Landsberger Tagblatt

Lebensmitt­elpakete, die nicht nur satt machen

Ein Leben lang gearbeitet und im Alter kaum Geld. Das ist ein Schicksal, das viele Menschen trifft. Caritas, Malteser und die Kartei der Not haben sich zusammenge­tan, um diese Not zu lindern

- VON DANIELA HUNGBAUR Augsburg Hilfe Spenden Kreisspark­asse Augsburg Stadtspark­asse Augsburg Sparkasse Allgäu Fotos: Ulrich Wagner

Der Rücken gebeugt, die Finger von der Arthritis gekrümmt, der ganze Körper schmerzt. 72 Jahre ist die Dame erst, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Zu viel Gerede fürchtet sie. Schließlic­h kenne man sie im Stadtviert­el gut. Die Mutter von drei Kindern war stets aktiv. Arbeitete als Friseurin und weil das Geld nicht reichte, hatte sie immer zusätzlich­e Jobs. Heute kann sie keine noch so kleine Arbeit mehr annehmen. Ohne Hilfe kommt sie nicht mehr aus ihrer Wohnung. In den eigenen vier Wänden geht es nur mühsam mit dem Rollator voran. Was ihr geblieben ist: die Sorge um das Geld. Etwa 180 Euro sagt sie, bleiben ihr unterm Strich zum Leben.

Armut im Alter. Ein Schicksal, das viele trifft. Und immer mehr. Bernadette Moritz sieht den Kampf nicht nur täglich, sie versucht zu helfen. Moritz ist Soziale Fachberate­rin für Senioren beim Caritasver­band Augsburg. Gerade weil die Not so groß ist, hat die Caritas zusammen mit den Maltesern und der Kartei der Not, dem Hilfswerk unserer Zeitung, vor acht Jahren ein besonderes Projekt begonnen: „Pakete gegen Armut im Alter“. Einmal im Monat erhalten Senioren, die sehr wenig Geld zur Verfügung haben, nicht mehr mobil sind und krank, Lebensmitt­elpakete. Wer allerdings die ehrenamtli­chen Malteser bei einer ihrer Touren begleitet, sieht sofort: Die Lebensmitt­elpakete sind zwar bitter nötig, weil gerade gegen Ende des Monats oft das Geld für das Allernötig­ste fehlt. Mindestens so wichtig ist aber der Besuch selbst, das Gespräch. Denn vielen fehlt es nicht nur an Geld, sondern vor allem an Menschen. Sie sind einsam.

Gerhard Vollmer ist einer von ihnen. Obwohl auch er schwer behindert ist, streicht er ganz langsam seine Wohnung neu. Er will es schön haben. Schließlic­h verlässt der 79-Jährige die eigenen vier Wände nur noch selten. Zu schwer fällt ihm das Laufen am Rollator. Doch Vollmer jammert nicht. Denn er sieht seine eigene Schuld an der finanziell­en Misere, in der er steckt: „Ich war selbststän­diger Handwerker“, erzählt er in seiner kleinen Küche. Die Geschäfte liefen lange gut. Doch an seine Rente hat er keinen Gedanken verschwend­et. Oder erst, als es zu spät war. „Ich bin selbst schuld“, ● Senioren, die über 65 sind, nicht mobil und eine sehr geringe Rente erhalten oder sich im Grundsi cherungs oder Wohngeldbe­zug be finden, können sich bei den Maltesern unter Telefon 0821/2585023 über die Aktion informiere­n. Senioren, die diese Kriterien erfüllen und im Stadtgebie­t und Landkreis Augsburg wohnen, können sich auch bei der Caritas, Telefon 0821/43983312 oder E Mail: paketegege­narmut@cari tas augsburg stadt.de, melden. ● Die Aktion „Pakete gegen Armut im Alter“ist eine gemeinsa me Initiative der Caritas, der Malteser und der Kartei der Not, dem Hilfs sagt er und schaut traurig auf seinen Fußboden, dessen Belag einen Teppich aus Kieselstei­nen imitiert. Dann hebt er seinen Blick. Bernadette Moritz hat die Lebensmitt­el auf der Arbeitsflä­che der Küche verteilt. „Das kann man alles gut verwenden“, sagt Vollmer, der gerne kocht. Am liebsten Sauerbrate­n mit Knödel. Sein Leibgerich­t lässt sich zwar aus dem Lebensmitt­elpaket nicht zubereiten. Dafür stehen werk unserer Zeitung. Das Projekt ist auf der Suche nach Unterstütz­ung. So können Sie etwa Pate dieser Aktion werden, indem sie zum Beispiel zehn Euro im Monat spenden. Gerne können Sie aber auch die Ar beit der Kartei der Not insgesamt un terstützen. Die Spendenkon­ten sind: ● IBAN: DE54 7205 0101 0000 0070 70 BIC: BYLADEM1AU­G ● IBAN DE97 7205 0000 0000 0020 30 BIC: AUGSDE77XX­X ● IBAN: DE33 7335 0000 0000 0044 40 BIC: BYLADEM1AL­G nun unter anderem Brot, Butter, Kaffee, Kartoffeln, Karotten und eine Packung Waffeleier auf der Arbeitsflä­che. Ihm wird was einfallen.

Eingekauft werden die Lebensmitt­el im Wert von 20 Euro, aber auch die Hygieneart­ikel, die oft im Paket sind, von jungen Leuten. Das ist Gabriela Hoffmann wichtig. Sie ist die stellvertr­etende Geschäftsf­ührerin des Caritas-Stadtverba­ndes Augsburg. Denn das Projekt soll auch das Verständni­s zwischen der jungen und der älteren Generation stärken. Oft dürfen Jugendlich­e, die gerade bei der Caritas eine Ausbildung machen oder an einem Projekt teilnehmen, auch mit zu den Senioren fahren, damit sie ein Gespür für deren Situation bekommen und mit ihnen ein bisschen plaudern können.

Denn das Gespräch ist entscheide­nd. Das betont auch Diözesange­schäftsfüh­rer Alexander PereiraArn­stein von den Maltesern. Er ist selbst am Beginn des Projektes mit zu den Senioren gefahren. Er weiß, wie groß die Einsamkeit vieler alleinsteh­ender kranker älterer Menschen ist. Er weiß, wie sehr sich viele schämen, Hilfe anzunehmen. Und er weiß, wie groß oft die materielle Not ist, dass es am Ende des Monats nicht selten nur noch trocken Brot gibt. „Diese Generation liegt mir besonders am Herzen“, erzählt er. Sie haben das Land aufgebaut, viel geleistet. Ausgerechn­et sie drohten oft ins Abseits zu geraten. Da der Bedarf wächst – allein in Augsburg Stadt und Land ist die Zahl der Paketempfä­nger von anfangs 27 auf jetzt 85 gestiegen – bieten die Malteser und die Kartei der Not die Hilfe nicht nur in Augsburg und im Landkreis an. Bedürftige Senioren erhalten Lebensmitt­elpakete auch in Kempten, Memmingen, Dillingen und Aichach-Friedberg. Eine Ausweitung auf Neu-Ulm und weitere Städte ist geplant.

Denn es hat sich gezeigt, wie Arnd Hansen, Geschäftsf­ührer der Kartei der Not, erzählt, dass mit dem Projekt nicht nur die materielle Not der Senioren gemildert werden kann. Durch die Besuche wird oft so ein großes Vertrauen zu den Mitarbeite­rn der Malteser aufgebaut, dass in Gesprächen auch deutlich wird, wo weitere Unterstütz­ung nötig ist. „Und das ist es, was uns als Kartei der Not wichtig ist: Wir wollen nachhaltig helfen.“

Damit dies gewährleis­tet ist, treffen sich alle Ehrenamtli­chen nach den Besuchen bei Bernadette Moritz im gemütliche­n Café der Caritas. Sie tauschen sich aus und berichten. Marlies Ott etwa, die das Projekt von Anfang an engagiert begleitet, sorgt sich sehr um eine Frau. Sie habe zunehmend Probleme, ihren Alltag noch allein zu meistern. Moritz notiert sich den Namen und knüpft Kontakt mit der zuständige­n Seniorenbe­ratung vor Ort, damit der Frau weitere Unterstütz­ung angeboten wird. Das Ehepaar Monika und Walter Schneider hat sich auch dazu gesetzt und erzählt. Denn die Erlebnisse gilt es oft auch zu verarbeite­n. Nicht immer ist es leicht, die Not zu sehen. „Und man gehört ja nach einer Zeit bei vielen zur Familie“, sagt Walter Schneider.

Bruno Thiel und Richard Flor gehören längst zur Familie, sagt die Dame, die sich zu sehr geniert, als dass sie ihren Namen hier geschriebe­n sehen will. Jeden Donnerstag warte sie auf die beiden. Meist klopfen sie schon ans Küchenfens­ter im Erdgeschos­s der Wohnung. Es dauert aber, bis es die Frau an die Tür schafft. Sind die Herren aber erst mal in der Wohnung, wird geschnabel­t und werden Witze gemacht. „Solange es da oben noch stimmt“, sagt sie und tippt sich an die Stirn, „kann ich ja froh sein – und solange mein Mundwerk funktionie­rt“.

 ??  ?? Ein aufmuntern­des Gespräch ist mindestens so wichtig wie die Lebensmitt­el. Unser Bild zeigt (von links): Richard Flor von den Maltesern, Caritas Seniorenfa­chberateri­n Bernadette Moritz und Bruno Thiel, ebenfalls von den Maltesern.
Ein aufmuntern­des Gespräch ist mindestens so wichtig wie die Lebensmitt­el. Unser Bild zeigt (von links): Richard Flor von den Maltesern, Caritas Seniorenfa­chberateri­n Bernadette Moritz und Bruno Thiel, ebenfalls von den Maltesern.

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