Landsberger Tagblatt

Theodor Fontane – Effi Briest (80)

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An einem dieser letzten Tage – sie hatte sich eine Viertelstu­nde zuvor aus dem Eßzimmer zurückgezo­gen und gedachte sich eben auf einem mit einem großblumig­en Wollstoff überzogene­n Seegrassof­a auszuruhen – wurde leise an ihre Tür geklopft. „Herein.“Das eine Hausmädche­n, eine kränklich aussehende Person von Mitte Dreißig, die durch beständige­n Aufenthalt auf dem Korridor des Pensionats den hier lagernden Dunstkreis überallhin in ihren Falten mitschlepp­te, trat ein und sagte: Die gnädige Frau möchte entschuldi­gen, aber es wolle sie jemand sprechen. „Wer?“„Eine Frau.“„Und hat sie ihren Namen genannt?“Ja, Roswitha.“Und siehe da, kaum daß Effi diesen Namen gehört hatte, so schüttelte sie den Halbschlaf von sich und sprang auf und lief auf den Korridor

hinaus, um Roswitha bei beiden Händen zu fassen und in ihr Zimmer zu ziehen.

„Roswitha. Du. Ist das eine Freude. Was bringst du? Natürlich was Gutes. Ein so gutes altes Gesicht kann nur was Gutes bringen. Ach, wie glücklich ich bin, ich könnte dir einen Kuß geben; ich hätte nicht gedacht, daß ich noch solche Freude haben könnte. Mein gutes altes Herz, wie geht es dir denn? Weißt du noch, wie’s damals war, als der Chinese spukte? Das waren glückliche Zeiten. Ich habe damals gedacht, es wären unglücklic­he, weil ich das Harte des Lebens noch nicht kannte. Seitdem habe ich es kennengele­rnt. Ach, Spuk ist lange nicht das Schlimmste! Komm, meine gute Roswitha, komm, setz dich hier zu mir und erzähle mir ... Ach, ich habe solche Sehnsucht. Was macht Annie?“

Roswitha konnte kaum reden und sah sich in dem sonderbare­n Zimmer um, dessen grau und verstaubt aussehende Wände in schma- le Goldleiste­n gefaßt waren. Endlich aber fand sie sich und sagte, daß der gnädige Herr nun wieder aus Glatz zurück sei; der alte Kaiser habe gesagt, sechs Wochen in solchem Falle sei gerade genug, und auf den Tag, wo der gnädige Herr wieder da sein würde, darauf habe sie bloß gewartet, wegen Annie, die doch eine Aufsicht haben müsse. Denn Johanna sei wohl eine sehr propre Person, aber sie sei doch noch zu hübsch und beschäftig­e sich noch zu viel mit sich selbst und denke vielleicht Gott weiß was alles. Aber nun, wo der gnädige Herr wieder aufpassen und in allem nach dem Rechten sehen könne, da habe sie sich’s doch antun wollen und mal sehen, wie’s der gnädigen Frau gehe. „Das ist recht, Roswitha.“Und habe mal sehen wollen, ob der gnädigen Frau was fehle und ob sie sie vielleicht brauche, dann wolle sie gleich hierbleibe­n und beispringe­n und alles machen und dafür sorgen, daß es der gnädigen Frau wieder gutgehe.

Effi hatte sich in die Sofaecke zurückgele­hnt und die Augen geschlosse­n. Aber mit eins richtete sie sich auf und sagte: „Ja, Roswitha, was du da sagst, das ist ein Gedanke; das ist was. Denn du mußt wissen, ich bleibe hier nicht in dieser Pension, ich habe da weiterhin eine Wohnung gemietet und auch Einrichtun­g besorgt, und in drei Tagen will ich da einziehen. Und wenn ich da mit dir ankäme und zu dir sagen könnte: ,Nein, Roswitha, da nicht, der Schrank muß dahin und der Spiegel da‘, ja, das wäre was, das sollte mir schon gefallen. Und wenn wir dann müde von all der Plackerei wären, dann sagte ich: ,Nun, Roswitha, gehe da hinüber und hole uns eine Karaffe Spatenbräu, denn wenn man gearbeitet hat, dann will man doch auch trinken, und wenn du kannst, so bring uns auch etwas Gutes aus dem Habsburger Hof mit, du kannst ja das Geschirr nachher wieder herüberbri­ngen‘ – ja, Roswitha, wenn ich mir das denke, da wird mir ordentlich leichter ums Herz. Aber ich muß dich doch fragen, hast du dir auch alles überlegt? Von Annie will ich nicht sprechen, an der du doch hängst, sie ist ja fast wie dein eigen Kind – aber trotzdem, für Annie wird schon gesorgt werden, und die Johanna hängt ja auch an ihr. Also davon nichts. Aber bedenke, wie sich alles verändert hat, wenn du wieder zu mir willst. Ich bin nicht mehr wie damals; ich habe jetzt eine ganz kleine Wohnung genommen, und der Portier wird sich wohl nicht sehr um dich und um mich bemühen.

Und wir werden eine sehr kleine Wirtschaft haben, immer das, was wir sonst unser Donnerstag­essen nannten, weil da reingemach­t wurde. Weißt du noch? Und weißt du noch, wie der gute Gieshübler mal dazukam und sich zu uns setzen mußte, und wie er dann sagte: So was Delikates habe er noch nie gegessen. Du wirst dich noch erinnern, er war immer so schrecklic­h artig, denn eigentlich war er doch der einzige Mensch in der Stadt, der von Essen was verstand. Die andern fanden alles schön.“

Roswitha freute sich über jedes Wort und sah schon alles in bestem Gange, bis Effi wieder sagte: „Hast du dir das alles überlegt? Denn du bist doch – ich muß das sagen, wiewohl es meine eigne Wirtschaft war –, du bist doch nun durch viele Jahre hin verwöhnt, und es kam nie darauf an, wir hatten es nicht nötig, sparsam zu sein; aber jetzt muß ich sparsam sein, denn ich bin arm und habe nur, was man mir gibt, du weißt, von Hohen-Cremmen her. Meine Eltern sind sehr gut gegen mich, soweit sie’s können, aber sie sind nicht reich. Und nun sage, was meinst du?“

„Daß ich nächsten Sonnabend mit meinem Koffer anziehe, nicht am Abend, sondern gleich am Morgen, und daß ich da bin, wenn das Einrichten losgeht. Denn ich kann doch ganz anders zufassen wie die gnädige Frau.“

„Sage das nicht, Roswitha. Ich kann es auch. Wenn man muß, kann man alles.“

„Und dann, gnädigste Frau, Sie brauchen sich wegen meiner nicht zu fürchten, als ob ich mal denken könnte: ,für Roswitha ist das nicht gut genug‘. Für Roswitha ist alles gut, was sie mit der gnädigen Frau teilen muß, und am liebsten, wenn es was Trauriges ist. Ja, darauf freue ich mich schon ordentlich. Dann sollen Sie mal sehen, das verstehe ich. Und wenn ich es nicht verstünde, dann wollte ich es schon lernen. Denn, gnädige Frau, das hab’ ich nicht vergessen, als ich da auf dem Kirchhof saß, mutterwind­allein, und bei mir dachte, nun wäre es doch wohl das beste, ich läge da gleich mit in der Reihe. Wer kam da? Wer hat mich da bei Leben erhalten? Ach, ich habe so viel durchzumac­hen gehabt. Als mein Vater damals mit der glühenden Stange auf mich loskam.“„Ich weiß schon, Roswitha.“„Ja, das war schlimm genug. Aber als ich da auf dem Kirchhof saß, so ganz arm und verlassen, das war doch noch schlimmer. Und da kam die gnädige Frau. Und ich will nicht selig werden, wenn ich das vergesse.“Und dabei stand sie auf und ging aufs Fenster zu. „Sehen Sie, gnädige Frau, den müssen Sie doch auch noch sehen.“ »81. Fortsetzun­g folgt

 ??  ?? Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...
Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...

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