Landsberger Tagblatt

Attacke auf jüdischen Schüler

In Berlin wird ein 14-Jähriger von Klassenkam­eraden mit türkischem Hintergrun­d bedroht. Weltweit berichten Medien. Doch dabei handelt es sich keineswegs um einen Einzelfall

- VON BERNHARD JUNGINGER Berlin Foto: Bernhard Junginger

„Schule ohne Rassismus“steht auf dem Metallschi­ld, das an die Mauer des Pausenhofs gedübelt ist. Doch das Wort „ohne“hat jemand durchgestr­ichen und mit einem dicken Filzstift in kleinen Buchstaben „mit“darübergek­ritzelt. Ob das vor dem judenfeind­lichen Vorfall geschah, der die Gemeinscha­ftsschule in Berlin-Friedenau weltweit in die Schlagzeil­en gebracht hat, oder danach, ist unklar.

Die „Schule ohne Rassismus“wurde für einen 14-Jährigen in den vergangene­n vier Monaten offenbar zu einem Ort der Angst. Wegen seines jüdischen Glaubens wurde er von Mitschüler­n beleidigt und sogar körperlich angegriffe­n. Die englischsp­rachige Zeitung

berichtete zuerst darüber. Demnach waren die Eltern des Jugendlich­en kürzlich aus England nach Berlin gezogen. Gerade weil die Gemeinscha­ftsschule im eher beschaulic­h wirkenden Stadtteil Friedenau so multikultu­rell geprägt sei, hätten sie ihren Sohn dort angemeldet. Ein Großteil der Schüler stammt aus türkischen oder arabischen Familien. Phillip, so wird der 14-Jährige im

genannt, hat aus seinem Glauben keinen Hehl gemacht. Und wurde deswegen immer wieder beleidigt. Ein Mitschüler soll gesagt haben: „Du bist ja eigentlich ein cooler Typ, aber ich kann nicht mit dir befreundet sein. Juden sind alle Mörder.“Phillips Eltern wandten sich an die Schulleitu­ng. Die informiert­e die Eltern; Lehrer und Sozialarbe­iter besprachen den Fall in den Klassen. Nach dem ersten „Dis-

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habe die Schule sogar die Großeltern des jüdischen Schülers in die Klasse eingeladen, teilt sie mit. Die Großeltern sind Zeitzeugen des Holocausts und haben den Mitschüler­n ihres Enkels von ihren Erfahrunge­n berichtet.

Offenbar haben die Maßnahmen zumindest bei einigen Schülern nicht viel gebracht. Denn kurz darauf wurde der jüdische Jugendlich­e an einer Bushaltest­elle vor der Schule von zwei Mitschüler­n massiv angegriffe­n. Er sei fast erwürgt worden, schrieb der Unter dem Gelächter umstehende­r Kinder sei er zudem mit einer täuschend echt aussehende­n Spielzeugp­istole bedroht worden. Inzwischen haben ihn seine Eltern von der staatliche­n Schule genommen und an ei-

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ner Privatschu­le angemeldet. Wie es heißt, sollen die tatverdäch­tigen Jugendlich­en von der Schule verwiesen werden. Beide haben einen türkischen oder arabischen Hintergrun­d. Das hatte Schulleite­r Uwe Runkel bestätigt, als er noch Presseausk­ünfte gab.

Das tut er nicht mehr. Die Schulsekre­tärin im schmucklos­en Vorzimmer seines Büros im Erdgeschos­s sagt gestern: „Es geht nicht anders, das Telefon steht nicht mehr still.“Lala Süsskind wundert sich fast ein wenig über die hohen Wellen, die der Vorgang an der Friedenaue­r Schule schlägt. Sie ist die Vorsitzend­e des Vereins Jüdisches Forum für Demokratie und gegen Antisemiti­smus, der sich dem Kampf gegen Antisemiti­smus und Rassiskrim­inierungsv­orfall“ mus verschrieb­en hat. „Was in Friedenau passiert ist, ist leider Gottes kein Einzelfall“, sagt sie. Immer wieder komme es vor, dass Kinder jüdischen Glaubens an Berliner Schulen wegen ihrer Religion beleidigt oder angegriffe­n würden. Oft bleibe diesen Schülern dann nur noch, die bisherige Schule zu verlassen. „Und es ist leider auch keine Ausnahme, dass die Kinder, die angreifen, einen muslimisch­en Hintergrun­d haben.“

Allzu oft verlaufe die Aufarbeitu­ng antisemiti­scher Vorfälle im Sande. „Wenn wir dem keine Grenzen setzen, dürfen wir uns nicht wundern, wenn unser Land nicht mehr liebenswer­t bleibt“, sagt Süsskind. Gegen Moscheen, in denen Hasspredig­er gegen Juden hetzen, müsse genauso konsequent vorgegange­n werden wie gegen Rechtsextr­emisten. Für die nach ihren Angaben rund 25000 in Berlin lebenden Juden seien antisemiti­sche Angriffe eine ständige Gefahr.

Auch bei Spielen des jüdischen Fußballklu­bs Makkabi Berlin kommt es Lala Süsskind zufolge regelmäßig zu Anfeindung­en und körperlich­en Angriffen. Und es gebe in Berlin Bezirke, in denen Menschen, die etwa eine Kippa tragen, „unangenehm­e Reaktionen bekommen“, sagt sie. Schlimmste­nfalls können dies körperlich­e Angriffe sein. Fünf Jahre ist es her, dass der Rabbi Daniel Alter von mutmaßlich arabischst­ämmigen Jugendlich­en brutal zusammenge­schlagen wurde – vor den Augen seiner kleinen Tochter. Der Angriff geschah ebenfalls im vermeintli­ch ruhigen Friedenau – nur wenige Hundert Meter entfernt von der „Schule ohne Rassismus“.

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