin legt an der U Bahn Station Technologi­sches Institut Blumen für die Opfer des Anschlages nieder.

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